zum Hauptinhalt
Die Bildhauerin Ute Hoffritz hat die Böckler-Büste nach dem Bronze-Original gefertigt, das 2011 gestohlen wurde.

© Mike Wolff

Kunst vorm Bau (7): Der bewegte Arbeiter

Erst Bronze, dann Beton: Warum die Büste von Hans Böckler im Kreuzberger Böcklerpark mehr Respekt verdient hat.

Von Andreas Busche

Es ist nicht gut bestellt um die Sozialdemokratie. Die SPD steckt in der größten Identitätskrise der Nachkriegszeit, nur 18 Prozent der Arbeitnehmer sind noch gewerkschaftlich organisiert. Sympathie für die Sozialdemokratie ist heute eher ein diffuses Gefühl als eine Überzeugung. Dabei klang die Idee mal so gut.

Solche Gedanken gehen einem beim Spaziergang am Landwehrkanal durch den Kopf. Vor allem im Böcklerpark, abseits der ehemals roten Hochburgen, dem Zeitungsviertel um den heutigen Mehringplatz, wo sich während der Revolutionstage 1919 Arbeiter und Regierungstruppen Kämpfe lieferten, oder dem guten alten SO 36 mit seiner proletarischen, Kreuzberger Mischung genannten WorkLife-Balance. Hier, im Kreuzberger Niemandsland, steht neben einem Skate-Parcours auf einer einsamen Stele die Betonbüste von Hans Böckler, dem ersten Vorsitzenden des 1949 gegründeten Deutschen Gewerkschaftsbunds. Skeptisch blickt er drein, die Brauen zusammengeschoben. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie wenig sein Vermächtnis hier in Ehren gehalten wird.

Erst vergangene Woche musste das Grünflächenamt ihm wieder ein Hitlerbärtchen entfernen. Der Seitenscheitel, den Vandalen ihm ebenfalls aufgemalt hatten, zeichnet sich noch schwach im Sonnenschein ab. Es ist nicht das erste Mal. Die Reinigungskosten werden von der Behörde inzwischen als laufende Kosten verbucht.

Ist die Sozialdemokratie heute nicht mehr wert als ihr Materialwert?

Hans Böckler im Böcklerpark hat es wahrlich nicht leicht. Es beginnt in der Nacht zum 2. März 2011, als seine Bronzebüste gewaltsam vom Sockel entwendet wird. Die Diebe, so die Tatrekonstruktion, legen ihm ein Abschleppseil um den Hals und geben Gas; der nur mit zwei Metallstreben verankerte, gleichsam auf dem Sockel schwebende Kopf wird abgerissen. Die Polizei vermutet monetäre Motive hinter dem Anschlag, keine politischen. Denkmäler und Gedenktafeln aus Bronze locken generell Metalldiebe an, deshalb werden sie heutzutage nur noch selten im öffentlichen Raum aufgestellt.

Hans Böckler ist vermutlich eingeschmolzen worden. Ist die Sozialdemokratie heute nicht mehr wert als ihr Materialwert?, fragt man sich. Aber solche Häme ist hier nicht angebracht, denn hinter der Büste steckt eine schöne Idee.

Drei Generationen Gewerkschaftsgeschichte, im Herzen von Kreuzberg

Heinrich-Wilhelm Wörmann ist Sozialdemokrat aus Überzeugung. „Ich bin genauso lange in der Partei wie im DGB“, meint er bei unserem Treffen. Bis zu seiner Pensionierung war er Geschäftsführer der DGB-Organisation „Arbeit und Leben“, jahrelang fungierte er im SPD-Ortsverein Tiergarten-Süd zudem als Abteilungsvorsitzender. Wörmann ist ein ruhiger Typ, aber wenn es um administrative Abläufe geht, zeigt er wenig Geduld. Die Böckler-Büste aus Bronze, die im Sommer 2004 aufgestellt wurde, ist auf seinen Mist gewachsen. „An allen Gremien vorbei“, lacht er. „Die Gedenktafelkommission war ziemlich sauer. Aber ich hatte keine Zeit für Behördengänge.“

Als die Büste an der Westseite des Parks enthüllt wird, tauchen nur eine Handvoll Journalisten auf. Dabei ist das Ensemble von historischen Gewerkschaftern in Kreuzberg dank Wörmann nun endlich komplett. Eine Herzenssache: Erst zwei Jahre zuvor hatte er dafür gesorgt, dass am Leuschnerdamm die Büste von Wilhelm Leuschner aufgestellt wurde, der am Stauffenberg-Widerstand vom 20. Juli beteiligt war und 1944 in Plötzensee hingerichtet wurde. Gegenüber flankiert der legendäre Gewerkschaftsführer Carl Legien seit 1961 den nach ihm benannten Damm. Legien hatte 1920 die Arbeiter mobilisiert und trug maßgeblich zum Scheitern des Kapp-Putsches bei. Drei Generationen Gewerkschaftsgeschichte, im Herzen von Kreuzberg.

Anfang der 50er Jahre gibt der DGB das Werk in Auftrag

An der Legien-Enthüllung 1961 nimmt der Regierende Bürgermeister Willy Brandt persönlich teil. Die Platzierung in unmittelbarerer Nähe der gerade errichteten Mauer versteht sich als Signal in Richtung DDR: Das hier ist unsere Gewerkschaftsbewegung! Bei der Errichtung der Böckler-Büste 40 Jahre später erscheint nur die Kreuzberger Bürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS). „Ich beobachte schon lange eine schleichende Geschichtsvergessenheit“, meint Wörmann. Immerhin, ein paar Jahre sind die Gewerkschafter in Kreuzberg wiedervereint – bis zur verhängnisvollen Nacht im März 2011.

Wobei schon die Geschichte der bronzenen Böckler-Büste einiges über den Umgang der Arbeiterbewegung mit der eigenen Historie verrät. Anfang der fünfziger Jahre gibt der DGB das Werk beim Berliner Bildhauer Karl Trumpf in Auftrag. Der Künstler, heute weitgehend vergessen, wurde in den zwanziger Jahren für seinen Naturalismus gelobt. „Nicht billige maskenhafte Übertreibungen oder idealisierte Abschweifungen sind die Kennzeichen der Kunst Karl Trumpfs,“ schreibt die Zeitung „Kunst für alle“. Ihr Gehalt ergebe sich vielmehr „aus naiver Betrachtung und gläubiger Gestaltung“. Die Gewerkschaft gab damals eine erste, heute verschollene Legien-Büste in Auftrag. Offenbar erkannte die Arbeiterbewegung in Trumpf einen Geistesverwandten. In den Fünfzigern lässt der DGB weitere Aufträge folgen, es entstehen die Kreuzberger Büsten von Legien, Böckler und Leuschner.

Nicht mal mehr für eine Metallplakette reichte es

Die Bildhauerin Ute Hoffritz hat die Böckler-Büste nach dem Bronze-Original gefertigt, das 2011 gestohlen wurde.
Die Bildhauerin Ute Hoffritz hat die Böckler-Büste nach dem Bronze-Original gefertigt, das 2011 gestohlen wurde.

© Mike Wolff

Der Böckler-Kopf thront im Juni 1952 zunächst auf dem Podium in der Saarlandhalle unterm Funkturm, während der Tagung des Parlaments der Arbeit. Anschließend landet er im Foyer des Gewerkschaftshauses in der Schlüterstraße, nach dem Umzug in die Keithstraße dann in der Telefonzentrale. Wörmann entdeckt sie, verstaubt auf einem Schrank im Büro des Hausmeisters, im Jahr 2002.

Den Leuschner hatte er zuvor schon persönlich gerettet; bis zu ihrer Platzierung auf dem Damm steht die Büste wohlbehütet auf seinem Schreibtisch. Es war die Kranzniederlegung vor der Büste Carl Legiens zum 80. Todestag im Dezember 2000, bei der ihn die damalige Bezirksbürgermeisterin auf die Idee brachte, sich um die öffentliche Würdigung auch der anderen Gewerkschaftspioniere zu bemühen, darum, dass Legien Gesellschaft von Böckler und Leuschner bekommt. Über den kurzen Dienstweg erreicht ihn die Baugenehmigung für Böckler nachts per Fax.

Wörmann ist ohnehin ein Mann der kurzen Dienstwege. Als Böckler 2011 gestohlen wird, fühlt er sich persönlich verantwortlich. Ein paar Telefonate mit dem DGB in Frankfurt, wo ein zweiter Bronzeguss der Trumpf-Büste steht, und kurz darauf sitzt er im Zug, um die Büste per Sackkarre nach Berlin zu holen. Hier landet sie im Atelier von Ute Hoffritz.

Betonkopf mit Bronze-Anmutung

Seit über 30 Jahren arbeitet Hoffritz als Bildhauerin. Fremdaufträge realisiert sie selten, aber Wörmanns Guerilla-Aktion unterstützt sie gern: „Ich finde es wichtig, dass dieser Persönlichkeiten gedacht wird.“ Die Künstlerin fertigt eine Silikonform der Böckler-Büste an wie auch von Legien und Leuschner, um sie dann in Beton zu gießen. Beton statt Bronze, so kann Diebstählen vorgebeugt werden.

Die drei Gewerkschafterbüsten sind ungewöhnlich massiv im Vergleich zu Hoffritz’ eigener Kunst. In ihrem Studio auf einem Tempelhofer Gewerbehof wirken noch die größten Objekte leicht, fast schwebend. Hoffritz’ Arbeiten aus den verschiedensten Materialien, selten aus Metall, sind voller Öffnungen und Schlitze, die den Blick auf geheimnisvolle Hohlräume freigeben. Die Betonköpfe von Böckler & Co sind dagegen reine Oberfläche. „Bei einem Bronzeguss spielt die Patina eine Rolle“, erklärt sie, „darüber schafft man Ausdruck. Und ich wollte möglichst wenig in die Arbeit des Künstlers eingreifen.“ Also besitzt der Beton-Böcklerkopf, der im September 2013 im Park aufgestellt wird, eine BronzeAnmutung. Aber er schwebt nicht mehr, sondern sitzt nun fest auf dem Sockel.

Michael Sommer kam zur Enthüllung der Ersatzbüste

Böckler ist der expressivste der drei Gewerkschafter, seine Haut ist mit reliefartigen Mustern überzogen. Auch wenn der Gewerkschafter Wörmann die Arbeit des Gewerkschaftschronisten Trumpf vor allem als Auftragsproduktion ansieht, hat er dessen kleinen Bronzesockel behalten, zur Erinnerung. Er ist stark verbogen, man ahnt die rohe Gewalt, mit der der Kopf abgerissen worden ist. Der Name „Hans Böckler“ prangt auf dem Metallstück. Bei der jetzigen Beton-Büste gibt es nur noch ein Plastikschild.

„Die Gewerkschaften kennen diese Geschichte gar nicht mehr“, bedauert Wörmann noch einmal. „In der Nachkriegszeit legte man auf so was noch Wert.“ Angesichts der übrigen stolzen Zeugnisse der sozialdemokratischen Geschichte in Kreuzberg – das Max-Taut-Haus am Oranienplatz oder das von Erich Mendelsohn entworfene heutige IG-Metall-Haus in der Alten Jakobstraße – ist es wenig verständlich, dass es bei Böckler nicht mal mehr für eine Metallplakette reichte. Schließlich war auch die Plattenbausiedlung am Böcklerpark einmal als Vorzeigeobjekt für soziales Wohnen konzipiert.

Zur Enthüllung der Ersatzbüste erschien immerhin der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, sichtlich begeistert. Er selbst habe den Kalauer ja vermeiden wollen, erzählt Wörmann. Aber Sommer traute sich: „Ich finde es gut,“ begann er seine Ansprache, „dass Gewerkschafter auch mal Betonköpfe sind.“

Zur Startseite