zum Hauptinhalt

Kunst nach 1945: Wiener Glut

Hermann Nitsch, Joseph Beuys, Candida Höfer: Die Galerie Crone vergleicht Kunst aus Deutschland und Österreich.

Was immer Candida Höfer fotografiert, strahlt die Ruhe eines aufgeräumten Zimmers aus. Für die perfekte Geometrie ihrer Aufnahmen scheint kurz vor dem Eintreffen der großen Künstlerin noch jemand gesorgt zu haben: So sortieren sich in der „Fundación Marcelino Botin Santander“ (2004) die beiden Fenster im Hintergrund wie ihre eigenen Spiegelbilder; das Sofa und der Teppich davor sind genau mittig arrangiert. Ein Musterbeispiel, wenn es um die Wirkung der Zentralperspektive geht. Ein bisschen tot aber auch: Höfer zeigt die von Menschen gemachten Orte eigentlich schon wie Mausoleen.

Vielleicht hat diese, im zarten Grün der – natürlich geschlossenen – Vorhänge schimmernde Aufnahme den Impuls zur jüngsten Ausstellung der Galerie Crone gegeben. Oder es war der gut
sortierte Beton bei Imi Knoebel, der 1990 rote und gelbe Pigmente in das Material mischte, um den kantigen Skulpturen etwas von ihrer Härte zu nehmen. Jedenfalls trieb Galeriedirektor Markus Peichl dieser Gedanke schon eine ganze Weile um: Was verbindet, was unterscheidet die österreichische und die deutsche Kunst?

80 Werke auf über 1000 Quadratmetern

Zusammen mit dem Kurator Sebastian C. Strenger hat Peichl, gebürtiger Wiener, eine eindrucksvolle Ausstellung zum Thema realisiert. Auf über tausend Quadratmetern hängen Werke unter anderem von Höfer, Knoebel, Franz West, Jonathan Meese, Dieter Roth, Hermann Nitsch, Xenia Hausner, Rudolf Schwarzkogler, Joseph Beuys oder Brigitte Kowanz. Addiert sind es an die 80 Exponate von Künstler:innen aus Deutschland und Österreich, die „das Kunstgeschehen nachhaltig beeinflusst haben und auch international Anerkennung finden“, wie es im begleitenden Text heißt. Dass vermutlich niemand die komplette Schau sehen kann, liegt an der Struktur der Galerie Crone. Ursprünglich in Hamburg angesiedelt, zog sie 2001 nach Berlin, schloss dort 2018 ihre Räume am Checkpoint Charlie und ging erst einmal nach Wien. Zu den dortigen zwei Standorten kommen inzwischen wieder ein Showroom auf der Fasanenstraße und mit Crone Site noch eine unsanierte Altbauwohnung direkt am ehemaligen Flughafen Tempelhof als temporäre Ausstellungsmöglichkeit. Jede dieser vier Adressen beherbergt einen Teil der Ausstellung „Ganz Anders Gleich“, zusammen liefern sie das - zwar immer noch fragmentarische, aber doch Peichls wie Strengers These untermauernde – Bild zweier untrennbar miteinander verwobener Nachbarländer, in denen Künstler:innen ästhetisch dennoch unterschiedliche Wege gehen.

Beuys tütet den Dreck ein

Historisch verbindet Berlin vieles mit Wien. Die Sprache, der Jahrhunderte währende Austausch kreativer Köpfe, ein enger Kunsthandel, die Faszination für Maler wie Gustav Klimt oder Egon Schiele, die hier wie dort geradezu kultisch verehrt werden. Bei der nächsten Generation aber scheiden sich bereits die Geister. Blut und Dreck, Ekel und Selbstverletzung: Der Wiener Aktionismus trägt seinen Namen nicht ohne Grund, eine Entsprechung in der deutschen Kunstgeschichte nach 1945 gibt es nicht. Crone zeigt ein drei Meter breites „Schüttbild“ von Nitsch aus den achtziger Jahren, dazu Günter Brus’ fotografisch dokumentierte „Zerreißprobe“, die 1974 als „ästhetische Selbstverstümmelung“ stattfand. Er habe, erklärte Brus später, dabei an einen „direkten Schamanismus“ gedacht und ihn als Gegenpol zum „symbolisch-illustrativen Schamanismus“ eines Jospeh Beuys zelebriert. Wie zum Beweis liegt in der Ausstellung am Tempelhofer Damm dessen Arbeit „Ja, jetzt brechen wir hier den Scheiß ab“. Ein loses, unsauberes Arrangement aus Putz, Schutt und Staub, das Brus Lügen zu strafen scheint. Doch dann kommt es: Beuys hat den Dreck 1979 säuberlich in ein weißes Kuvert getütet und beschriftet.

"Schlagobers und Pillen"

Markus Peichl freuen solche Belege deutscher Gründlichkeit. Natürlich ist ihm ebenso die Klischeehaftigkeit klar, aber: Von nichts kommt nichts, das hat irgendwo seinen Kern. Sei es die Geduldsarbeit von Gregor Hildebrandt, der Tonbänder alter Audiokassetten so eng auf seine Leinwände klebt, dass sie wie schwarze Farbe alles bedecken; oder die Genauigkeit, mit der Rebecca Horn 1976 den Verlauf einer Performance auf einem Blatt Papier notiert. Wenn der gebürtige Freiburger Eckart Hahn auf seinem Gemälde von 2019 „Schlagobers und Pillen“ serviert, ist beides hyperrealistisch genau zu erkennen. Und schildert der 1982 in Berlin verstorbene Art-Brut-Künstler Friedrich Schröder-Sonnenstern seine okkulten Welten nicht derart präzise, dass sie fast wirklich scheinen?

Wie realistisch wäre auf der anderen Seite, dass einer wie Nitsch, der quasi in Blut und Exkrementen badet, in Deutschland ein ganzes Museum gewidmet bekommt? Der Wiener Aktionismus ist fest im bürgerlichen Milieu seines Landes verankert. Genau wie der Blick in die gesellschaftlichen Abgründe, den Ashley Hans Scheirl in einer geradezu wahnwitzigen Installation bei Crone vornimmt. Gemeinsam mit seiner/ihrer Partner/in Jakob Lena Knebl wird er 2022 den österreichischen Pavillon auf der Biennale von Venedig gestalten – und auch diese Entscheidung lässt sich schwerlich für den deutschen Pavillon vorstellen.

Kurator Sebastian C. Strenger und Markus Peichl mögen das „Emotionale, Intuitive, Gestische“ etwas holzschnittartig gegen das „Rationale, Analytische, Aufklärerische“ stellen. Dafür fordern ihre Behauptungen zum Nachdenken und Streiten heraus. Das ist schon mal mehr, als viele andere Ausstellungen leisten können oder wollen.

Galerie Crone, bis 24. April an vier Standorten in Berlin und Wien. Alle Ausstellungen lassen sich auch bis Ende Mai virtuell besuchen: www.galeriecrone.com

Zur Startseite