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Blühende Fantasie. Benjamin Patterson: „Piano d’oiseux tropical“, 1989.

© Archivio Conz

Kunstwerke zeigen Sammlung Conz: Ein Gefühl, als würde Fluxus wiederauferstehen

Das Ausstellungshaus in Mitte präsentiert eine Schau mit 24 präparierten Pianos. Sie ist eine sinnliche Wucht.

Er hätte kleiner sammeln können. Briefmarken zum Beispiel oder alte Magazine, wie sie auf Flohmärkten massenhaft zu finden sind. Sicher hätten die von Francesco Conz geschätzten Künstler – George Brecht, Dorothy Iannone, Allan Kaprow, Henri Chopin – auch ihren Spaß daran gehabt, die einzelnen Seiten solcher Hefte zu bearbeiten.

Aber Conz dachte viel größer. Seine Funde in den 80er und 90er Jahren waren Klaviere, von denen sich die Gesellschaft damals verabschiedete. Mächtige Staubfänger aus bürgerlichen Wohnhäusern, billig zu kaufen. Und Conz, der ein großzügiges Grundstück im italienischen Erbezzo besaß und dort sein „Secret Museum“ installierte, hatte viel Platz.

Er lud zum präparierten Klavier, die Fluxus-Crew durfte sich austoben. Ihr Vorbild waren John Cage und Nam June Paiks „Klavier Intégral“ von 1963, dessen Tasten mit allem Möglichen verfremdet sind. Es ist eines von mehreren Instrumenten, die sich Paik damals in der Wuppertaler Galerie Parnass vornahm.

Wenn in den KW Institute for Contemporary Art ab dem heutigen Mittwoch für kurze Zeit 24 Klaviere aus der Sammlung Conz zu bestaunen sind, dann ist das eine Ausstellung mit Wucht.

„Pause: Broken Sounds/Remote Music. Prepared Pianos from the Archivio Conz collection“ heißt die Schau etwas umständlich. Vor allem jedoch vermittelt ihr Titel wenig von dem, was einen im Untergeschoss der Institution erwartet: Ein Moment, als würde Fluxus wieder auferstehen und die Besucher wie damals in Wuppertal schlicht überrollen.

Flügel, aus denen Farben und Fächer wachsen

Dabei gibt es einen Unterschied; die Klaviere in den KW sind schon lange fertiggestellt. Genutzt wird bloß noch eines, das für Performances zur Verfügung steht.

Dennoch wirft einen der Eindruck schier um. Zwei Dutzend Pianos und Flügel, aus denen Farben und Fächer wachsen und ziemlich sicher schräge Töne kommen. Wenn man sie überhaupt nutzen kann, was zumindest beim „Piano del papel higiénico" (1990) des italienischen Komponisten Walter Marchetti ausgeschlossen scheint: Erst wirkt es wie von Toilettenpapierrollen umhüllt, dann wird klar, dass Marchetti sein Instrument komplett daraus gebaut hat.

Als Pionier der interaktiven wie konkreten Musik brauchte der 2015 verstorbene Künstler nicht einmal mehr klingende Saiten für sein Werk. Bloß die Konturen, mit denen er assoziativ ein voluminöses Instrument erstehen lässt.

[KW Institute for Contemporary Art. Auguststr. 69, Eröffnung: 15. 1., 19 Uhr, bis 19. 1., Do 11 – 21 Uhr, Fr, Sa, So 11 – 19 Uhr]

Die übrigen Klaviere weisen teils in poetische, teils in anarchische Zonen. Je nachdem, mit welchen künstlerischen Absichten ihre „Überarbeiter“ unterwegs gewesen sind. George Brecht liebte Dadaismus und Surrealismus, sein Piano „Iced dice“ von 1989 ist wie ein Drink mit Trockeneis gefüllt.

Dem Instrument der spanischen Performancerin Esther Ferrer wachsen Flügel aus Metall, bei Carolee Schneemann, die stets mit ihrem Körper arbeitete, wird der Klavierflügel hochkant und ohne Beine zur Box, in dessen kurvigem Innern man wiederum Körperhaftes vermutet.

Dorothy Iannone hat ein Klavier in das typische Hintergrundweiß ihrer erotischen Bilder getaucht, und Ann Noël malt ihrem Instrument ein großes, hippieskes Gesicht auf den Bauch. Diese Vielfalt korrespondiert mit dem Charakter von Fluxus.

Nichts muss, alles kann – und an die Stelle des manifesten, verkäuflichen Werks tritt die Schönheit der schöpferischen Ausdruckskraft. Was durchaus zerstörerische Züge tragen kann.

Conz sammelte konkrete Poesie, Lettrismus, Aktionismus

Das Kollektiv, das sich Anfang der sechziger Jahre um den amerikanischen Künstler George Maciunas sammelte, war ohne Programm und verstand dies absolut positiv. Von Europa breitete sich die Idee in die USA und nach Japan aus. Etwas von diesem fließenden, intensiven Geist vermag die Schau im KW in die Gegenwart zu transportieren.

Belebt wird der Ort während der fünf knappen Ausstellungstage mit Performances etwa von Charlemagne Palestine oder Angharad Williams, zu deren Kunst auch das Schreiben zählt. So weist die Schau auf jenen anderen Aspekt hin, der Conz in seinen über drei Jahrzehnten als Sammler ähnlich wichtig war: konkrete Poesie, Lettrismus, Aktionismus.

Zusammen mit weiteren 40 Klavieren lagert dieser Schatz nicht weit von Berlin-Mitte entfernt in einem eindrucksvollen Archiv. In Jungfernheide, nahe der S-Bahnstation, wartet der größte Teil des Nachlasses auf seine Bearbeitung.

Das Archiv Conz gehört heute Unternehmer Daniel Hopp

Als Francesco Conz 2010 in Verona starb, wurde die Sammlung verkauft. Ihr neuer Besitzer war ausschließlich am Wiener Aktionismus interessiert und sicherte sich die Werke von Hermann Nitsch. Alles andere, an die 3000 Objekte mit Arbeiten von über 150 Künstlern und Künstlerinnen, Dokumenten und persönlichen Gegenständen, brachte er wieder auf den Markt.

Inzwischen gehört das Archivio Conz dem Investor und Unternehmer Daniel Hopp, der es professionell von Kunsthistorikern betreuen lässt.

Ein Archiv der unerhörten Möglichkeiten. Allein die Klaviere: 24 davon sind ausgestellt, die anderen warten sorgfältig verpackt in Regalen. Wer ihren ersten Auftritt gesehen hat, wünscht sich, dass alle zusammen so bald wie möglich zu sehen sein mögen. Was wäre das für ein Konzert!

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