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Die Vasen und Bilder von Grayson Perry lassen sich per Tablet anschauen – und per App virtuell von London ins eigene Zuhause beamen.

© Vortic Curate App / Oliver Miro

Kunstmarkt digital: Kaufen von der Couch

Virtuelle Ausstellungen, 3D-Galerien und interaktives Sammeln: Die Digitalisierung des Kunstmarkts ist in vollem Gang.

Was, wenn Grayson Perrys glasierte Keramikvase, bemalt mit einer überschlanken Kunstmäzenin nebst dürrem Hund, plötzlich bei Ihnen im Wohnzimmer auf einem Sockel stünde? Möglich wird dies, zumindest virtuell, dank der Vortic Collect App und der Vortic Curate App. Die Ausstellung „Super Rich Interior Decoration“ des britischen Künstlers in der Londoner Galerie Victoria Miro ging schon 2019 zu Ende; doch noch jetzt kann sich, wer will, mit Hilfe der App jedes einzelne süffisant-satirische Motiv auf Gefäßen und Gemälden heranzoomen, mit denen Perry seine besten Kunden verspottet und ihnen zugleich huldigt.

Vor gut vier Jahren gründete Victorias Sohn Oliver Miro Vortic als Plattform für erweiterte Realität (XR). Das von der Galerie unabhängige Unternehmen setzt auf Augmented (AR)- und Virtual Reality (VR)- Technologien, um Sammlern und Galerien Kunstwerke virtuell so real nahezubringen wie nur möglich. „Mit höchstauflösender 3D-Scanning Technologie können wir Besuchern und Kunden Gemälde und Skulpturen so plastisch und haptisch zeigen, als wären sie im physischen Raum. Wir bieten Galerien oder Messen virtuelle Räume, in denen sie ganze Ausstellungen simulieren können, inklusive der Rahmung der Gemälde“, erklärt Miro.

Nur die Mega-Galerien waren vorbereitet

In Pandemiezeiten sind virtuelle Plattformen wie diese willkommener denn je. Die globalen Lockdowns, die wohl noch länger anhalten, haben Kunstszene wie Markt in die Digitalisierung getrieben. Doch viele Galeristen, Künstler, Museen, Sammler und andere Kunstdienstleister mussten sich eingestehen, dass sie sind nicht ausreichend vorbereitet waren – gerade in Deutschland.

Heike Tosun, Inhaberin der Galerie Soy Capitán Berlin, stellt fest: „Das Jahr 2020 hat deutlich gezeigt, dass zeitgemäße digitale Kommunikationsformen und Vermittlungsangebote grundlegend für eine zukunftsfähige Galerie sind.“ Tosun will ihre digitale Präsenz „unbedingt ausbauen“ und je nach Budget Viewing Rooms und 3D-Formate einbeziehen. Sie ist sich sicher, dass „durch die Aktualisierung der Datenbank-Software und die Integration des Galeriearchivs die Sichtbarkeit des Galerieprogramms optimiert wird“. Internationale Galerien, allen voran die big player, können dies nur bestätigen und durchaus ein wenig Nachhilfe geben. Mögen ihre finanziellen Mittel ungleich größer sein, das eine oder andere Element könnte sich langfristig auch für die kleineren bewähren.

Mega-Galerien waren auf die Pandemie vorbereitet, weil sie ihre Online-Aktivitäten bereits zuvor erweitert hatten. So konnten sie von Anfang an wichtige Komponenten integrieren: den virtuellen Viewing-Raum, die 3D-Galerie und die AR-Platzierung von Werken in Sammlerhäusern. Hierfür baut etwa Hauser & Wirth seit Sommer 2019 sein ArtLab auf. Eines der ersten Projekte, so Iwan Wirth, Eigentümer und Präsident der Galerie, sei die Hauser-Wirth-Virtual-Reality-Technologie gewesen, kurz HWVR. Sie macht Online-Ausstellungen unter anderem per Zoom und Schwenk und 360°-Navigation erfahrbar. „Außerdem setzen wir seit kurzem ein AR-Tool ein, mit dem unsere Sammler Werke mit ihren Smart Phones in Privaträumen platzieren können“.

Wie Oliver Miro mit seiner App ist sich auch Wirth sicher, „dass hier die Zukunft liegt. Wir alle werden weniger reisen, auch wenn die Pandemie vorbei ist. „Deshalb zeigen wir physische Ausstellungen gleichzeitig als Online-Rundgänge auf unserer Website. So machen wir eine virtuelle Version unserer Arbeit für jeden zugänglich.“

Komplexe Skulpturen lassen sich noch nicht online abbilden

Thaddaeus Ropac sieht das ähnlich. Seit 2019 intensiviert er die Online-Präsenz seiner Galerien, indem er die digitalen Kunstdienstleistungen verschiedener spezialisierter Anbieter miteinander kombiniert. So arbeitet die Galerie mit dem New Yorker Unternehmen ArtBinder zusammen. 2010 von der ehemaligen Galeristin Alexandra Chemla gegründet, liefert Artbinder eine Software, mit der Galeristen, Sammler und Künstler Werke und Informationen überall managen und teilen können.

„Für die grundlegende Verwaltung und Archivierung“ nutze die Galerie dagegen ArtBase, so Ropac. „Das ist eine Datenbank mit einer robusten Software. Hier ist alles von der Korrespondenz und den Kontakten bis zur Buchhaltung integriert und lässt sich miteinander verknüpfen.“ ArtBase wurde 1993 in New York von Jeremy Sterritt und Tanya van Sant initiiert und basiert wie alle hier genannten Anbieter auf Cloud Computing, wird also als IT-Infrastruktur über das Internet verfügbar gemacht. Die Software kann aber auch nur lokal auf einem Rechner installiert werden und ist damit ausschließlich für dazu autorisierte Personen verfügbar, was manche Sammler bevorzugen.

Neu für Ropac ist die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Artlogic. „Deren Team hat unsere Website mit Elementen wie Künstlervideos, Online-Ausstellungen und einer interaktiven Chatfunktion umgestaltet.“ Der Galerist investiert auch in AR- und VR-Technologien, doch merkt er an: „Herausfordernd dabei ist, dass man manche Skulpturen, zum Beispiel die komplexen Figurationen von Antony Gormley, noch immer nicht adäquat abbilden kann“.

So wenige Clicks wie möglich

Mit über 1900 Kunden weltweit zählt das Unternehmen Artlogic zu den renommiertesten in der Branche. Peter Chater, ehemaliger Mitarbeiter der Galerie Karsten Schubert, gründete es 1994 in London. Neben einer umfassenden Art Management-Database bietet Artlogic Lösungen für Websites und Online Viewing Rooms. „Derzeit entwickeln wir einen Prototyp für Augmented Reality“, erklärt Chater. „Immer an Kooperation interessiert“, hat sich Artlogic vor kurzem mit Artsy verknüpft, „damit Galerien problemlos Werke zwischen den beiden Plattformen teilen können“. Im kommenden Frühjahr werde sein Team die Online Viewing Räume der Pariser Messe Fiac gestalten: „Für uns eine große Chance.“

Sogar einen Repräsentanten in Berlin leistet sich Artlogic inzwischen, was durchaus ein Vorteil gegenüber anderen, im Business erprobten Anbietern wie zum Beispiel Artsystems sein könnte. 1989 von dem aus der Technologiebranche stammenden David Studstill und dem ehemaligen Galeristen und Artnet.com-Verleger Doug Milford gegründet, begann Artsystems ebenfalls als Anbieter für Management-Software Lösungen und wurde bekannt mit der Katalogisierung des Nachlasses von Warhol und einem Werkverzeichnis. Die 2019 eingeführte, Internet basierte Software Plattform Artsystems5 beschreibt Doug Milford als „sichere, von überall zugängliche Database, die von allgemeinen Kontakten über Kunstwerke, Künstlerbiografien, Ausstellungen bis hin zu Geschäftstransaktionen wie Verträgen, Leihgaben oder Rechnungen alles integriert. Unser Prinzip: So wenig Clicks wie möglich.“ Einzigartig bei Artsystems sei zudem ein Modul für Bibliografien und eine Online-Bibliothek. Tausende von Kunden in den USA, Lateinamerika und Großbritannien nutzten bereits Artsystems, darunter Banken und Versicherungen mit Unternehmenssammlungen, aber auch Sammler; außerdem Galeristen, Künstler, kleine Museen, Nachlässe und Stiftungen. In Europa, auch in Deutschland gäbe es dagegen Nachholbedarf, so Milford.

Die Trends kommen aus den USA und Großbritannien

In ihrer Preisgestaltung für die Basis-Management- und Inventarisierungs-Software weichen die Anbieter nicht auffallend voneinander ab. Je nach der Individualisierung der Wünsche und der Innovativität der Technologien variieren die jährlichen Kosten zwischen wenigen Tausend und mehreren Hunderttausend Euro. Und auch in diesem Business-Feld wird die Konkurrenz größer. Doch – was für eine Blamage – sie kommt nach wie vor entweder aus den USA oder Großbritannien und kaum aus Europa. Die 2016 von Mattis Curth und seinem Bruder Jeppe in Kopenhagen gegründete Kommunikations- und Verkaufsplattform Artland ist eine Ausnahme. Artland bietet Galerien 3D-Räume für Ausstellungen an, jedoch keine Software fürs Kunst- Management. Hierauf konzentriert sich Artbutler, der 2002 von Dirk Herzer in Berlin gegründete, einzige deutsche Software- Service. Zu seinen Kunden zählen Galerien wie „Soy Capitán, Buchholz, Schulte oder König, außerdem Sammler wie Timo Miettinen und Künstlerstudios wie das von John Bock.“ Das Spektrum der Leistungen entspricht mit Rubriken wie Werkverwaltung, Kontakt-Management, Ausstellungen, Messen und Showrooms strukturell dem der anderen Anbieter.

Wie digital wird die Zukunft der Galerien?

Wie digital wird also die Zukunft, und können deutsche Galeristen, Künstler, Sammler und Institutionen ihre Defizite schnell ausgleichen? Niemand bestreitet, dass das physische Erleben von Kunst essenziell und durch nichts zu ersetzen ist. Doch werde sich, so Elena Soboleva, Direktorin der Online-Sales der New Yorker Galerie Zwirner, die Unterscheidung zwischen online und offline auflösen. „Die Zukunft ist hybride. Online unterstützt und verstärkt unsere physischen Aktivitäten und erreicht ein globales Publikum. Umgekehrt gilt das genauso.“

Ähnlich argumentiert Marc Glimcher, Präsident und CEO der globalen Pace Gallery, der mit seinem jungen Unternehmen Superblue vielleicht bald Galeriegeschichte schreibt. Superblue werde mit den Pionieren der neuen immersiven Medienkunst arbeiten, so Glimcher. „Dagegen setzen wir als Galeristen Digitalisierung ein, um unsere realen Erfahrungen mit Kunst immer weiter zu verfeinern. Kunst kann niemals online ersetzt werden.“

Eva Karcher

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