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Monica Bellucci als die Braut und Emir Kusturica als Kosta in "On The Milky Road".

© Weltkino / Petr Nasic

Kusturicas „On the Milky Road“: Kriegsschäden

Liebe, Tod und allerlei groteskes Zubehör: Emir Kusturicas Serbien-Fantasie „On the Milky Road“ mit Monica Belluci ist ein kinematografischer Totalirrtum.

Dieser Regisseur traut dem Blick eines Vogels mehr als all unseren menschlichen Weltsichten zusammen. Das ist das Vorrecht des Künstlers. Natürlich ist Vogel nicht gleich Vogel. Die Gänseschar etwa, die einen Augenblick lang vor dem Scheunentor eines Balkan-Bauern innehält, während er ein Schwein schlachtet – als spüre ihre animalische Intelligenz den Moment, der das Leben vom Tod scheidet –, ist kein vertrauenswürdiger Beobachter. Als der Bauer das Blut des armen Schweins draußen in eine Badewanne gießt, fliegen die dummen Gänse eine nach der anderen hinein. Nunmehr blutrot, haben sie doch nichts dazugelernt. So wie wir auch.

Emir Kusturica ist ein Meister des absurden Kinos, ein magisch-anarchistischer Märchenerzähler, dessen Vernunft immer eine andere ist als jene, auf die man sich westlich des Balkans geeinigt hat. Westlich des Balkans? Schon diese Formulierung würde den Mann, der seit vielen Jahren den Anschluss an sich selbst zu verlieren scheint, vermutlich sehr verärgern.

Kein Mensch lebt dauerhaft auf der Höhe seiner eigenen Möglichkeiten. Die große Hoffnung lautete: Mit „On the Milky Road“ würde Emir Kusturica auf die Leinwand zurückkehren, und zwar als er selber. Aber schon die Gänse-Szene läuft ins Leere. Das schöne befreiende Feuerwerk des Absurden will nicht zünden. Dafür sehen wir überall vorsätzlich groteskes Zubehör, es wirkt sehr verloren.

Soldaten der Friedenstruppen jagen das Liebespaar

Ein kriegsversehrter Milchmann überquert mehrmals täglich auf dem Rücken seines Esels die Frontlinie des Bürgerkriegs im zerfallenden Jugoslawien. Er hat seinen Bruder an den Krieg verloren, er wüsste keinen Grund, noch in Deckung zu gehen. Ein löchriger Regenschirm schützt ihn – und ein Wanderfalke mit der allüberlegenen Perspektive. Das Auge Gottes.

Nie wird der Film den Falken aus den Augen verlieren und der Falke niemals den Milchmann Kosta und die Frau, die er liebt – eine schöne Italienerin, gespielt von Monica Bellucci. Die Rolle des Milchmanns übernimmt Kusturica selbst. Er hat sich das erste Mal selbst in einer Hauptrolle besetzt, und es wäre sehr ungerecht, hier von einer Fehlbesetzung zu sprechen.

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Der Milchmann und die Fremde gehen gemeinsam auf die Flucht. Was „On the Milky Road“ aber schon vorher zu Fall bringt, ist der Grund der Flucht. Ein britischer General lässt die Italienerin erbarmungslos verfolgen, weil er ihretwegen seine Gattin umbrachte. Das machte den General sehr wütend, sodass er nur noch an Rache denken kann. Das hält der stärkste Film nicht aus. Und dieser schon gar nicht. Zu Gesicht bekommen wir diesen Blindgänger der Liebe kein einziges Mal. Kusturica braucht nur seine Abgesandten, drei Soldaten der internationalen Friedenstruppen, Vertreter des Westens, die ein wehrloses Liebespaar jagen.

Die Aussage liegt auf der Hand: Die Liebe ist stärker als der Tod. Und wie im Märchen kommen die Elemente selbst und alle Tiere unter der Sonne den beiden zu Hilfe, und am Schluss ist der Tod trotzdem stärker. Ach, Kusturica! Der alte Magier ist noch da, er findet mitunter berückende Bilder, und manchmal muss man lachen. Aber leider nicht wie früher mit dem Film, sondern über ihn.

Ist Kusturica nur noch großserbischer Nationalist?

Viele werden sagen, sie haben gar nichts anderes erwartet. Manche hielten schon sein Meisterstück „Underground“ von 1995 für ein proserbisch-nationalistisches Machwerk. Die Geschichte einer Gruppe Partisanen während des Zweiten Weltkriegs, die das Kriegsende in Bunkern unter Belgrad verpassen und im Glauben gehalten werden, die Faschisten seien noch immer da. Bis eine Vorhut beschließt, das doch einmal selbst zu prüfen. Da befinden sie sich schon mitten im nächsten Krieg, dem Bosnienkrieg.

Ist Kusturica, einst auf allen großen Filmfestivals zu Recht mit Preisen überhäuft, nur noch ein großserbischer Nationalist, der verschrobene Heimatfilme dreht? Er trägt fast alle Nationalitäten des Balkans in sich. Jugoslawien war seine Heimat, solche Dinge sucht man sich nicht aus. Dieser Regisseur hasst den vormundschaftlichen Geist des Westens, die beanspruchte Deutungshoheit über das Schicksal seiner Heimat. Doch zuletzt waren da nur noch Missverständnisse. „On the Milky Road“ ist ein kinematografischer Totalirrtum.

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