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Es war ein anderer. Nicht Giorgione, wie anfangs gemutmaßt, sondern Girolamo Romanino malte „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“ 1519.

© Jörg P. Anders/Staatliche Museen, Gemäldegalerie

Kunstschätze von Edward Solly: Die Geburt der Gemäldegalerie begann mit dieser Sammlung

Die Gemäldegalerie erinnert an den Engländer Edward Solly. Seine Sammlung legte im 19. Jahrhundert einen wichtigen Grundstein für das Berliner Museum.

In Berlin sammelt man nicht Kunstwerke, man sammelt Sammler. So ähnlich hat es einmal Peter-Klaus Schuster formuliert, der frühere Generaldirektor der Staatlichen Museen. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der seinerzeit Königlichen Gemäldegalerie könnte kein Satz zutreffender sein, denn zwei private Sammlungen stehen an ihrem Beginn: die Sammlung Giustiniani und die Sammlung Solly. Erstere war eine fürstliche Sammlung des 17. Jahrhunderts, letztere aber ein bürgerlicher Besitz, zusammengetragen in den unruhigen Jahren nach Napoleon, als Kunstwerke in nie gekannter Fülle verkäuflich wurden.

Der Sammlung des englischen, einige Jahre in Berlin ansässigen Kaufmanns Edward Solly ist die Ausstellung gewidmet, die die Gemäldegalerie jetzt integriert in ihre Dauerpräsentation zeigt. Solly, nach glanzvollem Aufstieg zum Großkaufmann mit europaweiten Niederlassungen doch in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, verkaufte seine unfassliche 3012 Gemälde umfassende Sammlung mit Wirkung zum 17. November 1821 für eine halbe Million Taler an den preußischen Staat, nicht ohne zu vermerken, dass ihre Erwerbung insgesamt wohl das Doppelte gekostet habe. Solly, ein Mäzen?

So ganz genau wollen sich die Kuratoren der Ausstellung nicht festlegen, als Gast Robert Skwirblies, der über die Sammlung promoviert hat, und aus der Gemäldegalerie selbst Neville Rowley. Sie weisen beim Rundgang durch den einen größeren Saal und das anschließende Kabinett, die die Ausstellung beherbergen, auf die in Vitrinen ausgebreiteten Akten und Schriftstücke, in denen das Wort „patriotisch“ vorkommt. Solly war dem preußischen Staat, der aus der Niederlage gegen Napoleon 1815 wiedererstanden war, auf erstaunliche Weise zugetan. In einem Schreiben von 1819 an den preußischen Kultusminister spricht Solly davon, sich „dem Staate gefällig zu machen“, indem er seine Kunstsammlung als „Unternehmen“ darstellt, „welches nur Souveraine gebühret einzulaßen“.

An ein von Bürgern getragenes Museum war zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht zu denken, es blieb dies eine Aufgabe von „Souverainen“. Unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. wurde immerhin Bildung zum Allgemeingut und die Gründung eines Museums dringlich. Die Bildersammlungen in den Schlössern reichten nicht aus, schon gar nicht repräsentierten sie die Entwicklung der Kunst. Dass sich der Ankauf der Sammlung Boisserée zerschlug – sie bildet seither einen Kernbestand der Münchner Alten Pinakothek –, machte den Ankauf der in Berlin zusammengetragenen Sammlung Solly nur umso wichtiger. Heute sind noch rund 700 Werke der Solly-Kollektion im Bestand der Gemäldegalerie, hunderte weitere Bilder gingen an die preußischen Schlösser im Austausch mit Werken, die für das Museum der Hauptstadt ausgewählt wurden. Etliches wurde zudem weiterverkauft.

Eine auch nur annähernde Präsentation der Sammlung Solly wäre heute nicht mehr möglich. Was das Kuratorenteam zusammengetragen hat, ist auch keine Auswahl von Spitzenwerken; vielmehr wird der Wandel an Zuschreibungen und Wertschätzung deutlich gemacht. Denn was Solly erwarb, war oft nicht das, wofür es seinerzeit galt, und umgekehrt stieg manches in der Werteskala, wie der von Solly nur beiläufig erworbene Rembrandt, „Jakob ringt mit dem Engel“. Immerhin kam mit der Kaufmannssammlung der erste Raffael ins Museum, „Maria mit dem Kinde“ von 1502, anerkennend auch „Madonna Solly“ genannt.

Ein falscher Leonardo

Parallel zu diesem Hauptwerk zeigt die jetzige Ausstellung ein Bild, das damals Leonardo zugeschrieben wurde, gleichfalls eine Maria mit dem Kind. Man wollte ein Gemälde von der Hand Leonardos besitzen. Doch schon eine erste wissenschaftliche Untersuchung förderte zutage, dass ein unbekannter lombardischer Maler der Urheber sein musste, und das Gemälde wurde seither, wie Rowley im begleitenden Katalog anmerkt, „nur wenig besprochen“. Nicht einmal der Riss im bildtragenden Walnussholz, der sich durch die Stirn der Madonna zieht, wurde bislang restauriert. Dass eben diese Partie den Umschlag des Katalogs ziert, macht auf den Wandel im kunsthistorischen Urteil aufmerksam.

[Gemäldegalerie am Kulturforum, bis 16. Januar. Katalog im Deutschen Kunstverlag, 36 €.]

Ein anderes, bezeichnendes Beispiel ist die Gruppe von drei lebensgroßen Paar-Darstellungen des Flamen Jan Gossart. Er schuf 1516 mit „Neptun und Amphitrite“ eine der ersten, bewusst antikisierenden Darstellungen nördlich der Alpen. Der Maler war um 1509 in Rom gewesen und hatte die römische Antike vor Ort studiert, zugleich aber entlehnt er Figuren bei Dürer, dem unbestrittenen Stern der nordalpinen Kunst. Ein anderes Sujet, aber eine ähnliche Auffassung zeigt Gossart in „Adam und Eva“. Doch das vermeintliche Original aus Sollys Besitz entpuppte sich als wenn auch wenig spätere Kopie. Und ein dritter, originaler Gossart hängt an der Wand: nochmals Adam und Eva, aber bewegter im Vollzug des fatalen Apfelgenusses – und nicht von Solly erworben.

An solchen Überschneidungen wird deutlich, wie sich die riesige Kaufmannssammlung allmählich im Museumsbestand quasi auflöste. In der Dauerausstellung der Gemäldegalerie sind nunmehr weiße Täfelchen unter den Gemälden angebracht, die einst von Solly erworben wurden – bemerkenswert viele und an bemerkenswert erstklassigen Bildern. Fast wirft die Sonderausstellung ein falsches Licht auf Solly, zeigt sie doch eher problematische, vom kunsthistorischen Urteil in Zweifel gezogene Werke anstelle der unbestrittenen Glanzlichter.

Was Berlin Edward Solly zu verdanken hat, wird nur angerissen

Manches übrigens kommt in neuer Rahmung daher: Karl Friedrich Schinkel, ohne den in Preußens Kulturpolitik wohl gar nichts lief, war an der Bewertung der Solly-Fracht beteiligt und entwarf für etliche Bilder eigene Rahmen. Sie galten späteren Zeiten als nicht mehr angemessen, aus heutiger Sicht ein Fehlurteil, das Rowley am Beispiel des Großformats der Brüder Ghirlandaio mit der „Thronenden Maria“ von 1483 revidiert: Schinkel hat für seinen mit Palmetten geschmückten Rahmen sehr genau die Fußleiste des im Bild dargestellten Podiums studiert.

Aus dem Rahmen allerdings fällt das einzige, nur als schwarz-weiße Reproduktion gezeigte Bild: eine Seitentafel des Genter Altars der Brüder van Eyck. Auch dieses, heute als singuläre Kostbarkeit in der Genter Kathedrale gezeigte Werk gehörte zu Sollys Bestand. Die Kirchenoberen hatten das mehrteilige Altarbild 1816 verkauft, in Preußen wurde es bald darauf mit 60 000 Talern höchstbewertet. 1920 ging es, eigens im Versailler Vertrag aufgeführt, als Reparationsleistung an Belgien. Erst in Berlin hatte es einen mächtigen Anstoß für die Entwicklung der Kunstgeschichte zur Wissenschaft gegeben. Was die Stadt und die Gemäldegalerie dem Engländer Edward Solly zu verdanken haben, wird mit der jetzigen Ausstellung gerade einmal angerissen.

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