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Blumenmädchen. Lana Del Rey, die eigentlich Elizabeth Grant heißt.

© Neil Krug / Universal

Lana Del Reys Album „Lust For Life“: Das Ende der Tranigkeit

Raus aus der Retromania-Glasglocke: Warum Lana Del Reys überraschend politisches Album „Lust For Life“ ihr bislang bestes ist.

Jungsein, das ist die Phase, in der ein Mensch die höchste Stufe seiner hormonellen Verwirrung erreicht. Er wird plötzlich anfällig für radikale Ideologien, für schlechte Mode und für übersteigerte Erwartungen. Coolness ist wichtiger als Klarheit. Überforderungsalarm! In „Love“, dem Auftaktstück zu ihrem großartigen neuen Album „Lust For Life“ wundert sich Lana Del Rey, 32, zum lang nachhallenden Klopfen einer Bassgitarre über die Jugend von heute: „Look at you kids with your vintage music / Comin’ through satellites while cruisin’ / You’re part of the past, but now you’re the future.“ Zur Zukunft gehören, aber der Vergangenheit nicht entkommen: ein Teufelskreis.

Man könnte das für Spott halten, für eine Abrechnung, vielleicht auch für Selbstkritik, denn die „Vintage Music“, die die in teuren Autos durch ein sorgenfreies Leben cruisenden Kids im Ohr haben, könnte von ihr stammen. Keine andere Musikerin der letzten Jahre hat so sehr in der Vergangenheit geschwelgt, in den Songs von Julie London, Doris Day oder Nancy Sinatra gebadet wie Lana Del Rey. Aber dann setzen hochdramatische Paukenschläge und Kastagnetten ein, der Synthesizer fiept wie die Querflöte von Gheorghe Zamfir, und die Sängerin jubelt: „Doesn’t matter cause it’s enough / To be young and in love.“ Alles scheißegal, Hauptsache, du bist jung und verliebt.

Del Rey galt als „Königin des Trübsals“

Mit „Lust For Life“ wirft Lana Del Rey die Fesseln der Jugend ab. Die Rolle der verführerisch hauchenden Tochter tauscht sie mit der einer Tante, die schnippisch die laufenden Ereignisse kommentiert, und der Mutter, die ihren Hörern – darin gipfelt „Love“ – beruhigend ins Ohr flüstert: „Don’t worry, baby.“ Kein Grund zur Sorge, ihr fünftes Studioalbum ist ihr bislang reifstes, überraschendstes, bestes. Seit sie mit ihrer bittersüßen Fünfminutensymphonie „Video Games“, vor allem aber dem Filmchen dazu, im Jahr 2011 den Durchbruch schaffte, gehört Lana Del Rey zu den meistverehrten und meistgehassten Sängerinnen dieser Welt. Sie wurde als „Königin des Trübsals“, als lebende Männerfantasie und als Anti-Feministin verspottet. Was die Musikerin keineswegs störte. Feminismus fände sie „langweilig“, sagte sie in einem Interview, sie würde lieber über „intergalaktische Möglichkeiten“ sprechen.

Bei Lana Del Rey handelt es sich tatsächlich um ein Kunstprodukt. Allerdings um eines, das ihrer eigenen Fantasie entsprungen ist. Als Elizabeth Grant in New York geboren, verkörpert sie heute die pazifische Unbeschwertheit Kaliforniens. Man könnte die schleppenden Rhythmen ihrer Songs und den schlafwandlerisch zerdehnten Gesang auf den Missbrauch von Drogen oder Tabletten zurückführen. Aber das ist einfach ihre Marotte. Und ihre Kunst.

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Verwurzelt ist die Kunstfigur Lana Del Rey aber an der Ostküste. Ihr Pseudonym verdankt Grant der Filmdiva Lana Turner und dem Delray Beach in Florida. Auf dem neuen Album klagt die Sängerin nun mit elfenhafter, erschöpfter Stimme, dass sie „13 Beaches“ brauchte, bis sie einen Strand gefunden hatte, an dem sie allein sein konnte. Kann man das bereits Kulturkritik nennen? Auf „Lust For Life“ öffnet Del Rey erstmals ihre Retromania-Glasglocke, sie wird verhalten politisch.

Hexenzauber gegen Donald Trump

In der von Melancholie und Nostalgie durchtränkten Elektroballade „Coachella – Woodstock In My Mind“ wünscht sie sich, dass aus den Besuchern eines Popfestivals eine gesellschaftliche Kraft werden möge. Bei der Countrynummer „God Bless America – And All The Beautiful Women In It“ lässt sie auf die Parole „God Bless America“ Gewehrsalven folgen. Und im Folksong „When The World Was At War We Kept Dancing“ fragt sie apokalyptisch: „Is it the end of an era? Is it the end of America?“ Donald Trump wird an keiner Stelle genannt, ist aber gemeint. Vergeblich hatte Del Rey mit einigen Mitstreiterinnen versucht, den Präsidenten mit einem Hexenritus aus dem Amt zu zaubern.

Die Gästeliste auf dem fünften Album der Retro-Königin ist erlesen. Dazu gehören Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks und Beatle-Sohn Sean Ono Lennon. Höhepunkt der Platte und einer der besten Sommerhits des Jahres ist der Titeltrack „Lust For Life“. Da treffen Lana Del Reys Gesangsgirlanden auf die Falsettbefehle des kanadischen R’n’B-Artisten The Weeknd: „Take off, take off / Take off all your clothes.“ Ausziehen? Warum eigentlich nicht.

„Lust For Life“ von Lana Del Rey ist bei Vertigo/Universal erschienen.

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