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Arkadien mit niederländischen Einsprengseln. Jean-Jacques de Boissieus „Landschaft mit zwei Zeichnern“ (um 1795) belegt, wie wenig feste regionale Zuordnungen in der Kunst gelten.

© SMB, Kupferstichkabinett / Volker-H. Schneid

Kupferstichkabinett zeigt französische Meister: Galant im märkischen Sand

Einladung zum „Rendezvous“: Das Berliner Kupferstichkabinett zeigt seine französischen Meisterzeichnungen. Die Kollektion gilt als einer der besten der Welt.

Vier vertikale Knicke teilen das Blatt. Sie verraten, welche Funktion es ursprünglich besaß: ein Brief, der an diesen Stellen gefaltet war. Geblieben ist davon nur eine Landschaftsskizze, die der Schreiber mit brauner Tusche zwischen die Zeilen gesetzt hatte – vermutlich um dem Empfänger plastisch darzustellen, in welcher Gegend er sich gerade befand. Zu sehen ist eine hügelige Landschaft, am rechten Rand ein Gewässer mit zwei Booten, am Ufer einige Figuren, dazu zwei Häuser.

Das kleine Arkadien gewinnt noch mehr an Reiz, wenn man weiß, von wem es stammt. Nicolas Poussin war der Verfasser des ursprünglichen Briefes. Seine Zeichnung zeigt einen Ausschnitt der römischen Campagna, wohin sich der seit 1624 in Rom lebende Künstler immer wieder für Landschaftsstudien begab. Ein Sammler erkannte den Wert der Skizze, schnitt den Rest drum herum ab. Heute gilt es als Meisterblatt, auch weil an der zittrigen Lineatur der schraffierten Berge der Tremor zu erkennen ist, unter dem Poussin mit zunehmendem Alter litt.

Berliner Kollektion gilt als eine der besten

Das Landschaftsbild gehört zu den 100 „schönsten Franzosen“, die das Kupferstichkabinett aus seinem Depot hervorgeholt und zu einem reizvollen „Rendezvous“, so der Ausstellungstitel, geordnet hat. Ein Rendezvous findet tatsächlich statt, so nah wie man dem Künstler hier kommt, seiner Begeisterung für die Campagna, seinem Handicap beim Halten der Feder, der Entstehung eines neuen Bildes, auf das die Skizze verweist. Zum Rendezvous hat Dagmar Korbmacher eingeladen, einem Speeddating, wie die neue Direktorin des Kupferstichkabinetts es mit einem Augenzwinkern nennt. Als Referentin für französische (und italienische) Kunst bis 1800 konnte sie aus den Vollen schöpfen. Die Berliner Kollektion gilt außerhalb Frankreichs als eine der besten.

Das war zu Beginn noch nicht abzusehen. Friedrich der Große sammelte zwar Gemälde von Watteau, aber keine Zeichnungen. Doch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen diverse private und Künstlersammlungen hinzu, zu denen auch Zeichnungen gehörten, darunter glücklicherweise wiederum eine Vielzahl Meisterblätter aus Frankreich. In den 20ern kaufte Max J. Friedländer gezielt ein, sein Nachfolger in den 60ern und 70ern, Kabinettdirektor Matthias Wimmer, brauchte nur noch die Kirschen für die Sahnetorte zu erwerben, wie Dagmar Korbmacher es formuliert.

In der Kunst gelten Grenzziehungen wenig

Eine Völlerei findet in der Ausstellung trotzdem nicht statt, eher ein appetitliches Vergnügen, das sich in seiner Nonchalance an die populären Sommerausstellungen des Kupferstichkabinetts anlehnt mit ihren heiteren Themen. Nach dem süffigen Titel geben sich die Kapitel jedoch geradezu seriös: Porträt, Landschaft, Studienblätter und Geschichten. Dabei erweist sich, dass die Zuordnung ins französische Fach nicht immer passt, dass die Schublade klemmt, so Korbacher. So findet eine „fête galante“, gezeichnet von Antoine Pesne im Jahr 1745, überraschend in märkischer Landschaft statt. Drei elegant gekleidete Paare poussieren, parlieren miteinander mit dem Fischerdorf Kietz bei Bad Freienwalde im Hintergrund. Die Verlegung des typisch französischen Motivs in diese andere Kulisse hat ihren Grund. Seit 1711 war Pesne Hofmaler am preußischen Hof und suchte sich seine landschaftlichen Vorlagen in der Umgebung. Links ist das heute nicht mehr existierende kurfürstliche Jagdschloss zu sehen. Im gleichen Jahr schuf Pesne eine weitere Skizze des Fischerdorfes, auf dem die später abgebrannte Kirche noch steht.

Auch bei Jean Fouquet klemmt die Schublade regionaler Zuordnung. Wie viele französische Künstler lebte er lange in Italien und ließ sich dort inspirieren. Von ihm stammt das älteste Werk im Panorama französischer Zeichenkunst: die Bildnisstudie des Guillaume Jouvenel des Ursins von 1460, die männliche „Mona Lisa“ des Kupferstichkabinetts. Die gemalte Version des Porträts befindet sich heute im Louvre. Bei dem überaus lebensnahen Porträt des Kanzlers von Karl VII. benutzte Fouquet eine spezielle Technik mit unterschiedlichen Farben, von der man bis vor Kurzem noch annahm, dass sie erst eine Generation später von Leonardo da Vinci erfunden worden sei. Ein anderer französischer Künstler muss sie ihm beigebracht haben.

Die „schönsten Franzosen“ belegen auf ihre Weise, wie wenig in der Kunst Grenzziehungen gelten. In Zeiten nationalen Abdriftens einzelner Staaten gibt das Kupferstichkabinett mit seiner Einladung zum Rendezvous noch einmal anders zu denken. Und plötzlich gewinnt die Liebelei mit einer Briefleserin von Watteau, seiner italienische Schauspielertruppe oder einem Turbanträger von Lancret sogar eine politische Dimension.

Kupferstichkabinett, Kulturforum, bis 3. 3.; Di–Fr 10–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr. Katalog (Sandstein Verlag) 34 €.

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