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Der finnische Kunstsammler Timo Miettinen in seinem Charlottenburger Depot.

© Mike Wolff

Kunstsammler und Kunstmessen: Alle meine Schätze

Die Sorgen der Sammler: Auf der Suche nach den verborgenen Kunstdepots Berlins. Und wie die Messen wie die Art Berlin Contemporary die potenten Käufer in die Stadt locken.

Zur Logik des Sammelns gehört das Platzproblem. Timo Miettinen steht in seinem Lager mit den aufeinandergestapelten Leinwänden und schält ein Tableau des finnischen Künstlers Matti Kujasalo aus der Noppenfolie. Gefunden. Es soll in der Einzelschau gezeigt werden, die Miettinen in der Beletage seines Salons Dahlmann zur Art Week präsentiert (Marburger Str. 3, 19. 9. – 31. 10., Sa 11–16 Uhr, während der Art Week 11 – 18 Uhr). In den drei Räumen drumherum lehnen Gemälde auf Holzgestellen, daneben türmen sich Kisten. Alles ist bereit zum Umzug in ein größeres Lager. Iiris Miettinen, die Frau des finnischen Unternehmers meint, dass es jetzt mal reiche mit dem Sammeln. Aber ihr Mann liebt die Kunst. Und deshalb muss er jetzt Ordnung schaffen, damit er nicht noch länger suchen muss – obwohl jedes Werk in einem Archiv erfasst wird.

Miettinen bewahrt nur einen Teil seiner Sammlung hier in Berlin auf, ein anderer Teil befindet sich in Helsinki, verstreut auf die Familie und die Firma, das Elektrotechnologie-Unternehmen Ensto. Rund 600 Werke gehören ihm, überschaubar genug, um sich zusammen mit einem Assistenten selbst darum zu kümmern. Noch. Zum Vergleich: Eine der größten deutschen Sammlungen, die von Reinhold Würth, der gerade eine Auswahl im Martin-Gropius-Bau zeigt, umfasst 1 000 Objekte.

Depots entsprechen meist den Ansprüchen eines Museums

Dabei kommt es nicht auf die Größe an. „Die meisten Sammler arbeiten mit Dienstleistern zusammen“, sagt Albrecht Eichler von der Kunst-Spedition Brandl. Unternehmen wie seines entwickeln sich immer mehr zum All-Inclusive-Anbieter und sind nicht allein auf den Transport in luftgefederten, vollklimatisierten Lastkraftwagen spezialisiert, sondern bieten auch Lagermöglichkeiten an. Die zur Aufbewahrung von Privatbesitz beanspruchten Flächen variieren in Deutschland enorm. Junge Sammler mieten zehn Quadratmeter, Großsammler 5000 und mehr. Zehn Euro kostet im Schnitt der Quadratmeter im Monat.

Viele Spediteure bieten auch die EDV-gestützte Inventarisierung und Dokumentation sowie den Lkw-Kran für das Handling von Großskulpturen. Wo in Deutschland solche Lagerhäuser stehen, bleibt geheim. Auch über die Sicherheitsvorkehrung mit Stahltüren, Sensorenüberwachung und privaten Security-Diensten werden lieber nicht zu viele Worte verloren, ungern gesprochen. „Damit das Depot versicherungstechnisch anerkannt wird, müssen Mindeststandards für Sicherheit und Klima gewährleistet werden“, sagt Eichler. Zumeist entsprechen sie den Ansprüchen eines Museums. Überhaupt ist das Thema Depot delikat. Viele Sammler wollen nicht darüber reden, geschweige denn einen Blick hineinwerfen lassen. Depotware gilt mitunter auch als Investitionsware. Eingelagert über Jahre, kann sie im Verborgenen ihren Wert steigern.

"Alles fängt im Wohnzimmer an!"

„Ich sammle erst gar nicht für’s Storage“, sagt Christian Kaspar Schwarm, Mitinhaber einer Kommunikationsagentur und Begründer der Internetplattform „Independant Collectors“, eine Art soziales Netzwerk für Sammler zeitgenössischer Kunst. Zwar ist die Kollektion des 43-Jährigen inzwischen schon so groß, dass in seinem Büro nicht alles gleichzeitig hängen kann und er auswechseln muss, aber ein externes Lager kommt für ihn nicht infrage. Und wenn er weiter sammelt? Eine Lösung für das Dilemma hat er nicht, gibt er zu. Vielleicht so: Nicht mehr zehn kleine Werke pro Jahr kaufen, sondern nur noch eine relevante Arbeit alle zwei Jahre. Wobei es ihm, möchte er klarstellen, sowieso nicht um Masse geht. Auf seiner Plattform „Independant Collectors“ dürften sich auch private Sammler mit zwei bis drei Werken präsentieren.

Christian Kaspar Schwarm und Timo Miettinen gehören zu der Initiative „Berlin Collectors“, ein Zusammenschluss privater, öffentlich zugänglicher Kunstsammlungen. Auch das Ehepaar Haubrok gehört dazu. 900 Arbeiten besitzen sie, vor allem zeitgenössische Minimal Art und Konzeptkunst, 30 bis 50 Werke stellen sie in regelmäßigen Abständen auf dem Gelände der Fahrbereitschaft in Lichtenberg aus. Für die Art Week hat Axel Haubrok eine Gruppenschau zum Thema Musik konzipiert (Herzbergstr. 40–43, bis 28. 11., während der Art Week: 16.9. 16–19 Uhr, 18.–20.9. 12–18 Uhr). Dazu blättert der Unternehmensberater sich am Computer durch die Files seines digitalen Archivs, schaut, was sich kombinieren lässt. Ins Depot muss er dazu nicht gehen. „Um die Katalogisierung kümmere ich mich selbst“, sagt er. „Ich will ein Gefühl für meine Sammlung behalten.“ Ob er sich von Anfang an Gedanken gemacht hat, wie er einmal sein Hab und Gut aufbewahrt? Nein, sagt Haubrok. Denn so entstünden Sammlungen ja nicht. „Alles fängt im Wohnzimmer an“, bekennt Kollege Miettinen. Und meint damit: Die ersten Käufe waren dazu da, das zu Hause einzurichten. „Aber wenn man beginnt, einen Künstler zu begleiten, dann werden es immer mehr Objekte." In der Berliner Sammler-Ausstellung „Proximities and Desires“ im Rahmen der ABC-Messe stellt er den Spanier Secundino Hernández vor. Ein Künstler, der ihn ebenfalls nicht mehr loslässt. Anna Pataczek

Ein Fest für Sammler

Die Kunst möge unabhängig sein, die Freiheit des Geistes befördern, gern den Kapitalismus kritisieren und die Augen öffnen für soziale Konflikte. Aber sobald die nächste Messe ins Haus steht, wird sie zur Ware und soll sich verkaufen lassen wie geschnitten Brot. Dieser Widerspruch beschäftigt auch die Art Berlin Contemporary, die das Wort Messe so krampfhaft meidet. „Berlin ist als Kunstmarkt schwierig", sagt Maike Cruse, die Direktorin der ABC, „aber die Künstlerhauptstadt und einer der wichtigsten Galerienstandorte.“ Um internationale Sammler, Kuratoren und Museumsdirektoren in die Stadt zu locken, hat die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft in diesem Jahr 100 000 Euro für das Vip-Programm draufgelegt. Geplant sind Studiotouren zu dreißig Ateliers. Rund tausend Einladungen sind verschickt, ein Abendessen sorgt für gesellschaftlichen Glanz.

Berlin hofft, dass sich die Ausgaben über Hotelbuchungen und Shoppingtouren amortisieren. Im Vergleich zum weltumspannenden Netz der Art Basel wirft die ABC nur kleine Köder aus. Die Schweizer stellen guten Kunden rund um das Jahr etwa 25 Verbindungsleute in Asien, Europa, Nord- und Südamerika zur Seite. Die Schwerpunkte des Vip-Programms richten sich nach den örtlichen Gegebenheiten der Basel-Messen. Museumsbesuche in Basel, Besichtigungen privater Sammlungen in Miami und Studiotouren in Hongkong.

Vielfalt durch gnadenlose Selbstausbeutung

Jetzt soll auch die ABC ein Fest für Sammler werden. Ein Drittel der Ausstellungsfläche ist Werken Berliner Privatkollektionen vorbehalten, hier können junge Sammler lernen. Aber warum die Kunstkäufer zum Jagen tragen? In schicken Shuttle-Limousinen, wenn für Flüchtlinge BVG-Tickets fehlen? Sammler haben Geld, aber keine Zeit, lautet die Begründung. Da sollten die Argumente der Initiative Zeitstipendien auf offene Ohren stoßen. Die Künstlergruppe um Ulf Aminde und Sabine Reinfeld weist auf eine andere Diskrepanz im Berliner Kulturbetrieb. Seine Vielfalt entspringt oft gnadenloser Selbstausbeutung. Das gilt auch für die Projekträume, die in diesem Jahr als nichtkommerzieller Teil der Art Week präsentiert werden. 37,5-Stunden-Woche? Gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro? Da können Künstler, freie Kuratoren und viele Praktikanten oftmals nur übermüdet lächeln.

Die steigenden Lebenshaltungskosten drängen die Künstler in Brotjobs, ihnen fehlt Zeit für Kreativität. „Wir können es uns leider nicht mehr leisten, Institutionen, Kunstmarkt und Tourismus zu subventionieren", bedauerte die Kunstfigur Avatara Plenara Zeitstipendia mit bleichem Gesicht und grauem Overall vor der Presse. Ihr Vorschlag: 350 Künstler erhalten je 7000 Euro, um ein Werk zu beginnen oder fertigzustellen. Haushälter provoziert die Forderung, Zeit zum Nachdenken zu finanzieren, ohne eine verbuchbare Gegenleistung zu erhalten. Simone Reber

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