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Schweigender Koloss. Das Thälmann-Denkmal, entworfen vom sowjetischen Monumentalplastiker Lew Kerbel, wurde 1986 eingeweiht.

© Kai-Uwe Heinrich

Kunst vorm Bau (6): Fünfzig Tonnen Siegesgewissheit

Letzter Arbeiterheld: Das monumentale Ernst-Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße trotzt allen Umbrüchen.

Sieht aus, als hätte Teddy wieder eine harte Nacht gehabt. Leere Rotkäppchen-Flaschen kollern über den ukrainischen Granit. Daneben liegt eine zerfledderte Zigarettenschachtel auf dem Sockel. Unter den Füßen springen die Kronkorken. Und die zersplitterte Schnapsflasche ist bestimmt nicht die erste, die auf dem Appellplatz vor dem Ernst-Thälmann-Denkmal zu Bruch ging. Bis hinunter zur Greifswalder Straße lässt die Morgensonne die in die Pflasterritzen gesunkenen Scherben wie Juwelen funkeln. Die im Berliner Stadtbild einzigartige sozialistische Monumentalbüste zieht mit ihrem pompösen Gestus, ihrer Überwältigungsaura durchaus noch Menschen an. Nur nähern sie sich ihr heutzutage auf ihre Weise.

„Abends tobt hier das Leben“, sagt der Parkreiniger, der mit dem Auto zu den Mülleimern tuckert. „Hat ja keiner mehr Respekt.“ Missbilligend deutet er auf die Graffitis, die den Stein- und Bronzesockel unterhalb des Kopfs bedecken. Der Koloss selbst schweigt. Seine Gleichmut ist 50 Tonnen schwer und 32 Jahre alt. Zu DDR-Zeiten haben zahllose Jungpioniere, Erich Honecker und Michael Gorbatschow ihm Ehrerbietung erwiesen, von den 100 000 Einweihungsgästen gar nicht zu reden, die bei der penibel geprobten Zeremonie am 15. April 1986 zugegen waren.

Die von Beginn an ungeliebte, bis vor wenigen Jahren immer wieder von Protesten umtoste Skulptur trägt die heroisch idealisierten Züge von Ernst Thälmann – samt unproportionierter Faust und überproportionierter Fahne und der Beschriftung „Rot Front“. Der 1886 in Hamburg geborene Politiker mit dem Decknamen „Teddy“ war KPD-Vorsitzender, Rot-Front-Kämpfer, Reichstagsabgeordneter, Gegner der Weimarer Republik, Feind der Sozialdemokratie. 1933 sperren ihn die Nationalsozialisten ein und ermorden ihn schließlich 1944 im KZ Buchenwald. Die DDR stilisiert ihn zum Märtyrer, zum Idol, dem bereits ab 1949 ein Nationaldenkmal gewidmet werden soll, dessen Fertigstellung nach einem Entwurf der Bildhauerin Ruthild Hahne sich aber immer wieder verzögert und 1961 endgültig platzt.

Die Thälmann-Siedlung ist eines der letzten Prestige-Bauprojekte der DDR

Mit dem Mauerbau rückt der zuerst geplante Standort auf dem einstigen Wilhelmplatz in Mitte in die Randlage der Hauptstadt der DDR, künstlerische Querelen kommen hinzu. Nach weiteren verkrachten Anläufen beauftragt Erich Honecker 1981 persönlich den befreundeten sowjetischen Monumentalplastiker Lew Kerbel mit dem Denkmal, dass nun – ähnlich wie das nach Mauerfall viel zu flott geschleifte Lenin-Denkmal auf dem heutigen Platz der Vereinten Nationen – vor dem Hintergrund eines Neubauensembles geplant wird. Die Thälmann-Siedlung ist eines der letzten Prestige-Bauprojekte der DDR, eine Edelplatte, die mit vielgestaltigen Hochhäusern samt dreieckigen Balkonen immer noch Eindruck macht.

Im Blick des Revolutionärs. Das Ernst-Thälmann-Denkmal von Lew Kerbel in Untersicht.
Im Blick des Revolutionärs. Das Ernst-Thälmann-Denkmal von Lew Kerbel in Untersicht.

© Kai-Uwe Heinrich

Die 13 Meter hohe, aus 270 in Lauchhammer gegossenen Einzelteilen verschweißte Skulptur verschlingt eine ganze Bronze-Jahresproduktion des Landes – und ist, als sie drei Jahre vor dem Untergang des real existierenden Sozialismus schließlich in Prenzlauer Berg steht, schon ein politischer und ästhetischer Anachronismus, wie der Bauhistoriker, ehemalige Kultursenator und Linken-Politiker Thomas Flierl über das Denkmal schreibt. Verschmäht von DDR-Bildhauern und Intellektuellen, die die künstlerische Qualität und Gigantomanie beklagen. Gehasst von Bürgern, die vergeblich gegen die Sprengung dreier hundertjähriger Gasometer protestiert hatten, die Kerbel aus dem Hintergrund der Plastik verbannt wissen wollte. Geliebt nur von einer dem Volk entfremdeten altvorderen Funktionärskaste, die in dem Trumm die stalinistischen Ideale ihrer Jugend verewigt.

Reinigung zum Geburts- und Todestag

Plötzlich hält ein Auto. Zwei Männer kommen von der Greifswalder Straße den Platz hoch. Dessen Gefälle ist Teil der Inszenierung, die den verherrlichten Helden in direkte Beziehung zum Himmel setzt. Ein faszinierender, aber – so herausgefallen aus dem historischen und ideologischen Kontext – auch sturzkomischer Anblick.

Flaneure sind das keine, die haben einen Auftrag. Einer der beiden legt seine Tasche auf dem Granitsockel ab, holt Pläne und einen Zollstock raus. Wie sich herausstellt, ist Mario Jehle doch tatsächlich der Restaurator, der im Auftrag des Landesdenkmalamts gerade ein Konzept zur Sanierung des Thälmann-Denkmals erstellt. Wird der olle Teddy, den das Bezirksamt Pankow mangels Mitteln nach eigener Auskunft nicht regelmäßig von Graffiti befreien kann, also doch mal wieder professionell gereinigt. Das besorgt sonst am Geburtstag im April und dem Todestag am 18. August das „Aktionsbündnis Thälmann-Denkmal“, eine aus DKP-Mitgliedern und befreundeten Kräften bestehende Vereinigung von Rote-Fahnen-Schwenkern.

Ein Bronze gewordenes Symbol des Sozialismus

Schweigender Koloss. Das Thälmann-Denkmal, entworfen vom sowjetischen Monumentalplastiker Lew Kerbel, wurde 1986 eingeweiht.
Schweigender Koloss. Das Thälmann-Denkmal, entworfen vom sowjetischen Monumentalplastiker Lew Kerbel, wurde 1986 eingeweiht.

© Kai-Uwe Heinrich

Alles, was mit dem Thälmann zu tun habe, errege leicht die Öffentlichkeit, stellt der den Sockel kartierende Restaurator fest, der im Inneren der Plastik eine Bestandaufnahme der Korrosionsschäden an der Stahlstützkonstruktion gemacht hat. Passanten sprächen ihn immer wieder auf „unseren Teddy“ an, dessen revolutionäre Aura die seit 2013 gegen eine Bebauung des ebenfalls pflegebedürftigen Thälmannparks streitende Anwohnerinitiative auch mal für ihre Kampagne „Teddyzweinull“ eingespannt hat. Ein junger Mann lobte gar, „schön, dass sie unsere Ideale bewahren“, amüsiert sich Jehle. Nichts liegt dem gebürtigen Sachsen ferner. „Ein Restaurator ist ideologisch neutral.“ Trotzdem bewundert er die Qualität der kunsthandwerklich hochwertigen Arbeit. „Die haben drinnen sogar eine Beleuchtung, eine Sickergrube und einen Wartungsschacht eingebaut.“ Und doch hat er drinnen 75 Prozent Luftfeuchtigkeit gemessen, was zu den Rostschäden führt. „Das Problem hatte auch der Alte Fritz unter den Linden, da wurde eine Lüftung installiert.“ Jehle empfiehlt für die von Metall- und Steinrestaurateuren durchgeführte Sanierung, die nach Auskunft der Landesdenkmalamtes frühestens nächstes Jahr beginnt, den Einbau von Belüftungsschlitzen und die regelmäßige Erneuerung der Wachsschicht, die die Bronze-Patina gegen Graffiti schützt.

So vergeht der Ruhm der Welt

Um die beiden Stelen mit Zitaten von Honecker und Thälmann zu sehen, die die Büste bis zum Abbau im Jahr 1990 im Vordergrund des Platzes flankierten, muss man in den Westen rübermachen. Im ehemaligen Proviantmagazin der Zitadelle Spandau stehen die bronzenen Riesenschrifttafeln in der tollen Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ (Mo-So 10-17 Uhr). Und zwar im letzten Raum, genau gegenüber von Lenins auf der Seite liegendem Kopf. Museumschefin Urte Evert ist von der kunsthistorischen Bedeutung der antimodernen, naturalistischen Thälmann-Skulptur überzeugt. „In ihrer Zeichenhaftigkeit und Enthistorisierung des in früheren Entwürfen noch als wirklicher Mensch dargestellten Thälmann markiert sie das Schlusslicht seiner Darstellung.“ Ein Bronze gewordenes Symbol des Sozialismus, als tragische Realsatire in die Endzeit der DDR gepflanzt.

Vormittags bei Teddy. Nur ein einsamer Gassigeher stapft über den Appellplatz. Abends ist hier mehr los.
Vormittags bei Teddy. Nur ein einsamer Gassigeher stapft über den Appellplatz. Abends ist hier mehr los.

© Kai-Uwe Heinrich

„Sic transit gloria mundi“, denkt man angesichts der auf der Zitadelle versammelten Relikte untergegangener Reiche, wobei die Heroen der wilhelminischen „Siegesallee“ genau so propagandistisch wie Thälmanns Textstelen ausfallen. Restaurator Jehle hat sie ebenfalls für sein Gutachten untersucht. Sie gehören ja zur Denkmalanlage dazu. Wobei das Bezirksamt Pankow verneint, die Dinger eines Tages wieder am Denkmal aufstellen zu wollen, obwohl das immer wieder diskutiert wird. Besser so. Ohne kommentierende Informationstafeln, die alle paar Jahre gefordert und begrüßt, aber – anders als der knappe Geschichtsabriss des Quartiers im S-Bahnhof Greifswalder Straße – nie realisiert werden, wäre deren Aufstellung reine Historienfolklore.

Welche Bedeutung hat das Denkmal heute?

Dass parallel zur Denkmalsanierung auch gleich die längst fällige Neugestaltung des unbehausten, nachts ins Dunkel fallenden Platzes samt seiner fehlenden Geschichtsvermittlung in Angriff genommen wird, steht im langstieligen Berlin nicht zu befürchten. Jetzt hält der Bezirk im November erstmal ein öffentliches Kolloquium ab, wo Fragen wie „Welche Bedeutung könnten das Denkmal und seine Umgebung heute haben?“ diskutiert werden sollen. Das lässt sich eigentlich bündig mit einem Zitat von Flierl beantworten, der in den Achtzigern zu der Gegnern der Gasometer-Sprengung gehörte und trotzdem dafür plädiert, das Denkmal als Teil der Geschichte anzunehmen. „Damit es uns erinnere, wie viel wir uns haben gefallen lassen, und damit es durch unsere eigene veränderte Wahrnehmung immer mehr zum prähistorischen Fossil werde, das uns anzeige, wie viel geschichtlichen Abstand wir bereits gewonnen haben.“

Die Abendsonne vergoldet jenseits der Greifswalder Straße die Fassaden. Im Gegenlicht sehen Thälmanns Züge düster und steinern aus. Trotzdem herrscht zu seinen nicht vorhandenen Füßen Betrieb. Gassigeher und Biertrinker stromern über den Platz. Ein paar Jungs skaten auf dem Sockel, zwei Mädels aus der Siedlung hocken im Schneidersitz daneben und hören Deutschrap. Jasmin hat keine Ahnung, wer der Riesenkerl da über ihr ist. Jule schon. „Ein Widerstandskämpfer, der im KZ Buchenwald erschossen wurde.“ Warum sie hier abhängen? „Weil es ein cooler Treffpunkt ist, den jeder von weitem sieht.“ Das ist bei der Denkmalrezeption im öffentlichen Raum jetzt der ganz bodenständige Ansatz. „Kapitalismus macht einsam“, behauptet einer der Sprüche, mit denen der Denkmalsockel über und über bekritzelt ist. Stimmt in Teddys Fall aber nicht.

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