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Anfang einer Rebellion. Katherine (Florence Pugh) wird mit einem deutlich älteren Mann verheiratet.

© Koch Films

„Lady Macbeth“ im Kino: Eine heißkalte Frau

Morden, um frei zu sein: „Lady Macbeth“ erzählt vom radikalen Aufbegehren gegen gesellschaftliche Konventionen.

Tief duckt sich die braune Heide unter dem gleichgültigen Himmel. Wild zaust der Wind Haar und Rock der jungen Frau. Sehnsüchtig schweift ihr Blick über die menschenleere Landschaft. Einsamkeit, dein Name ist Hochmoor.

So ein düsterromantisches Setting gleich zu Beginn führt auf die Fährte der jüngsten Verfilmungen von Romanklassikern der Schwestern Brontë wie „Jane Eyre“ und „Sturmhöhe“. Und das Motiv der arrangierten Ehe in besseren Kreisen lässt an die in der britischen Gentry spielenden Gesellschaftskomödien nach Jane Austen denken.

Tatsächlich greift der englische Theaterregisseur William Oldroyd in seinem bemerkenswerten Spielfilmdebüt auch diese – in letzter Zeit durch immer stärker gezeichnete Heldinnen modernisierte – Filmtradition zur Sittsamkeit verdammter Weiblichkeit in raschelnden Kostümen auf. Und die damit verbundenen Motive wie den Kampf der romantischen Liebe gegen viktorianische Klassenschranken und die patriarchalen Strukturen, die „anständige“ Frauen zum sittsamen häuslichen Leben verdammen.

Katherine wird als Eigentum betrachtet

Und doch erschöpft sich Oldroyds Drama eben nicht in Salonintrigen, raschelnden Kostümen und melodramatischen Herzensnöten. „Lady Macbeth“ ist die in erlesenen, traumklar ausgeleuchteten Tableaus (Kamera: Ari Wegner) erzählte Revolte der jungen Katherine, die von ihrem doppelt so alten Ehemann und dem Schwiegervater als Eigentum betrachtet wird.

Ihre Antworten auf des Gatten Frage „Ist euch kalt?“ – „Nein, ich habe eine dicke Haut“ und seine Anweisung „Ihr solltet zu Hause bleiben“ – „Aber ich mag die frische Luft“ hätten ihn warnen sollen, dass Katherine keine überempfindsame Gesellschaftsdame, sondern ein widerständiges Wesen ist.

Vorbild für die Frauenfigur ist nicht Shakespeares Lady Macbeth, sondern die ursprünglich im zaristischen Russland angesiedelte Titelheldin der Novelle „Lady Macbeth von Mzensk“ des Schriftstellers Nikolai Leskow, der Dimitri Schostakowitsch bereits eine Oper gewidmet hat.

Florence Pugh glänzt in der Hauptrolle

In der Hauptrolle glänzt Florence Pugh, deren herzförmiges Unschuldsgesicht eingangs nicht ahnen lässt, dass die gelangweilte Katherine nach und nach zur männermordenden Megäre wird. Ihre kühl und konsequent durchgeführte, radikale Revolte beginnt mit einer heißen Affäre.

Katherines Liebe zum Stallburschen Sebastian (Cosmo Jarvis) ist doppelt unmöglich, denn Sebastian ist schwarz. Ebenso wie ihre Vertraute, das Hausmädchen Anna (Naomie Ackie) und weitere Charaktere. Nie zuvor war das viktorianische England im Kostümfilm so schwarz, waren der Kolonialismus und seine gesellschaftlichen Folge – der Rassismus – so gegenwärtig. Und das, obwohl William Oldroyd in den sich ohnehin aufs Nötigste beschränkenden Dialogen kein großes Thema daraus macht. Er verlegt sich lieber aufs Zeigen, etwa als die Gutsarbeiter Anna foppen, indem sie sie ausziehen und in einem Tuch hochziehen und „wiegen“.

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Diese sprachlichen Auslassungen kontrastieren das endlose Getuschel und Geplapper in Genreklassikern wie Ang Lees „Sinn und Sinnlichkeit“ oder Whit Stillmans jüngster Austen-Verfilmung „Love & Friendship“. Auch das theaterhaft karge Interieur des Herrenhauses ist ein Gegenentwurf zu den sonst vor Zierrat berstenden Salons des 19. Jahrhunderts.

„Lady Macbeth“ bietet keinen Augen- und Ohrentrost. Unerbittlich fixiert die statische Kamera eingangs die junge Ehefrau Katherine, die untätig und in steifen blauen Taft gehüllt auf der Chaiselongue hockt und gähnend ihr Leben verstreichen fühlt. Ehemann und Schwiegervater schauen in der familieneigenen Mine nach dem Rechten, die Frau hütet das Haus. Hallende Schritte in leeren Korridoren, knarzende Treppenstufen, zuschnappende Fensterflügel. William Oldroyd versteht es, diesem klaustrophobischen Leben einen Sound zu geben.

Keine Figur hat eine Backstory

Die konzentrierte Inszenierung hat jedoch einen Schönheitsfehler: Keiner Figur wird die Gnade einer Backstory gewährt. Man erfährt nur das, was zu sehen ist. So bleibt der ständig abwesende Ehemann Alexander (Paul Hilton) letztlich ein unerzählter Unsympath, wodurch der Zuschauer dann wiederum die Subjektive von Katherine teilt, die auch nichts vom aushäusigen Tun und Treiben ihres Gatten erfährt. Bis ihr – nach dessen Tod – die Folgen desselben in Fleisch und Blut auf die Bude rücken.

In dem Moment treibt das Talent der Lady, ihre Untergebenen zu Mordwerkzeugen zu instrumentalisieren, die grausamste Blüte. Katherines Befreiung aus der erlebten strukturellen Gewalt gebiert genau das – Gewalt. Das ist ein ziemlich niederschmetternder Befund, der noch lange nachhallt, nachdem die 90 Filmminuten vorbei sind. Womöglich hallt er bis zum 9. Dezember. Da werden in Berlin die Europäischen Filmpreise verliehen. „Lady Macbeth“ ist nominiert.

„Lady Macbeth“ läuft derzeit in zehn Berliner Kinos.

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