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Visualisierung des Projekts mit Kringel (Bildmitte) am Beispiel des Kraftwerks Neurath bei Grevenbroich.

© Realities:united, digitale Montage eines Fotos von Frank Roeder/p-a

Kunst und Kohle: So fällt der Abschied leichter

Wenn die Klimawende wirklich in Schwung kommen soll, braucht sie neue Bilder. Jan und Tim Edler wollen himmlische Kringel aus Kraftwerken aufsteigen lassen. Eine Begegnung.

Auf Luftaufnahmen war das nordrhein- westfälische Braunkohlekraftwerk Frimmersdorf gut zu erkennen. Mehr als 30 Kühltürme bliesen ihre Dampfwolken in den Himmel. Einst war es das größte Kohlekraftwerk der Welt. Bald wird es komplett abgeschaltet sein. Den einen geht das nicht schnell genug. Die anderen fürchten den Verlust ihrer Arbeit. Und anderswo im Land kriegt man von alldem vielleicht gar nichts mit.

Die Berliner Architekten und Künstler Jan und Tim Edler stellen sich den Abschied von Atom- und Kohlekraft anders vor. Nicht getrieben von Angst und antagonistischen Diskussionen, sondern sichtbar, sinnlich. Wenn es nach ihnen geht, braucht die Energiewende jetzt eine Sache ganz dringend: die Kunst. Ihre Idee stellen sie derzeit in der Berlinischen Galerie vor. Auf Plakaten zeigen sie deutsche Kraftwerke von Borken bis Unna, die schöne, hochfliegende Dampfkringel in die Luft blasen. Wie göttliche Schwimmreifen stehen die Ringe am Himmel. In einem gemeinsamen Rhythmus könnten sie fliegen. Eine Symphonie des Abschieds könnten sie sein, in den letzten Jahren vor der Stilllegung. 19 Jahre bleiben dafür noch Zeit. 2022 ist Schluss mit Atomkraft. 2038 sollen die letzten Kohlekraftwerke abgeschaltet sein. So hat es die Kohlekommission im Januar beschlossen.

Je komplexer die Probleme, desto weniger denken die Menschen an Kunst

„Wissen Sie, wie ein Kühlturm funktioniert?“, sagt Tim Edler. Er ist ohne Bruder in die Berlinische Galerie gekommen. Jan Edler ist kurzfristig nach Toronto geflogen. Ein Projekt in der U-Bahn braucht seine Aufmerksamkeit. Obwohl sie mit ihrem Architekturbüro realities:united in Kreuzberg angesiedelt sind, finden ihre Kunst-am-Bau-Projekte meist im Ausland statt. Dort ist ihre unerschrockene Herangehensweise gefragt. „Im Kühlturm“, sagt Jan Edler, „wird das heiße Wasser aus der Energieerzeugung hochgepumpt, es rieselt herab und kühlt ab. Was dabei verdunstet, geht oben als Dampf hinaus.“ Nie wieder wird so viel Dampf produziert werden. „Es ist eine Chance, die nicht wiederkommt“. Mittlerweile sind die beiden Profis darin, ihre visionären Ideen zu vermitteln. Sie kennen das schon: Erst mal ist alles schwer zu verstehen. Und je komplexer die Probleme scheinen, desto weniger denken die Menschen an Kunst.

36 Kraftwerke in Deutschland kämen für die nationale Wolken-Performance infrage. Das haben Jan und Tim Edler recherchiert. In die Kühltürme müsste eine einfache Mechanik eingebaut werden, eine Art Trampolin, das sie entwickelt haben. Es fängt den Kühlungsdampf mit einem Netz und Klappen erst auf und drückt ihn dann nach oben. So entstehen Rauchringe mit einem Durchmesser von bis zu 200 Metern, die relativ stabil, fünf Minuten oder länger, in der Luft fliegen. Der Ätna auf Sizilien macht das auf natürliche Weise. In der Physik heißt es Bernoulli-Effekt. Kraftwerksbetreiber, Bürgermeister, Politiker, Umweltaktivisten, Anwohner und wohl auch Greta Thunberg und Rezo müssten an einem Strang ziehen, um das zu realisieren. Dazu kommen technische Herausforderungen. Jeder Kühlturm ist anders gebaut. Müsste das Kraftwerk für die Montage abgeschaltet werden? Es ist ein sehr, sehr weiter Weg bis dahin.

Künstler mit langem Atem. Die Brüder Jan und Tim Edler.
Künstler mit langem Atem. Die Brüder Jan und Tim Edler.

© Steffen Jaenicke

Doch Jan und Tim Edler haben einen langen Atem, beim Flussbad-Projekt in Berlin haben sie das bereits bewiesen. 1998 hatten die beiden Wahlberliner die Idee, den für die Schifffahrt nicht mehr benötigten Seitenarm der Spree, der zwischen Fischerinsel und Bode-Museum mitten durchs historische Zentrum verläuft, zum Schwimmen zu nutzen. Gewinnen sollten dabei nicht nur die Berliner, sondern auch die Umwelt. Jan und Tim Edler konzipierten eine in den Kanal eingelassene Pflanzenkläranlage. Jeder hielt das am Anfang für Spinnerei. Seit 2014 wird das Projekt von Bund und Land gefördert, 2025 sollen die Berliner wirklich dort schwimmen.

Den Stadtraum zu gestalten, darum ging es bei Jan und Tim Edler immer. Zunächst spezialisierten sie sich auf Licht- und Medieninstallationen. Heute werden sie weltweit gebucht, oft spät im Projektverlauf und dann, wenn andere nicht mehr weiterwissen. Das biomorph geformte Kunsthaus in Graz würde heute nicht mit dem Stadtraum kommunizieren, hätten sie nicht gegen alle Widerstände die Außenhaut doch noch als Medienfassade gestaltet. Dinge kurzfristig zu ändern und keine Angst vor den eigenen, oft etwas übertriebenen Ideen zu haben, diesen Geist haben die beiden vielleicht im Berlin der 90er Jahre entwickelt. Damals richteten sich die gebürtigen Rheinländer mit ihrer Gruppe „Kunst und Technik“ ein Atelier in den ehemaligen Tierversuchsbaracken der Charité im Monbijou-Park ein. Manche werden das „Kunst und Technik“ noch als Mittwochsbar erinnern, einer der angesagtesten Clubs der Stadt. Dort, direkt am Spreekanal, entstand auch die verrückte Idee zum Flussbad.

Landstriche wie die Lausitz werden sich komplett neu erfinden müssen

Auf einem wandfüllenden Schaubild in der Berlinischen Galerie haben Jan und Tim Edler einen Energieberg aufgezeichnet und die Namen aller aktiven Kraftwerke samt deren Energiekapazität eingetragen. Die Energieproduktion mit nuklearen und fossilen Stoffen hat ihren Peak kürzlich überschritten. Ab 2022 fällt der Berg dann steil nach unten ab. Ein Kraftwerk nach dem anderen geht in eine Übergangsphase. Dafür springt seit den 2000er Jahren eine grüne Linie fast senkrecht empor: die erneuerbaren Energien. Sieht gut aus. Wie die Energie aus Wind und Sonne den Bedarf zuverlässig decken kann, ist allerdings noch ein ungelöstes Problem. „Teils sind die Daten real, teils geschätzt“, sagt Tim Edler. Noch ist nicht bekannt, wann welches Braunkohlekraftwerk abgeschaltet wird. Nur dass es passiert, ist im Kohleausstiegsgesetz geregelt. Landstriche wie die Lausitz werden sich komplett neu erfinden müssen.

Diese Übergangsphase interessiert die Architekten. Der Bund will den Strukturwandel in den betroffenen Regionen mit insgesamt 40 Milliarden Euro unterstützen. Arbeitsplätze als Ersatz für gut bezahlte Kohle-Jobs sind kaum zu erwarten. Die Städte und Kommunen durften stattdessen eine Wunschliste an die Kohlekommission schreiben: Neue Straßen, schnelles Internet für alle, Geld für Wissenschaft, Sport, Kultur und Ehrenamt stehen drauf. „Wir überlegen, welche Projekte die Gesellschaft verbinden und zusammenzubringen würden“, sagt Tim Edler. Ein Meer aus Dampfringen am Himmel könnte den Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft zu etwas machen, an dem man teilnehmen möchte, so die Hoffnung. Wie der Wandel erlebt wird, beeinflusst auch die Möglichkeiten, die man sich für die Zeit nach 2038 vorstellen kann. Was etwa wird aus den Kühltürmen, diesen durchaus zeitspezifischen Ingenieurbauten?

[ Berlinische Galerie, bis 19. August, Mi–Mo 10–18 Uhr, Diskussionen zum Thema: berlinischegalerie.de/kalender]

Erste Fürsprecher für das Wolkenprojekt gibt es bereits. „Wissen wird nicht automatisch gesellschaftlich relevant, auch weil Diskussionen viel zu oft in Blasen stattfinden. Hier bedarf es der Kunst, um die Starre aufzubrechen“, heißt es von Olaf Zimmermann vom Kulturrat in Berlin. Von einem Energieexperten war zu vernehmen, bei der Vernissage in der Berlinischen Galerie hätte er niemanden gekannt; ein Zeichen dafür, dass sich endlich einmal andere Menschen mit der Energiewende beschäftigen. Und Günther Bachmann vom Rat für Nachhaltige Entwicklung fühlt sich hinsichtlich der Symbolkraft an Christos Reichstagsverhüllung erinnert. „Es ist ein gutes Zeichen des Klimaschutzes, wenn Kohlekraftwerke zu ihrem historischen Ende Rauchzeichen senden, die uns an die Friedenspfeife der Indianer erinnern“, schreibt er an die Redaktion.

Wer in der Lausitz lebt und um seinen Job bangt, mag das absurd finden. Wer wegen des CO2-Ausstoßes um die Zukunft fürchtet, ebenfalls. Doch wenn die Klimawende wirklich in Schwung kommen soll, braucht sie neue Bilder. Schönheit, wo alles schrecklich ist. Romantik, wo nur Fakten zählen. Noch ist das Rauchwolkenballett Zukunftsmusik. Von der ersten Idee bis zur Präsentation in der Berlinischen Galerie sind bereits Jahre vergangen. Fast hätte realities:united ein ähnliches Wolkentrampolin in den Abluftturm einer Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen installiert. Pro halbe Tonne CO2 wäre ein Ring hochgestiegen, ein Mahnmal der Umweltverschmutzung. Es wurde abgesagt. „Wir haben lange überlegt, ob wir den Vorschlag für Deutschland in dieser wahnsinnigen Größenordnung wirklich machen sollen“, so Edler. Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist Auftakt und Forum. Jan und Tim Edler arbeiten nach bekanntem Schema: die Idee öffentlich machen, Diskussionspartner aus mehreren Feldern zusammenbringen und sehen, in welche Richtung der Diskurs läuft. Denn wie sich die gesellschaftliche Debatte entwickelt, haben die Edlers nicht in der Hand. Kunst imaginiert. Politik realisiert.

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