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Der amerikanische Künstler John Powers hat eine fünfzehn Meter hohe Skulptur direkt neben einen der Kanäle von Brügge gesetzt.

© N.D. Hondt / Triennale

Kunst-Triennale in Brügge: Botschaft des Wassers

„Liquid City“: Brügge, berühmt für seine Altstadt, präsentiert sich bei der Kunst-Triennale als Labor der Gegenwart.

Eine Statue des Malers Jan van Eyck thront auf einem Sockel in der Innenstadt von Brügge. Im Kanal dahinter versuchen zwei Taucher in Neoprenanzügen ein Podest im trüben Wasser zu montieren. Darauf soll später ein gigantischer Blauwal befestigt werden. Der Wal besteht aus fünf Tonnen Plastikmüll, den die Architekten Jason Klimoski und Lesley Chang vom New Yorker StudioKCA an den Küsten Hawaiis eingesammelt haben. Hoch in den Himmel aufragend und mit der mächtigen Nase stupsend, könnte der Wal aus alten Shampooflaschen und Kanistern den Maler glatt vom Sockel stoßen. 150 000 Tonnen Plastik schwimmen in den Weltmeeren. Es wird Zeit, etwas zu ändern, so die Botschaft. Sollten infolge des Klimawandels die Meeresspiegel ansteigen, wäre auch Brügge gefährdet und könnte im Wasser versinken.

Der Blauwal ist einer von 15 Beiträgen der gerade eröffneten Kunst-Triennale, die noch bis September läuft. Flandern zelebriert im Moment die Geburts- und Jahrestage seiner flämischen Meister, in diesem Jahr wird Rubens geehrt, dann Bruegel der Ältere, schließlich van Eyck. Doch Brügge, immerhin das Zentrum der Flämischen Primitiven, setzt in diesem Sommer auf zeitgenössische Kunst. Im Titel der Triennale zitieren die Kuratoren Till-Holger Borchert und Michel Dewilde Zygmunt Baumans Begriff der „Liquid City“. In den nächsten Monaten soll Brügge zum Labor werden, in dem man den Herausforderungen der postmodernen Metropolis begegnet. Man will „flüssig“ werden im Denken und Handeln.

Eine Metropole ist Brügge mit seinen 118 000 Einwohnern nicht, Überbevölkerungsprobleme kennt es trotzdem. Mit sechs Millionen Touristen pro Jahr – mehr als in Barcelona – droht die Stadt an der eigenen Popularität zu ersticken. Fahrradfahrer klingeln Touristen ruppig von den kopfsteingepflasterten Straßen, es geht zu wie in Berlin vorm Brandenburger Tor. „Die Besucher kommen wegen der Vergangenheit nach Brügge, jetzt sollen sie die Zukunft bewundern“, sagt Bürgermeister Renaat Landuyt. Landuyt, einst Flanderns Tourismusminister, kennt das Potenzial zeitgenössischer Kunst. 2003 rief er die Beaufort Triennale ins Leben, die in diesem Jahr bis September entlang der belgischen Küste stattfindet.

Die Einheimischen sollen ihre Stadt durch Kunst neu entdecken

Die beteiligten Gemeinden kauften in den vergangenen Jahren Triennale-Kunstwerke an, die Strandregion entwickelt sich zum attraktiven Skulpturenparcours. Als Bürgermeister installierte Landuyt nun auch in Brügge eine Triennale. In den sechziger Jahren gab es bereits eine Großausstellung dieser Art, an diese Tradition will man anknüpfen. Doch in Brügges Innenstadt, als Unesco-Weltkulturerbe gelistet, ist es schwer, Raum für zeitgenössische Kunst bereitzustellen. Alles, was die alte Bausubstanz berührt, muss reversibel sein. Das ist teuer. Und der wenige nicht von Touristen okkupierte Raum wird von Anwohnern verteidigt. Bleibt das Wasser.

„Reien“ heißen die Kanäle, die Brügges Altstadt malerisch durchkreuzen. Heute schippern dort Touristen herum, kürzlich diente die Stadt sogar als Kulisse für Bollywood-Filme. Die Einwohner haben auf dem Wasser hingegen kaum etwas zu suchen. Das versuchen die Triennale-Künstler zu ändern. Sie haben Begegnungsräume auf den Reien geschaffen. Die Einheimischen sollen ihre Stadt durch Kunst neu entdecken.

Dem koreanischen Architekturbüro OBBA scheint das zu gelingen. Hundert Quadratmeter klein und gewunden wie eine Schlange ist ihre schwimmende Insel nahe der Snaggaardbrug. Von einer leichten Metallkonstruktion hängen unzählige weiße Seile herab, die wie ein Geländer funktionieren und doch durchlässig sind. Man liegt in Netzen, schwingt auf Schnüren übers Wasser. Doch im September wird alles wieder abgebaut. Nicht einmal die schwimmende Schule des nigerianischen Künstlers Nlé Kunlé Adeyemi soll bleiben. Dabei leistet Adeyemi wegweisenden Wissenstransfer in untypischer Richtung, von Afrika nach Europa. Das erste Schulhaus dieses Typs hat Adeyemi auf die Probleme der vom Klimawandel gebeutelten Metropole Lagos zugeschnitten.

Wie die chinesische Wollhandkrabbe nach Europa kam

Die Triennale soll lehren: Veränderung ist nicht schlimm. Kunst kann auch in der Erinnerung produktiv bleiben. Die auf Partizipation spezialisierten Architekten vom Berliner Kollektiv raumlabor, die gerade auch eine „Floating University“ in einem Regenbecken am Flughafen Tempelhof installiert haben, fuhren schon vor einem halben Jahr nach Brügge. Auf einem ehemaligen Industriegelände im Norden der Stadt haben sie einen Treffpunkt für Jugendliche etabliert. Der Architekt Peter van Driessche macht einen Vorschlag für einen Wohnturm, in dem Menschen leben und arbeiten könnten, sollte der Meeresspiegel steigen. Das Gebäude schraubt sich so hoch in den Himmel wie die angrenzende Kirche Oud Sint-Jan. Es ist aber nur ein Modell. In Brügges Innenstadt darf nicht in die Höhe gebaut werden.

Das belgische Architektenduo Rotor verzichtet ganz darauf, etwas zu bauen und liefert damit den besten Beitrag in Sachen Nachhaltigkeit. Beim Umsetzen ihrer eigentlichen Idee stießen sie in Brügges Grachten auf die chinesische Wollhandkrabbe, einem vor hundert Jahren aus China eingeschleppten Tier, das zu Tausenden in den Brügger Kanälen lebt. Nun zeigen sie in einem „Observatorium“, wie die Krabbe nach Europa kam, wie die Vorrichtung aussieht, mit der man versucht, sie zu vernichten, wie sie in China als Delikatesse verspeist wird.

In einem Pop-Up-Restaurant am Strand von Zeebrugge laden die Architekten über die Sommermonate hinweg belgische Sterneköche ein, Gerichte mit der chinesischen Wollhandkrabbe zu kreieren. Pragmatisch genießen – das könnte ein Zukunftskonzept sein. Nur zehn Minuten fährt man bis Zeebrugge, schnell ist man in Knokke-Heist und weiteren Strandgemeinden, in denen die Beaufort Triennale läuft. Interessanterweise sind viele Berliner Künstler beteiligt, sie zeigen postmoderne Denkmäler am Strand. Auch die sind nicht in Stein gemeißelt.

Triennale Brügge, bis 16.9., www.triennalebrugge.de / Beaufort Triennale, bis 30.9., www.beaufort2018.be

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