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KZ-Befreiungen, Endphase-Verbrechen, Durchhalteparolen: Diese erschütternde Ausstellung zum Kriegsende-Jubiläum können Sie virtuell besuchen

Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich zum 75. Mal. Dem gedenkt die Ausstellung "Von Casablanca nach Karlshorst" vom Museum Karlshorst - aktuell ausschließlich virtuell.

Stell Dir vor, es ist der 75. Jahrestag des Kriegsendes – und keiner darf hin. Das ist die Herausforderung, vor der das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst steht. Die Villa ist der historische Ort, an dem die Wehrmachtsführung die bedingungslose Kapitulation am 8. Mai 1945 unterzeichnete. Sie trat um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit in Kraft. Erst danach schwiegen die Waffen an allen Fronten.

Quer durch Europa wollen die Völker und Regierungen im Mai 2020 der Opfer gedenken und die Dankbarkeit für 75 Jahre Frieden ausdrücken: eine außergewöhnlich lange Zeit in der konfliktreichen Geschichte des Kontinents. Das Coronavirus hat die Pläne durchkreuzt. 

Der Staatsakt in Berlin, Friedensfeste, die traditionelle Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau – nahezu alles wird abgesagt. Die gewohnte Erinnerungskultur kapituliert vor der Pandemie. Doch findige Geister interpretieren auch diese Niederlage als Neuanfang. Museen, denen die traditionelle Arbeit mit Besuchern versperrt ist, erproben neue Wege der öffentlichen Kommunikation.

Auch in Karlshorst fällt fast alles aus. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wollte zur Vorbesichtigung der Sonderausstellung über die Endphase des Kriegs „Von Casablanca nach Karlshorst“ kommen. 

10.000 Besucher waren erwartet worden

Mit 10.000 Besuchern hatte Direktor Jörg Morré im Laufe des 8. Mai gerechnet. Und sich auf den „Toast auf den Frieden“ gefreut: Zu dieser Zeremonie treffen sich die ehemaligen Feinde seit 20 Jahren am 8. Mai abends im Kapitulationssaal – und das meint schon lange nicht mehr nur Russen und Deutsche, sondern auch Weißrussen und Ukrainer. 

Sie hatten in hoher Zahl in der Roten Armee gekämpft, sie trugen auch einen überdurchschnittlichen Anteil der zivilen Opfer. Aus dem Deutsch-Russischen Museum ist ein deutsch-russisch-weißrussisch-ukrainischer Gedenkort geworden, in Kooperation mit den Weltkriegsmuseen in Kiew und Minsk. Trotz der internationalen Spannungen wegen unterschiedlicher Geschichtsbilder und des Kriegs in der Ukraine.

Virtueller Besuch des historischen Orts

Die Sonderausstellung wird Karlshorst dem Publikum auf neue Art präsentieren. Seit Dienstag kann man „Von Casablanca nach Karlshorst“ virtuell besichtigen, „in 360-Grad-Perspektive“ und mit Erklärungen in mehreren Sprachen, werben Morré und die Kuratorin der Ausstellung Julia Franke. Sie werden einzelne Objekte in digitalen Führungen näher vorstellen. Und Fotos aus der „spektakulären Sammlung des Museums“ zugänglich machen, darunter Bilder vom zerstörten Berlin, die sowjetische Kriegsberichterstatter machten.

Die neuen Lockerungen in Berlin erlauben zwar einen Hoffnungsschimmer, dass Museen ab dem 4. Mai wieder öffnen dürfen und Karlshorst am 8. Mai Besucher einlassen darf. Wegen der Abstandsregeln würde das aber nur für den Kapitulationssaal gelten, schränkt Morré ein, nicht für die Sonderausstellung; dort ist der Platz zu beengt. Und im Kapitulationssaal ist bei großem Andrang mit Wartezeiten zu rechnen.

In diesem Saal in Berlin-Karlshorst kapitulierte das Dritte Reich am 8. Mai 1945.
In diesem Saal in Berlin-Karlshorst kapitulierte das Dritte Reich am 8. Mai 1945.

© Thomas Bruns, Museum Berlin-Karlshorst

Den Saal kann man ebenfalls virtuell besichtigen. Die Stirnseite mit den Flaggen der Alliierten; zunächst waren es nur drei: die sowjetische in der Mitte, links die amerikanische, rechts die britische; auf Intervention der Franzosen wurde ihre Fahne kurz vor der Unterzeichnung dazu gestellt. 

Die Marmorplatten mit den Siegesparolen der Sowjetunion in kyrillischen Goldbuchstaben, die 1967 an den hohen Wänden installiert wurden, mitten im Kalten Krieg. Ein Faksimile der Kapitulationsurkunde und historische Fotografien in einem Schaukasten. Das Video, das den Transport der Wehrmachtsführung nach Karlshorst dokumentiert.

Nach dem ersten Akt in Reims eine zweite Kapitulation in Berlin

Lange Zeit hatte das Deutsche Reich versucht, das Bündnis zu spalten und nur im Westen zu kapitulieren, um den Kampf gegen die Rote Armee fortsetzen zu können. Doch Dwight Eisenhower, der US-Oberbefehlshaber in Europa und spätere US-Präsident, bestand nach der Kapitulation am 7. Mai in Reims auf einer zweiten Unterzeichnung in Berlin gegenüber den Sowjets. 

„Von Casablanca nach Karlshorst“ nimmt zwei Aspekte in den Fokus: den Zusammenschluss der Anti-Hitler-Koalition, die sich im Januar 1943 in Casablanca verpflichtet hatte, gemeinsam bis zum Sieg zu kämpfen, und ihr Agieren bis zum Mai 1945. 

Sowie die „Endphaseverbrechen“ des Deutschen Reichs auf dem Rückzug an den verschiedenen Fronten: Massaker an Zivilisten, Todesmärsche von Lagerinsassen, die Tötung deutscher Zivilisten, die den Nazis nicht folgten. Diese beiden Erzählstränge werden auf gegenüberliegenden Stellflächen präsentiert, um Besucher zum Hin- und Herblicken zu animieren und die Wechselwirkungen zu verfolgen.

Erschießungen zur Vertuschung der "Endphaseverbrechen"

Nach der Niederlage in Stalingrad ordnete Hitler eine „Strategie der verbrannten Erde“ auf dem Rückzug an. Dörfer wurden zerstört, Kulturgüter geraubt, Menschen bereits ab zehn Jahren zur Zwangsarbeit verpflichtet. 

Auf der Konferenz in Moskau im Herbst 1943 beschlossen die Alliierten, die Verantwortlichen vor ein Kriegsverbrechertribunal zu stellen. Die deutsche Führung bemühte sich erst recht, die Spuren der Verbrechen zu vertuschen. Zwangsarbeiter, die dabei helfen mussten, wurden erschossen, damit sie nicht als Zeugen dienen können.

Kleine Akte des Widerstands: Wo ist das 5. Schwein?

Die Ausstellung konzentriert sich auf die Verbrechen im Osten und zieht zugleich die Verbindung zu Massakern von Frankreich bis Finnland, von Norwegen bis Griechenland. Sie zeigt Einzelschicksale wie die Tagebucheinträge zur unmöglichen deutsch-jüdischen Liebe zwischen Elisabeth Wust und Felice Schragenheim, deren Schicksal der Film „Aimée und Jaguar“ erzählte.

[Hier können Sie die virtuelle Ausstellung besichtigen. Der Katalog zur Ausstellung in drei Sprachen (Deutsch, Russisch, Englisch) ist in Karlshorst und im Buchhandel erhältlich: 304 Seiten, 60 Abbildungen, 18 Euro.]

Sie dokumentiert viele weitere Aspekte: erschütterndes Bildmaterial zur Befreiung der KZ’s. Die im Rückblick absurd anmutenden Durchhalteparolen auf zerbombten Fassaden wie „Unsere Mauern brechen, aber unsere Herzen nicht“ und „Unser Glaube: totaler Sieg“. Dazu kleine Akte des Widerstands wie das Flugblatt „Wo ist das 5. Schwein?“, eine Zeichnung mit vier Schweinen, die sich so falten lässt, dass ein Konterfei Hitlers entsteht.

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