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Hüttendorf. Der Entwurf der Architekten Nicolas Moreau and Hiroko Kusunoki für die finnische Guggenheim-Dependance sieht eine Ansammlung Pavillons vor, ummantelt mit geschwärztem Holz.

© Moreau Kusunoki

Kunstszene Helsinki: Das Guggenheim-Gespenst

Helsinki in Aufruhr: In der finnischen Hauptstadt formiert sich Widerstand gegen eine Dependance des New Yorker Museums.

Dieses Großprojekt scheidet die Geister. Soll man dafür stimmen, für Glanz und Gloria? Oder ist es finanziell suspekt? Wer nach Helsinki reist und die Kunst sucht, wird permanent mit diesen Fragen, dem Für und Wider einer finnischen Dependance des Guggenheim-Museums konfrontiert. Noch liegt das ausgewählte Grundstück im Zentrum der finnischen Hauptstadt still da, direkt am Ufer gleich neben der Deutschen Kirche, perfekt um vom Land und von der See angesteuert zu werden, ein Eye-Catcher.

Seit dem Sommer gibt es einen Architekturentwurf, das Pariser Büro Moreau Kusunoki hat sich gegen 1714 Konkurrenten durchgesetzt. Es schlägt mehrere Ausstellungspavillons vor, ummantelt von geschwärztem Holz, die sich wie die Hütten eines Dorfes zusammenschieben, in der Mitte ein 45 Meter hoher Turm als Ausguck und Signet. Doch der Entscheidungsprozess ist ins Stocken geraten, in Helsinki wogt das Meinungsbild hin und her. Die Gegner fürchten den Knebelvertrag mit dem New Yorker Franchising-Unternehmen Guggenheim, das 30 Millionen Dollar Lizenzgebühren für seine Leihgaben verlangt, die 130 Millionen Dollar Baukosten aber dem Gastland überlässt, ebenso den millionenteuren Unterhalt.

Gegner und Befürworter der Guggenheim-Dependance argumentieren mit Zahlen

Die Befürworter bieten ebenfalls Zahlen auf: 550 000 Besucher sollen im Jahr kommen, 41 Millionen Euro Einnahmen werden erwartet, dazu jede Menge Jobs nicht nur im Museum, sondern in der ganzen Stadt. Der berühmte Guggenheim-Effekt wie in Bilbao wird für Helsinki erhofft, mit Touristenströmen, ins Land fließendem Geld. Einen Anschub der Infrastruktur wie die baskische Stadt braucht Helsinki zwar nicht, jedoch einen Weckruf für die eigene Kunstszene, die am nordöstlichen Zipfel Europas bislang ziemlich abgehängt war.

Wer in der Kunst etwas werden will, überregionale Anerkennung sucht, der muss gehen, das kleine Land mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern verlassen. Denn einen nennenswerten Kunstmarkt gibt es nicht, ebenso wenig Sammler von Rang wie der Unternehmer Timo Miettinen, der seit einigen Jahren in Berlin einen Salon unterhält. Fürsprecher der Guggenheim-Idee finden sich deshalb nicht nur unter ehrgeizigen Kommunalpolitikern und finnischen Industriellen, sondern auch unter Galeristen und Künstlern. Allerdings solchen, die international operieren, wie die junge Galerie Helsinki Contemporary, die auf Messen im Ausland geht, oder der in Berlin lebende Fotokünstler Ola Kolehmainen. In Helsinki schallt dagegen aus den Museen und Ateliers der Ruf: International können wir selber, hätten wir mehr Geld. Die finnische Kultusministerin hat deshalb angekündigt, das staatliche Fördersystem „VOS“ für die Kunstinstitutionen, die städtischen Orchester und Theater zu reformieren

Doch tut sich jetzt schon etwas in Helsinki, die Stadt rüstet sich für das große Jubiläum 2017. Das Land feiert dann seine hundertjährige Demokratie als eine der ältesten in Europa. Auch Kunst und Kultur sollen dann strahlen und auf die Nachbarn, traditionell vor allem Russland und Deutschland, Eindruck machen. Die Gelegenheit, seinen Ruf zu bessern und nicht nur als Weltspitze in Hightech und Sport dazustehen, will sich Pekka Huhtaniemi, zuletzt Botschafter in London und nun Sprecher der Jubiläumsfeierlichkeiten, nicht entgehen lassen. „Gemeinsam“ lautet das Motto für 2017, nicht zuletzt als Gegenreaktion auf die jüngsten fremdenfeindlichen Attacken. Rechte Kräfte formieren sich zunehmend auch hier, denn statt der erwarteten 4000 Flüchtlinge wird Finnland insgesamt 50 000 im Laufe dieses Jahres aufnehmen.

„Gemeinsam“ lautet auch die Strategie der neun Kunstmuseen in der Stadt, die alle dicht beieinander liegen. Kommunität, nicht Konkurrenz belebt hier das Geschäft. In Helsinki geht es gemütlicher zu, eine gewisse bürgerliche Behaglichkeit wird auch der Kunst noch immer zugeschrieben. Das hat mit der jungen Geschichte des Landes zu tun, das die längste Zeit unter der Kuratel Schwedens und Russlands stand.

Eine eigene Kunstszene, Akademien gab es lange nicht, die Finnen waren vor allem mit dem Aufbau ihrer eigenen Nation beschäftigt. Die Maler gingen im 19. Jahrhundert zum Studieren nach Stockholm, St. Petersburg und Düsseldorf, die Kollektion der finnischen Nationalgalerie im Ateneum wurde erst in den 1850er Jahren begründet: vor allem mit Landschafts- und Historienmalerei. Zu den beliebtesten Stücken gehört bis heute das Gemälde zweier kämpfender Auerhähne aus dem Jahr 1886 von Ferdinand von Wright. Die Direktorin des Hauses, Susanna Pettersson, hat sich deshalb für die Zukunft vorgenommen, mehr zeitgenössisch zu sammeln und nach der Wiedereröffnung des sanierten Hauses die pädagogische Arbeit zu verstärken.

Aufbruchstimmung auch im Helsinki Art Museum, das seit seiner Einweihung im Herbst in einer ehemaligen Tennishalle aus den dreißiger Jahren nicht nur seine Ausstellungsfläche auf 3000 Quadratmeter verdoppeln konnte, sondern sich seitdem sportlich-flott HAM nennt. Süßlicher Popcorn-Duft zieht durch die Säle, denn das Museum teilt sich die Immobilie mit einem Einkaufszentrum und einem Kino. Direktorin Maija Tanninen trägt es mit Fassung. Ihr gefällt die gemeinsame Unterbringung und sie hofft auf spontane Besucher, die aus dem Kino oder den Boutiquen anschließend auch in ihre Räume schwappen.

Die Eröffnungsausstellung mit Ai Weiwei ist ihr erster Coup. Besucher aus dem Ausland kennen die Arbeiten zwar nur zu gut, die seit Jahren durch große internationale Ausstellungshäuser touren, doch für Helsinki sind sie neu. Das HAM versucht den Spagat: einerseits die internationalen Größen in den Norden zu holen, andererseits lokal verankert zu bleiben. Seit 1968 darf sich jeder finnische Künstler darum bewerben, in der HAM-Galerie auszustellen, ausgewählt von den Kuratoren des Hauses. Dieses Angebot bleibt auch nach dem großen Relaunch bestehen. „Gemeinsam“ gilt hier auch intern, die bekannten und weniger bekannten Künstler sollen nicht auseinanderdividiert werden.

Aus den Sechzigern stammt auch das private Amos Anderson Museum, das bislang im Wohnhaus des 1961 verstorbenen Verlegers residiert. Seine ehrgeizigen Baupläne gelten als finnisches Gegenstück zur Guggenheim-Initiative. 2018 will die Anderson-Stiftung unter dem Lasipalatsi-Platz mitten im Zentrum ein neues Museum mit 2000 Quadratmetern einweihen. Ein riesiger Turm wird auch hier zum Markenzeichen des Neubauprojekts, das meterhoch aus dem Boden kragt. Anders als beim Guggenheim gibt es hier keine Verpflichtungen für die öffentliche Hand, denn die Stiftung übernimmt die kompletten Baukosten von 50 Millionen Euro. Aber auch hier bestehen wirtschaftliche Interessen, denn der Stiftung gehört die benachbarte Shoppingmall, die eine kulturelle Aufwertung, eine neue Klientel gebrauchen kann.

Während über Guggenheim diskutiert wird, entsteht bereits ein anderes Privatmuseum

Der ökonomisch angeschlagenen Stadt kommt dies trotzdem entgegen, die seit dem massiven Wegfall russischer Tagestouristen, die nur zum Einkaufen anreisten, starke Einbußen hinzunehmen hat. Der Eingang in das unterirdische Anderson Museum befindet sich wie beim HAM in einem Einkaufszentrum samt Kino, der ehemalige Glaspalast. Ähnlich wie die Tennishalle des HAM stammt auch der Lasipalatsi aus den dreißiger Jahren, der Boomzeit finnischer Moderne-Architektur. Dennoch hinkt der Vergleich mit dem Guggenheim: Bei Amos Anderson werden nur finnische Künstler gezeigt. Der gewünschte Anschluss an die europäischen Nachbarn wird mit diesem Museumsprojekt nicht geschafft.

Umso mehr bemüht sich darum das Ende der neunziger Jahre in einem schnittigen Postmoderne-Bau eröffnete Museum Kiasma, das die Gegenwartskunst der finnischen Nationalgalerie beherbergt. Aktuell ist die Ausstellung „Demonstrating Minds“ zu sehen, passend zur zunehmenden Politisierung der Kunst, die am deutlichsten bei der Biennale in Venedig mit einer Dauerlesung von Karl Marx’ „Kapital“ zu sehen war. Passend auch als Gegenoffensive zu den jüngsten fremdenfeindlichen Übergriffen, so will es zumindest Museumsdirektor Leevi Haapala verstanden wissen. Beiträge angesagter Künstler wie Kader Attia, Mika Rottenberg, Ama Kenawy, Goshka Macagua demonstrieren den Wunsch von Kiasma, am internationalen Diskurs teilzunehmen.

Und doch darf Lokalmatador Markus Heikkerö unter dem Titel „Life is a bitch, baby“ über ein ganzes Geschoss parallel seine erotisch esoterische Malerei ausbreiten. Liest man die Liste seiner vielen Ausstellungen in und um Helsinki, so scheint es das Leben in Finnland mit ihm doch recht gut zu meinen. Am Eröffnungsabend ist er jedenfalls der Star, die finnische Antwort auf Jeff Koons. Guggenheim kann warten.

HAM, Ai Weiwei, bis 28. 2.; Kiasma, „Demonstrating Minds“, bis 20. 3., Heikkerö, bis 10. 1.. Die Recherchen wurden unterstützt von der Botschaft Finnlands in Berlin.

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