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„Wasserballett für Marl“ ist im Kindl zu sehen. Die Berliner Künstlerin Isa Melsheimer probiert sich hier in einem für sie neuen Medium aus.

© Isa Melsheimer & Esther Schipper, Berlin

Kunst in Neukölln: „Es fühlte sich an wie ein Fehlstart“

Kleine Grüppchen statt Quote: Kathrin Becker startet als neue künstlerische Direktorin im Kindl mit einer Ausstellung von Isa Melsheimer.

Das große Sudhaus mit seinen rotblonden Kupferkesseln scheint ein guter Ort, um sich auf Abstand zu treffen: Der Raum ist irre hoch, viel Luft über dem Kopf. 

Die bauchigen Kessel wirken, als würden sie Menschen diskret abschirmen. An diesem Nachmittag ist aber sowieso nur Kathrin Becker im Café, die neue künstlerische Leiterin im Kindl. 

Das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln ist mittlerweile von mediterranen Neubauwohnungen umgeben, auf dem Biergartenplatz vor der zum Ausstellungshaus umgebauten Brauerei hören ein paar Leute Musik und flechten sich nebenbei die Haare.

Kathrin Becker hat im Februar dieses Jahres ihren neuen Posten in Neukölln angetreten. Und ihre erste große Amtshandlung bestand darin, das Haus zu schließen. 

„Fühlt sich an wie ein Fehlstart“

Zuvor hat sie in nur wenigen Wochen ihre erste Ausstellung mit der Berliner Bildhauerin Isa Melsheimer realisiert. Sie war gedacht, um gleich zu Beginn zu zeigen, wo es mit dem Programm des Hauses hingehen soll. 

Die Berliner Künstlerin Isa Melsheimer beschäftigt sich in dieser Schau mit den Ideen der amerikanischen Feministin und Biologin Donna F. Haraway. 

Sie berührt Begriffe von Cyborg bis Chthuluzän, kreist um neue Verwandtschaften zwischen Mensch, Tier, Pflanze und Maschine, berührt ökologische Aspekte ebenso wie Postkolonialismus. Gesellschaftliche Visionen aus verschiedenen Zeiten werden hier zu etwas Neuem verknüpft.

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Jetzt ist Melsheimers Schau „Der unerfreuliche Zustand der Textur“ seit einer Woche fürs Publikum zugänglich. Die große Eröffnung und damit auch ein öffentliches Hallo für Kathrin Becker konnte es freilich nicht geben.

„Das alles fühlte sich absurd an, ein bisschen wie ein Fehlstart“, sagt Kathrin Becker. Aber jetzt sei sie erleichtert, dass es weitergeht und dass die neuen Arbeiten von Isa Melsheimer, die Walherzen aus Keramik, die Betonskulpturen, die Pflanzenkästen und Gouachen endlich zu sehen sind. 

Kunstgucken und Corona, klappt ganz gut

Selbstverständlich ist das nicht. Hätte der Lockdown länger gedauert, hätten die Arbeiten von Melsheimer vielleicht ungesehen wieder abgebaut werden müssen. Nicht alles lässt sich einfach so verschieben im Kunstbetrieb.

Im Moment kämen etwa zwei Drittel der Besucher, die unter Normalbedingungen gezählt werden. „Damit bin ich sehr zufrieden“, sagt Kathrin Becker. 

Aus einer in 2018 durchgeführten Besucherbefragung kennt sie das Publikum des Hauses recht gut: Mehr als die Hälfte der Gäste sind normalerweise Touristen. 

Doch das Programm scheint in Corona- Zeiten auch Berliner anzuziehen. Das ist wichtig in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren.

Mit Publikumserwartungen kennt Kathrin Becker sich aus. Sie war zuvor Geschäftsführerin des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK) in Mitte, seit 2001 leitete sie dessen Video-Forum, eine der ältesten Videokunstsammlungen Deutschlands, mit Arbeiten von Künstlern wie Harun Farocki, Rebecca Horn, Nam June Paik oder Hito Steyerl. 

Isa Melsheimer, „Der unerfreuliche Zustand der Textur“, Installation mit Walherz aus Keramik im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst.
Isa Melsheimer, „Der unerfreuliche Zustand der Textur“, Installation mit Walherz aus Keramik im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst.

© Jens Ziehe, 2020

Gesellschaft, Feminismus und Gegenwart im Blick

Dass sie sich in Corona-Zeiten auf lokale Künstler beschränkt, kommt für Becker eher nicht infrage. Der interkulturelle Austausch ist für sie essenziell. Man könne aber in kleineren Formaten denken, statt in Quoten.

Becker studierte Kunstgeschichte und Slawistik in Bochum und an der Leningrader Universität. Wie sich der Wandel in den 90er Jahren in Russland und Westeuropa in der Kunst abbildete, ist eines ihrer frühen kuratorischen Themen. 

Im NBK hat sie zahlreiche Einzelausstellungen realisiert, unter anderem mit Louise Bourgeois, John Bock, Laure Prouvost oder Candice Breitz, immer Gesellschaft, Feminismus und Gegenwart im Blick.

Beckers Vorgänger, der Schweizer Kurator Andreas Fiedler, hat seit der Eröffnung des Kindl 2016 darauf geachtet, dass das Areal in Neukölln nicht zum Kunst-Ufo wird. 

Es gab zum Beispiel nach den Eröffnungen kein Dinner für geladene Gäste, wie es oft üblich ist, stattdessen waren die Vernissagen öffentlich und die Häppchen für alle da. 

Melsheimers großes Walherz aus Keramik im Zentrum

Daran will Kathrin Becker festhalten. Und sie hat sich vorgenommen, verstärkt mit Bildungsträgern aus der Nachbarschaft zu kooperieren. Auch wenn Führungen und Künstlergespräche im Moment noch entfallen: „Interaktion ist wichtig“, meint Becker. „Nicht nur online“. 

Das Reden über Kunst, auch das Reden mit den ausstellenden Künstlern, sei ihr wichtig. Bei Isa Melsheimer lief das gut.

Das Maschinenhaus war für beide noch neu. Nun steht dort Melsheimers großes Walherz aus Keramik im Zentrum. Ein prächtiges Stück, mit einem hohlen Inneren, von Streben gestützt, von Tuben und Röhren umgeben, auf weichen selbst genähten Lappen gelagert. 

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Melsheimer ist eine begnadete Handwerkerin, sie kann mit allem umgehen: Keramik, Stoff, Pflanzen, Beton. 

Viele der gezeigten Arbeiten entstanden bei einem Stipendienaufenthalt auf der neufundländischen Insel Fogo, inspiriert von der Landschaft und den Geschichten vor Ort. Wie die von dem 300 Kilogramm schweren Blauwalherz, das von Fogo nach Brandenburg geschickt wurde, ins Plastinarium von Gunther von Hagens.

Mäzenatentum, um das die Stadt froh sein kann

Kunst wie diese würde man in Neukölln nicht zu sehen bekommen, wenn nicht das Unternehmer- und Kunstsammlerpaar Salome Grisard und Burkhard Varnholt die Brauerei auf dem Rollberg 2011 gekauft und zum Kunstzentrum umgebaut hätte. 

Grisard und Varnholt sind am ehesten dafür bekannt, dass sie nicht im Vordergrund stehen möchten. Obwohl ohne sie hier wirklich gar nichts möglich wäre. 

[Kindl Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, Neukölln, Mi-So 12-18 Uhr]

Sie übernehmen die Kosten, die von den Einnahmen aus Eintrittsgeldern (mit 5 Euro sehr moderat) und Vermietung nicht gedeckt werden und finanzieren auch Ausstellungen, ohne ihre eigene Kunstsammlung jemals ins Spiel zu bringen. Mäzenatentum, um das die Stadt froh sein kann. Zumal, wenn man hört, wie die Begeisterung anderer Privatsammler für Berlin derzeit schwindet.

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