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Himmelsfarben. Ina Abuschenko-Matwejewa vor ihrem Werk „complicatio no. VII“, das aus lauter geknickten Kartonkügelchen besteht.

© Simon Rayss / VG Bildkunst, Bonn 2021

Kunst in Eberswalde: Ein furchtloser Priester und das Schimmern der Unendlichkeit

Ina Abuschenko-Matwejewa kreiert abstrakte Kunst, inspiriert vom Gelehrten Giordano Bruno. Jetzt ist ihr Werk in einer Schau in Eberswalde zu sehen.

Da steigt man aus dem Bus und denkt: „Das kann doch nicht richtig sein.“ Um einen herum nur bröckelnde Plattenbauten und Kiefernwäldchen. Ein bisschen, als hätte jemand das Marzahn der Neunziger an die Ostseeküste verlegt. Die Galerie „Fenster“ in Eberswalde liegt genau dort, wo ein Ausstellungspublikum sonst nur selten hinkommt: im „Problembezirk" Brandenburgisches Viertel.

In einer hell gehaltenen Wohnung mit Raufasertapete wird Kunst gezeigt, aktuell die Ausstellung „Giordano Bruno Zyklus“ mit Werken von Ina Abuschenko-Matwejewa. Die Künstlerin studierte in den 1980ern Germanistik, Kunstwissenschaft und Pädagogik an der Humboldt Universität Berlin, zwischen 1991 und 1996 schloss sie ein Studium an der Hochschule der bildenden Künste in Dresden an. Zu sehen sind von ihr größtenteils Papierarbeiten mit abstrakten Motiven. Werke von großer Klarheit, die von einer Freude am Spiel mit Kontrasten und farblichen Bezügen zeugen.

Bruno war ein italienischer Priester, Philosoph und Astronom, der die Unendlichkeit des Universums verkündete – und damit die Inquisition gegen sich aufbrachte. Er wurde 1600 zum Tode auf dem Scheiterhaufen auf dem römischen Campo de’ Fiori verurteilt. Dass Ina Abuschenko-Matwejewa diesen Denker zur Inspirationsquelle ihrer Arbeiten erklärt, ist kein Zufall.

Die in Eberswalde lebende Künstlerin ist eine der Gründer:innen des Kollektivs Neuer Blumenplatz. Die Mitglieder verstehen die Gruppe als Ort der gedanklichen Vernetzung und des kreativen Schaffens. Gleichzeitig haben sie tatsächlich einen Garten in der Stadt angelegt, in dem sie pflanzen, jäten und den Austausch pflegen.

Der Name wiederum geht zurück auf das Gedicht „Neuer Blumenplatz“ von Czeslaw Milosz. Darin zieht der polnische Dichter eine Parallele von der Verbrennung Brunos auf dem Campo de’ Fiori (auf Deutsch „Blumenplatz“) zum jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Czeslaw Milosz hofft auf die Wirkmacht der Kunst in das alltägliche Leben hinein – ein Gedanke, der auch den Anstoß zur Gründung der Gruppe gegeben hat.

Hier interagieren Besucher mit der Kunst

Es lohnt sich, die Arbeiten von Ina Abuschenko-Matwejewa vor dem Hintergrund dieser Inspirationskette zu betrachten. Gleich eingangs hängt „Dem Campo de’ Fiori in Rom und dem Neuen Blumenplatz in Eberswalde, Nr. 4“, sie versammelt vier fragmentierte Kreise. Die einzelnen Kreissegmente sind als Gouache auf Zeichenkarton aufgebracht. Jeder der vier Kreise wirkt zunächst einfarbig – schwarz, violett, beige. Doch umgibt die Lamellen ein irritierend buntes Schimmern auf dem weißen Untergrund. Bei näherem Betrachten fällt auf, dass sie sich nach oben biegen und den Blick freigeben auf die leuchtenden Farben ihrer Unterseiten: Gelb, Orange, Pink, Cyan, ein beinahe hippieskes Spektrum, das sich offenbart, wenn man um die Arbeit herumläuft.

[Galerie Fenster, Prignitzer Str. 50, Eberswalde; bis 16.12.; Besuch nach Vereinbarung: post@mescal.de]

Bei Ina Abuschenko-Matwejewa interagieren die Besucher:innen mit der Kunst. Mit dem vierteiligen Werk „Clouds I-IV“ zum Beispiel. Diesmal erscheinen die aufgebogenen Kartonstreifen wie hingehaucht auf den weißen Untergrund. Durch den Lichteinfall nehmen sie Pastelltöne an, man meint, das zarte Blau eines Himmels durch die Arbeit hindurchschimmern zu sehen. So verwandelt sich das Nebeneinander der Streifen zur Illusion einer plastischen Wolke aus Papier, Licht und Schatten.

Ein Spiel mit Kontrasten und Bezügen

Einen Spannungsraum erzeugt auch „Complicatio No VII“. Auf einem ein mal ein Meter großen Feld verteilt die Künstlerin Hunderte von gefalteten Kartonkügelchen. Auf der einen Seite sind sie blau eingefärbt, auf der anderen weiß gehalten. Dieses Weiß verschwimmt mit dem des Untergrunds, sodass die Kügelchen über der Fläche zu schweben scheinen. Fast wie blau durchsetzte Himmelskörper über einem gleißenden Himmel.

Zwischen den Werken öffnet sich immer wieder der Ausstellungsraum: Fenster geben den Blick frei auf die Wohnblöcke und Kiefernwipfel ringsum. Und auf Ausschnitte des Himmels über dem Brandenburgischen Viertel. Ein Spiel mit den Kontrasten und Bezügen – nicht nur in den Arbeiten von Ina Abuschenko-Matwejewa.

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