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Im Steigerwald. herman de vries in seinem grünen Atelier.

© Joana Schwender

Kunst zur Klimakrise: Ich bin, sagt die Buche

Die Kunst von herman de vrie übt den achtsamen Blick auf die Natur - und hat aufgrund Klimakrise neue Aktualität. Das Kolbe-Museum zeigt sein Werk.

Der Niederländer herman de vries, der sich aus Abneigung gegen alles Hierarchische klein schreibt, ist 88 Jahre alt. Jetzt ist sein Werk auf einmal wieder aktuell angesichts der Klimakrise. Für den weißbärtigen Künstler selbst ist der achtsame Blick auf die Natur nichts Neues. Er pflegt ihn, seit er 1949 eine Gärtnerlehre begann und später ins Künstlerfach wechselte.

Aus seinem Atelier im Steigerwald hat de vries säckeweise trockenes Laub nach Berlin ins Kolbe-Museum geschickt. Jetzt schichtet es sich waldbodenartig zu einem exakten Kreis im Ausstellungsraum, allerdings ohne Ameisen und Spinnengetier, also restauratorisch clean.

Das minimalistische Formbewusstsein des einstigen ZERO-Mitstreiters verbindet sich in der jüngsten Arbeit mit der beharrlich-sanften Naturbeobachtung, die er beim Durchwandern der fränkischen Wahlheimat seit Jahren intensiviert.

Der im Katalog zu Wort kommende Forstbetriebsleiter zählt dort 10 000 Hektar Laubmischwald, 500 holzbewohnende Käferarten und Rares wie den Stachelbartpilz. Das Rubrizieren und Ordnen ist auch de Vries nicht fremd.

Aus der scheinbar objektiven Strenge beziehen seine Arbeiten ihre Schönheit. Ins Glasrahmenraster presste er Dutzende vorgefundene Zufallsstrukturen von trockenen Wintergrasrispen, Farnkraut und Disteln. Kraut oder Unkraut? Darum geht es hier nicht.

Gestalterischer Aktivismus

Seit jeher haben Bildhauer das Material der Natur zu Kunst geformt: Bronzeerz gegossen, Ton geknetet, Marmor mit brachialem Krafteinsatz traktiert. herman de vries lässt von solchem gestalterischen Aktivismus ab.

Die 36 bizarren Eichenbaumstümpfe, die sich im ehemaligen Kolbe-Atelier zur Bodenarbeit gruppieren, sind trotzdem skulptural. 2015 bespielte der Künstler vielbeachtet den Niederländischen Pavillon der Biennale in Venedig. Seine dort gezeigte Arbeit archiviert die Erde.

Und zwar buchstäblich: Mittlerweile auf über 9000 Erdproben aus allen Teilen der Welt ist de vries’ Fundus angewachsen. Der Künstler hortet sie in Beutelchen, lässt sie fein zu Pulver vermalen. „erdausreibungen“ nennt er, was er künstlerisch daraus macht. Eine Europa-Auswahl-Edition ist ausgestellt.

Das Weltganze im Kleinen spüren

Mit den Händen auf Papierbögen verrieb der Künstler das Ockergelb aus dem Piemont, das Orangebraun aus dem griechischen Meteora, das matte Grau aus der Region Helsinki zu monochromen Flächen. In überraschend kräftigem Rot leuchtet die in Island entnommene Probe aus der Kruste unseres Planeten.

Dass man im mikroskopisch Kleinen das Weltganze erspüren kann, wusste schon Albrecht Dürer, auch er ein Systematiker. Sein berühmtes aquarelliertes Rasenstück zitiert herman de vries in seiner 1975 entstandenen Arbeit „16 dm²“. Er hob auf einer Wildwuchswiese behutsam eine Fläche von 40x40 Zentimeter aus und presste jedes einzelne Pflänzchen separat auf Papier. 473 Spezies fasst das Künstlerbuch, nebst penibel gezeichnetem Fundplan.

[Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25/26, bis 3. Mai, täglich 10-18 Uhr]

Initiiert wurde die Schau „how green is the grass“ vom Umweltbundesamt. Dessen Kunstbeauftragte Fotini Mavromati traf den Künstler zum Waldspaziergang in seinem Atelier: dem Steigerwald.

Der Wanderradius von herman de vries ist in den letzten Jahren enger geworden, wie seine als rote Linienspuren auf den ausgestellten Landkarten vermerkten Wege dokumentieren. Sein langer Atem bleibt. Eine Soundinstallation macht ihn hörbar. „I am“, sagt die Buche draußen im Kolbe-Garten. In goldenen Lettern steht der Schriftzug auf der Bauchbinde des Baumes. Ist das nicht banal?

Museumschefin Julia Wallner erzählt, dass der Bildhauer Georg Kolbe, als er sein Atelierhaus in den 20er Jahren plante, die Grunewaldbäume auf dem Grundstück bewusst stehen ließ und sein modernistisches Domizil drumherum baute. Noch heute verläuft der gepflasterte Gartenpfad genau dort, wo sich zuvor ein alter Waldweg schlängelte. Ein Wald denkt in längeren Zeiträumen als ein Mensch.

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