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Die New Yorker Choreographin Nora Chipaumire (li.), Isabel Lewis (Mitte) und Kuratorin Solveig Ovesen in der Galerie Wedding.

© Juan Saez

Kunsttipp: Teezeremonie in Wedding

Können neue Konzepte der Liebe uns retten? Die Berliner Künstlerin Isabel Lewis versteht sich als moderne Salonnière, die Begegnungen arrangiert.

Für die Liebe gibt es keine allgemeingültige Definition. Romantiker würden sagen, dass die Liebe schön ist, verzeihend, bedingungslos. Dass sie in Krisen helfen und Berge versetzen kann. Aber es muss ja auch erstmal zur Liebe kommen. Die Soziologin Eva Illouz spricht von Liebestechnologien. Die neueste und merkwürdigste ist das Internet: Immerhin bringt es Menschen zusammen, wenn vielleicht auch nur kurz.

Wie Liebe entsteht, wie man sie modelliert und gestaltet, interessiert inzwischen auch die Kunst. Wieder, muss man sagen, denn auch die Surrealisten arbeiteten und glaubten stark an die Liebe. Danach verlor sie sich im Privaten, in der Kleinfamilie, im Konsum. Angesichts der ökologischen Krise unserer Zeit taucht sie nun wieder auf. Viele Künstler:innen wollen nicht mehr nur über Material, Werk und Autor diskutieren.

„Intim/e“ steht in violetter Leuchtschrift an den Scheiben der Galerie Wedding, da kann man leicht auf falsche Gedanken kommen. Wer nicht weiß, dass sich hinter der Fensterfront Ausstellungsräume befinden, könnte denken, an der Müllerstraße habe ein neues Massagestudio eröffnet. Hier werden aber nicht die angespannten Muskeln einsamer Großstädter geknetet, eher wird unsere Beziehungsfähigkeit durchgewalkt.

In ihrer Ausstellung „Intim/e“ erkunden die Berliner Tänzerin und Choreografin Isabel Lewis und der Künstler Dirk Bell, wie Intimität funktioniert, auch zwischen Fremden. Beide sind Spezialisten in Sachen Liebe. Isabel Lewis studiert seit Jahren die Philosophie der Liebe, las alles von Ulrich Beck bis Donna Haraway. Dirk Bell hat mit dem „Loveabeth“ eine minimalistische Typographie der Liebe entwickelt. Das hat sie zusammengebracht, künstlerisch und privat.

Eine Einladung für alle Sinne

In der Galerie sind die Wände halb schwarz, halb weiß gestrichen, ein Blumenbouquet zieht die Blicke auf sich, auch der Vorraum ist in schwarz getaucht, Regale sind mit Büchern gefüllt. Davor ein Tisch mit Stühlen und darauf eine Orange mit kunstvoll aufgerissener Haut. Es ist eine Ausstellung, und auch wieder nicht. Isabel Lewis und Dirk Bell, dessen Love-Skulptur vor dem Berghain viele kennen dürften, haben die Galerie zu einem Begegnungsort umgestaltet.

Der Ort ist in den nächsten Wochen Studio, Club und Salon. Regelmäßig sind Musiker, Künstler, Tänzer und Denker eingeladen, natürlich alles mit 2G. Eine multisensorische Einladung. An den Wänden hängt Konkrete Poesie, in der Mitte steht ein Mischpult, aus einem Lautsprecher, der sich ausstülpt wie der Trichter eines Grammophons brabbelt Elektromusik, meist Tracks von Isabel Lewis.

Teezeremonie mit der Künstlerin Dambi Kim (links).
Teezeremonie mit der Künstlerin Dambi Kim (links).

© Michaela Filzi

Isabel Lewis, 1981 in der Dominikanischen Republik geboren und in Florida aufgewachsen, wollte ursprünglich Balletttänzerin werden, ging zur Ausbildung nach New York, studierte dann aber Tanz, Philosophie und Literaturwissenschaften in Virginia. Zurück in New York trat sie als Choreographin und Tänzerin an den wichtigsten Orten für modernen Tanz auf, The Kitchen, PS 122, Dia Foundation.

Unzufrieden mit dem distanzierten Blick, den die Theaterbühne bot, fragte sie sich, wie sie die Beziehung zwischen Performer und Zuschauer anders gestaltet könnte, zumal als Person of Colour, als Frau. So entstanden die „Hosted Occasions“, die „moderierten Gelegenheiten“, die sie seitdem in Clubs, in ihrem Weddinger Studio oder im Ausstellungsraum anbietet. Hören, fühlen, schmecken, alle Sinne sollen angeregt werden.

Eine moderne Teezeremonie von Dambi Kim

An einem Nachmittag im Dezember ist eine Teezeremonie angesetzt, Lewis hat die Künstlerin Dambi Kim eingeladen. Die Koreanerin, mit Standbein in Berlin und Seoul, erforscht Kräuter und Pflanzen, Gerüche, Musik und Meditation. Jetzt stehen Orangenscheiben, Basilikum, Koriander und allerhand Gewürze auf einem Tischchen. Dambi Kim leitet ein Teeritual an.

Eine Person soll jeweils Tee für eine andere zubereiten. Dambi Kim ist eigentlich auf non-verbale Kommunikation spezialisiert, geredet wird dann aber doch. „Wie geht es dir, was brauchst du jetzt?“, wird etwa gefragt. Lewis sieht in Dambi Kim eine Verbündete, wie sie sagt. Während die Koreanerin japanische und chinesische Teerituale neu interpretiert, hat Lewis intensiv die westliche Salonkultur studiert. Beide entwickeln Geselligkeitsrituale für die Jetztzeit, die Parameter der Liebe spielen dabei immer eine Rolle: positive Beziehungen, die sich auf Menschen und auf Natur und Umwelt richten können.

An einem anderen Tag führt Lewis ein Gespräch mit der in New York beheimateten und in Zimbabwe geborenen Choreographin Nora Chipaumire, ein Star der zeitgenössischen Tanzszene, die in ihren energetischen Auftritten afrikanische Stereotype und rassistische Vorteile angeht. Chipaumire, mit grauem Overall und Cowboyhut, soll erzählen, wo sie sich zuhause fühlt, welche Rolle Sprache für sie spielt. Sie sagt, ihre erste Sprache sei die Körpersprache. Ihre Worte sind von expressiven Gesten begleitet, während die Musik aus den Lautsprechern pluckert. Die Sprache und das Körperliche, viele haben vergessen, dass das zusammengehört. Nur in der Liebe ist das klar.

Sprache und Körper – beides gehört zur Begegnung

Isabel Lewis zog 2009 nach Berlin. Seitdem hat sie hier unzählige Lecture Performances, Workshops, Tanz- und Musik-Sessions veranstaltet, im Gropiusbau im Schinkel Pavillon, im Hebbel am Ufer, aber auch in der Londoner Tate Modern. Zuletzt trat sie in der Bonner Bundeskunsthalle und im Münchner Haus der Kunst mit Dirk Bell auf.

Lewis erinnert sich noch genau an den Tag des Kennenlernens, den 1. Mai 2019. Auf einem Brandenburger Industrieareal, das zum Kunstort umfunktioniert werden sollte. „Es war wie eine Explosion der Gefühle“, sagt sie. Vorher schrieb sie Texte, danach Poesie. „Jede Liebe ist eine Heilung“, heißt es in einem ihrer Songtexte, der mit Bleistift an die Berliner Galeriewand geschrieben ist, Lewis hat ihn ergänzt um die Worte „partially at best“. Teilweise.

[Bis 12.2.2022, Galerie Wedding, Müllerstr. 146/147, Di-Sa 12-19 Uhr. Die nächste Teezeremonie mit Dambi Kim ist am 6.1.2022.]

Für Lewis ist Intimität vor allem eine Frage des Formats, ein Set an Begegnungstechniken, die modelliert und erforscht werden wollen. So erzählt sie es bei einem Treffen in der Ausstellung. Mit dabei ist Kuratorin Solveig Ovesen. Die beiden Frauen arbeiten für die Galerie Wedding an der Ausstellungsserie „Existing otherwise“. Es geht dabei nicht nur um den Zustand der Kunst, sondern um den Zustand der Welt, um ein anderes Zusammenleben auf dem Planeten.

In seinem „Wegweiser, um uns durch die Klimakrise zu führen“ spricht der britische Nachhaltigkeitsexperte Jem Bendell von Tiefenanpassung. Der nahe gesellschaftliche Zusammenbruch sei aufgrund des Klimawandels unvermeidlich. Die Frage sei nur, wie gestalten wir den Rest der Zeit?

„Siebzig Prozent der Kommunikation zwischen Menschen ist nonverbal. Das bedeutet, dass wir ohne Körpersprache, Gesten, Geruch, Berührung, Kleidungsstil und Stimmung so gut wie gar nicht kommunizieren“, sagt Lewis. Das Timbre der Stimme, die Energie oder die „Chemie“ zwischen Menschen vermitteln sich am besten, wenn man sich von Angesicht zu Angesicht begegnet. Aber Lewis möchte auch in Abwesenheit und aus der Distanz heraus verführen. Die Qualitäten, die Ästhetik und der Rhythmus der Liebe könnten dabei helfen.

„Wir müssen dringend nach Wegen suchen, wie wir weiterhin reichhaltig und umfassend kommunizieren können.“ Man muss an mehreren Abenden vorbeikommen, um zu begreifen, was hier passiert. Und wahrscheinlich noch öfter, damit es wirkt . Die Liebe ist und bleibt ein Gewächs der Zeit.

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