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Kunstmesse in Lissabon: Geteilte Wirklichkeit

Mit 60 Galerien ist die Arco Lisboa eine kleine Messe für Gegenwartskunst. Exklusives in den Kojen fällt sofort auf.

Zur Vorbesichtigung der Kunstmesse Arco Lisboa schaut auch der portugiesische Staatspräsident vorbei. In der Sektion „Projects“, in der besondere künstlerische Positionen abseits der Messekojen vorgeführt werden, stößt Marcelo Rebelo de Sousa auf die Wand mit den vielen Zeitungen der „Nelkenrevolution“ vom April 1974, die der Künstler Nuno Nunes-Ferreira zu einem Gesellschaftsbild in Rot zusammengetragen hat. Die Besuchergruppe verfällt in offenbar fröhliche Erinnerungen; hinterher berichtet der Künstler, der Präsident und Jura-Professor, als Liebhaber alles Gedruckten bekannt, habe sich kenntnisreich über die Seltenheit einzelner Zeitungsausgaben von damals geäußert.

Den Preis von 20 000 Euro hat Galerist Juan Silió für diese Arbeit angesetzt – wir sind schließlich auf einer Kunstmesse. Vor drei Jahren bereits ist Silió aus dem nordspanischen Santander bei der Mutterveranstaltung der Lissaboner Messe, der Arco Madrid, mit einer vergleichbaren Arbeit von Nunes-Ferreira aufgetreten; hier hofft er ganz ausdrücklich auf einen landeseigenen Interessenten.

In der Messehalle reihen sich Stände wie Perlen an einer Schnur

Auf das portugiesische Kunstpublikum hoffen alle 60 Galerien, die dem Ruf des bewährten Arco-Direktors Carlos Urroz gefolgt sind und auf der Arco Lisboa in der Cordoaria Nacional, der Nationalen Seilerei, halb schon im Vorort Belém, ihre Kojen aufgeschlagen haben. Die Seilerei ist ein langgestrecktes Gebäude, in dem sich die Stände wie Perlen an einer Schnur reihen, was den Betrieb sehr übersichtlich macht – und angenehm dazu, weht doch durch die offenen Fenster frische Frühsommerluft herein. Zudem herrscht, anders als in den riesigen Madrider Messehallen, Tageslicht. Kurzum, die Lissaboner Messe ist ein Vergnügen.

Ob sie auch ein Geschäft ist, lässt sich bei laufendem Betrieb noch nicht sagen. Allein Altmeisterin Helga de Alvear hat einen roten „Verkauft“-Punkt vergeben, an ein Tropenurwaldfoto von Axel Hütte. Nun, rote Punkte sind aus der Mode gekommen, insofern will ihr Fehlen nichts besagen. Ab 16 Uhr füllen sich die parallelen Korridore entlang der Kojen spürbar mit Besuchern – Anzeichen dafür, dass die Sammlerschicht des Landes sich von der traditionellen Mittagsruhe nicht abbringen lässt. Jetzt sind die Galeristen überall in intensive Gespräche verwickelt. Bei Juana de Aizpuru (Madrid), auch sie Stammteilnehmerin der Arco, werden Blumenfotos von Wolfgang Tillmans in allen Größen begutachtet, bei Christopher Grimes aus Santa Monica Fotoarbeiten der Berlinerin Veronika Kellndorfer („Neue Nationalgalerie“, zweiteilig, 21 000 Euro), und bei Krinzinger aus Wien ein Großfoto von Marina Abramovic, „The Garden of Maritreya“ aus der Serie „Places of Power“ (90 000 Euro) und in Brasilien entstanden.

Der Fahrplan aus Sonneberg in Thüringen

Ja, Brasilien: In Lissabon wird durchaus auf die ehemalige Kolonie geschaut. So hat die Palaires aus Palma de Mallorca den aus Sao Paulo stammenden Künstler Lucas Simões im Angebot, mit Skulpturen, die die gegensätzlichen Materialien Beton und Papier verbinden (alle von 2018, 7000-11 000 Euro). Aus São Paulo angereist sind die Galerien Millan und Vermelha. Beide wagen, was ansonsten sehr selten ist: Einzelausstellungen. Vermelha zeigt eine hundertteilige Arbeit aus Emailschildern zum Thema „Migrantes“ (17 000 Euro) der gebürtigen Brasilianerin Carmela Gross, Jahrgang 1946. Millan präsentiert den aus dem Norden Brasiliens stammenden Emmanuel Nassar, der ausgerechnet ein deutsches Fahrplanplakat als Leinwandbild nachgemalt hat, mit Vorlage aus Sonneberg in Thüringen. Alle Ortsangaben stimmen, nur einmal hat der 69-jährige Nassar, wie er vergnügt einräumt, das heimatliche „Belém“ eingeschmuggelt (22 000 Euro).

Das Angebot: überwiegend mittelpreisig

Überwiegend mittelpreisig also ist das Angebot in Lissabon. Da fallen dann Arbeiten wie das riesige Bild „Canoe“ von Gilberto Zorio bei Pietro Sparta aus dem burgundischen Chagny mit 200 000 Euro heraus oder eine Bild-Leuchtschrift-Installation von Mario Merz bei Giorgio Persano aus Turin („Animale 4181“, 250 000 Euro). Auf einheimische Namen setzen Vera Cortès (Lissabon) mit dem portugiesischen Venedig-Vertreter João Louro, der Kompositionen von John Cage aus dem Leipziger Musikverlag Peters im Großformat nachmalt (10 800-12 450 Euro), oder Graça Brandão, die ebenfalls aus Lissabon kommt. Sie bietet eine frühe Arbeit der 2016 verstorbenen Ana Vieira an, die Édouard Manets Gemälde „Déjeuner sur l’herbe“ zum Ursprung nimmt und verfremdet. Das leichthändig Spielerische dieser Arbeit passt perfekt zur Arco-Schwestermesse in Lissabon, die ganz der entspannten Grundstimmung dieser lebensfrohen Stadt gemäß ist.

Ein spanischer Kopist stimmt nachdenklich

Von der Verfremdung zur Täuschung ist es nur ein Schritt, das demonstriert der vornamenlose spanische Künstler Girbent. Er hat Vermeers „Geograph“ aus dem Frankfurter Städel-Museum als „bislang unbekannte zweite Fassung von 1668“ gemalt und daneben seine „Kopie“ eben dieser „Fassung“. 20 000 Euro soll der Scherz bei Horrach Moya aus Palma de Mallorca kosten. Bedenkt man, dass gerade Vermeer schon einmal zu einem politisch brisanten Fälscherfall missbraucht wurde, stimmt die Virtuosität des spanischen Kopisten durchaus nachdenklich.

Arco Lisboa, Coroaria Nacional, Av. da India, bis 20.5. www.arcolisboa.com

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