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Zweckentfremdet. Die Metallinstallation „13.4.1981“ wurde schon für politische Debatten gekapert und von Obdachlosen als Schlafplatz genutzt.

© Jürgen Schwarz/Imago, Kai-Uwe Heinrich

Kunst vorm Bau (4): Zwölf Meter Wut

Das „Randale-Denkmal“ des Berliner Bildhauers Olaf Metzel blickt auf eine konfliktreiche Geschichte zurück.

Das Wasser der Spree glitzert im Sonnenlicht. Wenn man die Oberbaumbrücke in Richtung Friedrichshain verlässt und den Blick nach rechts Richtung Treptow schweifen lässt, erkennt man am gegenüberliegenden Ufer zwei Speichergebäude des ehemaligen Hafens. Links lagerten früher hinter einer expressionistischen Klinkerfassade gekühlte Eier, im Haus nebenan befand sich ein Getreidespeicher. Heute sind beides Bürogebäude, im Eierspeicher residiert Universal Music - eine Ansiedlung, die einst zum Glauben verleitete, die mageren Jahre der Stadt seien vorbei.

Zwischen den Speichern führt eine kleine Gasse zum Wasser hinunter. In ihr liegen geborstene Betonklötze, verrostete Gitter und verbogene Gestänge herum. An der Wand des Getreidespeichers lehnt ein überdimensionaler Einkaufswagen. Absperrbänder flattern, auf einem Zettel steht: „Das Kunstwerk wird ab der 25. Kalenderwoche abgebaut. Bitte keine Gegenstände wie zum Beispiel Fahrräder anschließen! Diese werden sonst mit entsorgt.“ Ein Hausmeister verbrennt mit einer Gasflamme das spärliche Grün, das zwischen dem Beton keimt.

Das Kunstwerk war Mittelpunkt erbitterter Kontroversen

Wenig deutet daraufhin, dass hier zwischen kaffeetrinkenden Büromenschen und umherirrenden Ufertouristen ein Kunstwerk zerlegt wird, das wie kaum ein anderes im Mittelpunkt erbitterter Kontroversen stand. Das Anlass dazu gab, wieder öffentlich von „entarteter Kunst“ zu sprechen, und Bombendrohungen gegen den Künstler und seine Auftraggeber zur Folge hatte. Tatsächlich sieht Olaf Metzels abermals geschleifte Installation „13.4.1981“, die im Jahr 2001 an der Spree ihre zweite Heimat fand, an diesem Ort nur aus wie ein Haufen Schrott. Ehemals ragte sie knapp zwölf Meter in die Höhe, gekrönt vom Einkaufswagen auf einem komplexen Unterbau aus vergrößerten Polizeiabsperrgittern. Nicht selten musste der Hausmeister Angetrunkene aus dem Korb des Einkaufswagens holen. Untenrum diente die Skulptur zuletzt dem Anschließen von Fahrrädern.

Bildhauer Olaf Metzel.
Bildhauer Olaf Metzel.

© FELIX HEYDER/dpa

Niemand scheint sich an jenen 13. April 1981 zu erinnern, der dem 1952 in Berlin-Kreuzberg geborenen Bildhauer Olaf Metzel den Impuls für ein Werk gab, das der Berliner Volksmund bald „Randale-Denkmal“ taufte. Es ist der Tag nach einer Nacht der Gewalt. Ausgelöst hat sie die gezielt lancierte Meldung, der verurteilte Linksterrorist Sigurd Debus sei gestorben. Er hatte sich dem Hungerstreik der RAF angeschlossen und war trotz richterlich angeordneter Zwangsernährung ins Koma gefallen. Einer kleinen, militanten Gruppe ist die vermeintliche Todesnachricht Anlass genug, auf dem Kurfürstendamm brachial gegen die Konsum-Insignien des verhassten Staats vorzugehen. Über 200 Schaufensterscheiben gehen zu Bruch, Verwüstungen dieses Umfangs hat die geteilte Stadt seit Kriegsende nicht erlebt.

Ein junger Bildhauer trifft auf die Hinterlassenschaften einer Schlacht: zusammengeschobene Absperrgitter, auf die irgendjemand einen Einkaufswagen gehievt hat, herausgerissene Pflastersteine. Er macht ein Foto von dieser zufälligen Installation, eine Plastik der Gewalt. Berlin wird 1981 nicht zur Ruhe kommen. Im September stirbt der junge Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay, während Innensenator Heinrich Lummer in einem von der Polizei geräumten Gebäude eine härtere Gangart gegen „Chaoten“ ankündigt. Rattay wird von einem BVG-Bus erfasst, wohl auf der Flucht vor ausschwärmenden Polizisten. Ein unverhältnismäßiger Auftritt der Staatsgewalt, wird ein Gericht später urteilen.

Metzel will Volkskunst machen

Dies ist das Terrain, auf dem Olaf Metzels erste Arbeiten entstehen. Er will Volkskunst machen, nichts zum Kaufen und Besitzen. Aufgewachsen zwischen Gastarbeitern, thematisiert er früh einen von Nazismus grundierten Ausländerhass. Als sich West-Berlin zum 750. Geburtstag rüstet, gehört Metzel zu jenen Künstlern, die den Kurfürstendamm zwischen Rathenau- und Wittenbergplatz ein Jahr lang mit neuen Werken in einen Skulpturenboulevard verwandeln sollen. Schon im Vorfeld sorgt das mit 1,2 Millionen Mark ausgestattete Großprojekt im Flanierzentrum des Alten Westens für Knatsch. Doch als im März 1987 die ersten Kunstwerke aufgestellt werden, beginnt die „vielleicht größte öffentliche Diskussion um die Kunst der Moderne nach 1945“, wie Kunsttheoretiker Bazon Brock rückblickend urteilt.

Weitere Ansicht vom "Randale-Denkmal".
Weitere Ansicht vom "Randale-Denkmal".

© imago/Jürgen Schwarz

Sie entzündet sich an Wolf Vostells „2 Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ auf dem Rathenauplatz und an Metzels Beitrag auf dem Joachimsthaler Platz. Ausgehend von seinem Foto nach den Ausschreitungen 1981, schafft er eine Plastik aus den kunstvoll vergrößerten und kühl arrangierten Zutaten: Absperrgittern, Einkaufswagen, Steinen. Sie bringt die Gewalt zurück an den Tatort, ragt auf gegenüber dem Café Kranzler. Weiß-rote Streifen, hier wie dort – auf der Markise über den Kuchenessern und gegenüber auf den aufgetürmten Polizeigittern. 170 000 Mark hat Metzels Werk gekostet. Nicht nur der Bund der Steuerzahler schäumt. Eine „Bürgerinitiative gegen moderne Kunst“ wählt sich Ephraim Kishon zum Schirmherren, ganzseitige Anzeigen erscheinen in Zeitungen gegen den „gigantischen Bluff der Kunst-Mafia“. Bürgermeister Eberhard Diepgen distanziert sich vor einem Millionenpublikum auf dem Sofa von „Wetten dass…?“.

Die Skulptur wird zum Schöneberger Gasometer verlegt

Ein Polizeimeister Krause wird mit diesem spontanen Gedanken angesichts der Skulptur zitiert: „Ne Menge Dienst!“ Den gab es tatsächlich unweit von Metzels Skulptur. Am 12. Juni 1987 werden Hunderte Demonstranten auf dem Tauentzien eingekesselt. Ronald Reagan ist in der Stadt, Wilhelm Kewenig amtiert als Innensenator. Nach seinem Willen soll der Ku’damm künftig für Demonstrationen tabu bleiben und dem ungestörten Verzehr von Kuchen dienen. Im Tagesspiegel tauft Günter Matthes den Boulevard daraufhin süffisant in „Kaffeedamm“ um.

Nach einem Jahr wird Metzels Werk abgebaut, die Stadt interessiert sich nicht für einen Ankauf. 13 Jahre lang lagert „13.4.1981“ zerlegt unter einer Autobahnbrücke. Der Bildhauer findet in München eine neue Heimat und wird dort Professor. Seine Arbeiten provozieren weiterhin, Äußerungen wie „Hackt dem Künstler die Hände ab“ begleiten sein Schaffen. Die Ängstlichkeit der Deutschen mache ihn fertig, erzählt Metzel. 2001 kauft der Immobilienentwickler und Kunstsammler Reinhard Müller das „Randale-Denkmal“ und lässt zwischen den von ihm ausgebauten Spreespeichern platzieren. Ein schöner Ort, der aber zwischen Party und Latte macchiato wenig Reibungspotenzial aufweist.

Nun verschwindet „13.4.1981“ erneut aus dem Stadtbild. Nach einer Restaurierung folgt es Reinhard Müller zum Schöneberger Gasometer. Dort wird die Skulptur ab 2019 von Unternehmen umgeben sein, die von der Energiewende profitieren. Und daran erinnern, dass wir unser Leben inmitten von Konflikten führen.

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