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„Home 13, Qaanaaq“ (2019), Fotografie von Tiina Itkonen am Stand der Galerie Persons Projects

© Tiina Itkonen

Kunstmesse Kopenhagen: Die neuen Mittel

Wie geht es weiter: Die Pandemie zwingt Messen wie Chart in Kopenhagen zur Änderung ihrer Konzepte

Chart dezentral: Die achte Ausgabe der führenden Kunstmesse der skandinavischen Länder, die von fünf dänischen Galeristen gegründet wurde, nimmt die Herausforderung der Pandemie an. „Aus Verantwortung unseren internationalen Sammlern, Kuratoren, Kritikern und Kunstfreunden gegenüber haben wir uns zu einem dezentralen Konzept entschlossen“, sagt Direktorin Nanna Hjortenberg.

Veranstaltungsort ist nicht mehr die herrschaftlich barocke Kunsthal Charlottenborg; stattdessen sind es die Räume der 28 teilnehmenden Galeristen, die ihre Ausstellungen in den skandinavischen Hauptstädten Helsinki, Kopenhagen, Oslo, Stockholm und Reykjavík präsentieren. Und sie zeigen ausschließlich weibliche Positionen, was, so Hjortenberg „der Tatsache geschuldet ist, dass Frauen im Markt nach wie vor unterrepräsentiert sind“.

So trifft man die Galeristen und einige der Künstler in ihren Räumen, verbringt Zeit mit ihnen und erlebt, wie wohltuend es ist, sich auf Gespräche und Werke konzentrieren zu können. „Solche Begegnungen sind intimer und intensiver als auf einer Messe“, meint Susanne Ottensen, die Chart mitgegründet hat, „der Fokus verlagert sich von der Fixierung auf ein Event hin zu den Inhalten, der Kunst selbst.“ Auch die Zoom-Meetings eröffnen eine andere Art von Netzwerk als auf einer Messe: direkter und qualitativ nachhaltiger.

Die Enter Fair Art wirkt wie von der Zeit überholt

Dies wird im Vergleich mit der zweiten Enter Art Fair umso deutlicher. In einer alten Fabrikhalle im Hafenareal Nordhavn inszeniert sie mit rund 60 Galeristen, darunter vier aus Berlin, Internationalität– und eben Event: Schlangen von angeblichen VIPs vor dem Eingang, weder Masken noch Abstand, reger Barbetrieb, irritierte Besucher, dazu Galeristen, die durchaus verkauften, doch dies taten sie genauso in ihren Galerien. Plötzlich wirkte der gewollte und in diesem Fall riskante Hype-Effekt ziemlich anachronistisch. Ja , das Bedürfnis nach realen Veranstaltungen ist groß. Doch geht es um das Wie in Zeiten von steigenden Coronazahlen und ständig wechselnden Einreisewarnungen. Tatsächlich international werden die Ende November stattfindenden Messen Art Cologne und Cologne Fine Art in Köln sein – so sie denn stattfinden. Direktor Daniel Hug ist davon überzeugt, 170 Aussteller haben bisher zugesagt. Hug erwartet vor allem deutschsprachige Sammler und Käufer, dazu belgische oder französische Nachbarn. Diese größere Regionalität beschreibt er – wie die meisten Kunstmarktprofis – als Chance: „Jetzt können wir uns unseren lokalen Szenen wieder mehr widmen, den Künstlern, Galeristen, Sammlern, Museen, und entdecken, welch riesiges Potenzial es hier gibt.“

Lokal – global. Offline – online. Wie sich die Balance zwischen den jeweiligen Bereichen seit Covid-19 verschiebt, ist das aktuelle Schlüsselthema. Von „Wanderzirkus“ und „Fair Fatigue“, Messemüdigkeit, spricht etwa Marc Glimcher, Besitzer von Pace, der den Globus mit seinem Team, Multimillionen-Werken, Umsätzen und Kosten bisher Jahr für Jahr für zum Teil 20 Messen umrundete. Gleichzeitig betonen er und die Berliner Galeristin Esther Schipper, „wie unersetzbar physische Begegnungen und Gespräche sind“. Sie und ihre Kollegen entdecken sie nun vor Ort. Der Tenor: „Endlich haben wir wieder Zeit zum Nachdenken, für Analysen und Diskussionen mit Sammlern oder Künstlern“.

"Nichts übertrifft das Live-Erlebnis"

„Nichts übertrifft das Live-Erlebnis“, resümiert René Meile, der zusammen mit Vater Urs und seiner Frau Galerien in Luzern und Peking führt. Dort laufen die Geschäfte langsamer, und so baten die Galeristen Sammler und Kunden zu einem Sommerparcours ins Engadin. Dort haben nicht wenige ihre Sommerresidenzen. Aus diesem Grund eröffneten Big Player wie Hauser & Wirth und Pace oder das Auktionshaus Phillips Räume für private Besichtigungen und diskreten Handel in Southampton. Während Offline-Initiativen auf intimere Begegnungen und minimalistischere Ausstellungsformate zielen und sich der Rhythmus zwangsläufig entschleunigt, findet online ein eher eiliges Aufrüsten statt. Denn die die meisten Händler haben den Bereich bisher eher vernachlässigt. Doch werden virtuelle Viewing Rooms und Rundgänge, 360- Grad-Videos von Werken, Zoom-Talks oder Augmented-Reality-Lösungen bald Standard sein; vorausgesetzt, sie übersetzen das Offline-Programm nicht eins zu eins in die digitale Ebene.

Es gilt, aus der Online-Perspektive zu denken, statt nur das Offline-Programm zu spiegeln. Die Plattformen vieler Messen, die dieses Jahr nur virtuell stattfinden konnten, ebenso wie jene der Auktionshäuser beweisen jedenfalls: Verkäufe selbst in zweistelliger Millionenhöhe nehmen zu. Hochpreisige Werke lassen sich sehr wohl virtuell platzieren.

Hybridisierung, das Wort der Stunde

Dennoch sind die Umsätze generell eingebrochen. Der Zürcher Galerist Peter Kilchmann vermutet einen möglichen „Rückgang von etwa 50 Prozent bis Jahresende“, nicht ohne hinzuzufügen, dass sich auch die Ausgaben mindestens um ein Drittel verringerten. Er glaubt, dass „zwanzig Prozent“ der Messen bald nicht mehr existieren werden, während Marc Glimcher die Schließung vieler Galerien befürchtet.

Alles steht auf dem Prüfstand. Es gilt gegenzusteuern, und ein Mittel der Händler ist Kooperation. So bot die Galerie Hauser & Wirth der jungen June Art Fair auf ihrer Webseite gerade eine kleine, feine Verkaufsplattform, und auch David Zwirner stellt seine Viewing Rooms regelmäßig weniger gut ausgerüsteten Galerien zur Verfügung. Und dass eine Fusion wie die von Barbara Gladstone mit Gavin Brown Nachahmer findet, ist ebenfalls nicht auszuschließen.

Die Domänen vermischen sich – Hybridisierung ist das Wort der Stunde. Umgekehrt gründete das Auktionshaus Sotheby’s ein schnell wachsendes virtuelles „Gallery Network“ auf seiner Webseite, auf der etablierte Händler von 303 über Sperone Westwater bis Nara Roesler Werke zum Verkauf anbieten. Erwähnenswert ist auch die Kooperation der drei Schwergewichte Aquavella, Gagosian und Pace, die gemeinsam gerade die Familiensammlung des legendären US-Unternehmers Donald B. Marron vermarkten, zu deren Highlights Pablo Picassos 1962 entstandenes Gemälde „Femme assise (Jacqueline)“ und Mark Rothkos „Number 22 (reds)“ aus dem Jahr 1957 zählen.

Welche Perspektiven haben Messen angesichts dieser Szenarien? Bedeutet Globalisierung ausschließlich Expansion? Geht es nicht um mehr Sharing, um Teilen, eine Art Umverteilung von ökonomischer Macht und den verantwortungsvolleren Umgang mit ökologischen Ressourcen? Galeristen machen sich gerade von Messen etwas unabhängiger. Andererseits generieren viele hier bis zu zwei Dritteln ihrer Jahresumsätze. Und nirgendwo, so Andreas Grimm, Geschäftsführer der Zürcher Galerie Eva Presenhuber, kann man leichter Kontakte zu neuen Sammlern knüpfen.

So einfach war das. Und so schwierig ist es nun. Muss die Show so wirklich weitergehen?

Chart, Kopenhagen, Helsinki, Oslo, Reykjavik, Stockholm; bis 30. August, www.chartartfair.com

Eva Karcher

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