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Paneldiskussion "Wie national sind wir?" mit Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters, David Chipperfield, Architekt, Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt (v.l. n.r. ) moderiert von Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegels im Umspannwerk - Lange Nacht der Ideen in Berlin am 1. Juni.

© Felix Zahn/ photothek.net

Lange Nacht der Ideen: Europa - ein Traum, der nicht sterben darf

Gedankengewitter: Auf der „Langen Nacht der Ideen“ debattieren Persönlichkeiten aus Kultur und Politik über die Zukunft Europas.

Eigentlich soll es um Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gehen. Doch eine Frage drängt sich an diesem Abend immer wieder in den Vordergrund, während draußen die Welt in monsunartigem Regen versinkt: Wird Europa untergehen? Oder wird es die aktuellen Krisen überleben? In der „Langen Nacht der Ideen“ zeigen das Auswärtige Amt und 15 seiner Partner in Diskussionsrunden, Kunst- und Musikprojekten, was deutsche auswärtige Kulturpolitik ausmacht.

Die Auftaktveranstaltung im Umspannwerk am Alexanderplatz, eine Diskussionsrunde unter der Fragestellung „Wie national sind wir?“, moderiert von Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff, setzt den Ton für die Nacht. Was ist Europa überhaupt noch, wie sind wir zu diesem Punkt gekommen? Das diskutieren Shermin Langhoff, die Intendantin des Gorki Theaters, Staatsministerin Michelle Müntefering und der Architekt David Chipperfield. Langhoff macht den Neoliberalismus für die Schaffung einer neuen Ordnung verantwortlich, in der Nationalismus wächst.

Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt im Gespräch mit Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegels. Links Architekt David Chipperfield
Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt im Gespräch mit Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegels. Links Architekt David Chipperfield

© Felix Zahn/ photothek.net

David Chipperfield erzählt von der Bauwut in London, die nur den Interessen der Investoren diene. „Unsere Städte schaffen keine Identität mehr, und die fehlende Identität führt zu Unzufriedenheit mit den Verhältnissen“, sagt Chipperfield. Für Berlin befürchtet er eine ähnliche Entwicklung wie in London. Müntefering versteht das Aufkommen des Populismus als Weckruf für alle Demokraten: „Wer sich nicht einmischt, muss sich nicht wundern, dass er von Dümmeren regiert wird.“

Europas Überleben nicht mehr automatisch gesichert

Das Programm der dritten Langen Nacht der Ideen ist groß, die Auswahl fällt schwer. Auf dem Weg zum Telefonica Basecamp öffnen sich die Himmelsschleusen erneut, Unwetter scheint über über die Stadt hereinzubrechen. Die Atmosphäre passt zur Ernsthaftigkeit und Leidenschaftlichkeit, mit der im Basecamp die Diskussion zu Europas Zukunft geführt wird. Unter der Fragestellung „Europa am Scheideweg – ist es Zeit für eine neue Kulturpolitik?“ treffen sich Rolf Dieter Krause, der lange Jahre für die ARD aus Brüssel berichtet hat, der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, Staatsminister Walter J. Lindner und Katarzyna Wielga, die ehemalige Direktorin des Polnischen Instituts in Berlin. Von Kulturpolitik kommt man schnell zum Kern des Problems, zur Frage nach der europäischen Identität. Gehört ein Land, in dem keine Rechtsstaatlichkeit mehr herrscht, überhaupt noch zu Europa? Krause legt vor: „Wir haben in Europa Länder, die sich wie ein Fußballspieler verhalten, der permanent auf das Tor der eigenen Mannschaft schießt. Der müsste längst vom Platz genommen werden.“ Auch Asselborn findet klare Worte: „Es ist unsere verdammte Verantwortung, auch unseren Kindern gegenüber, dafür zur sorgen, dass Europa überlebt!“

Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki Theaters
Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki Theaters

© Jörg Carstensen / dpa

Automatisch, da sind sich alle einig, ist Europas Überleben nicht mehr gesichert. Streit gibt es um die Frage, wie man mit abtrünnigen Mitgliedsstaaten umgehen soll. Krause prophezeit, dass Europa mit jetzt 27 Mitgliedsstaaten, von denen, wie er sagt, ein Drittel keine Rechtsstaaten mehr seien, nicht funktionieren könne. Asselborn ruft zum Kampf um Europa auf – und in diesen Momenten hat man das Gefühl, dass Europa sich nicht nur am Scheideweg, sondern auf Messers Schneide befindet. Katarzyna Wielga hält dagegen. Ihr Vorschlag: Man müsse den Frust der Menschen verstehen, und versuchen, sich auf sie zuzubewegen.

Der Architekt David Chipperfield
Der Architekt David Chipperfield

© Stephanie Pilick/picture alliance / dpa

Der Regen hat nachgelassen. Über den Dächern Berlins, im Atelier der Stipendiaten im obersten Stock des Auswärtigen Amts präsentiert die Videokünstlerin Yvon Chabrowski ihre Ausstellung „Cassandra/Bewegungsmuster“, die sich damit beschäftigt, wie Menschen im öffentlichen Raum wahrgenommen werden – von anderen Menschen und von Kameras. Der Bezug zur Außenpolitik bleibt unklar, in seiner Schlichtheit wirkt das Gezeigte verwirrend. Schön ist aber der ironische Twist, dass ein Haus, das dermaßen viele Sicherheitskameras hat, eine Ausstellung beherbergt, die sich genau damit auseinandersetzt.

Emotionen müssen Menschen zueinander führen

Im Umspannwerk werden bereits die Boxen für die Abschlussparty angeworfen. Hier treffen sich Menschen aus allen Ecken der Stadt, die zum Beispiel vorher von Geflüchteten durch das Museum für Islamische Kunst geführt worden waren. In den Smalltalk mischen sich ernstere Fragen. Weshalb wird Europa nicht mehr von allen als das verstanden, was es ist – der Traum vom friedlichen Miteinander? Einem Miteinander, das von gemeinsamen Werten geprägt ist und den Lehren, die aus einer blutigen Geschichte gezogen wurden. Europa kann nicht allein auf dem Papier begriffen werden, mit Fakten und Zahlen, das hat das Brexit-Referendum gezeigt.

Das Ramal Ensemble der Barenboim Said Akademie , das sich aus syrischen Studierenden gebildet hatte, spielte zur Eröffnung der Auftaktveranstaltung der Langen Nacht der Ideen im Umspannwerk.
Das Ramal Ensemble der Barenboim Said Akademie , das sich aus syrischen Studierenden gebildet hatte, spielte zur Eröffnung der Auftaktveranstaltung der Langen Nacht der Ideen im Umspannwerk.

© Rolf Brockschmidt

Auswärtige Kulturpolitik kann eine Möglichkeit sein, für Europa zu begeistern. Wenn Zahlen nicht ausreichen, müssen Emotionen, Begegnungen, Debatten Menschen zueinander führen. Die Lange Nacht entlässt ihre Besucher in die Kühle nach dem Gewitter: ernüchtert, aber kämpferisch.

Weitere Artikel zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik lesen Sie auf unserer Themenseite.

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