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Wellenreiten. Die kleine Installation „Ein Maß des Lebens“ von Akinori Tao (2019).

© Timo Ohler

Kunst in Coronazeiten: Thomas Demand kuratiert in einer Galerie in Mitte

Künstler im Homeoffice: Der fotografierende Bildhauer zeigt in der Galerie Sprüth Magers Arbeiten von Freundinnen und Freunden.

„Curated by Thomas Demand“: Ist das nun Teil des Ausstellungstitels oder bloß Zusatzhinweis? Aber dafür steht es doch etwas zu prominent im Texte zur Schau. Und natürlich ist der Kurator selbst viel zu prominent fürs Kleingedruckte.

Er muss jetzt erst einmal die Schutzfolie vom Buch entfernen. Der fotografierende Bildhauer Thomas Demand gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler. Selbst designte Tapeten, wie sie früh in seinen Schauen auftauchten, deuteten bereits ein über das Einzelwerk weisende Interesse am Ausstellen an. Dass er sich irgendwann auch als Kurator betätigen würde, war die logische Folge: Von Demand kuratierten Ausstellungen stehen heute in seinem Werkkatalog gleichberechtigt neben den Fotografien.

Er nimmt die Dinge gern selbst in die Hand

Das will er gleich demonstrieren und lässt sich in der Galerie einen noch eingeschweißten Katalog bringen. Er hat es sich nämlich nicht nehmen lassen, persönlich durch die von ihm kuratierte Ausstellung zu führen. Es könnte natürlich sein, dass ihm, unter diesen Umständen gerade, ein bisschen langweilig ist. Aber so wirkt er überhaupt nicht. Eher wie einer, der die Dinge gerne selbst in die Hand nimmt.

Unter diesen Umständen gerade: Gemeint ist Corona, die Pandemie, die auch den Kunstbetrieb weitgehend lahmgelegt hat, einschließlich der Kunstproduktion in den Ateliers. Demand selbst unterhält zurzeit überhaupt keines. Er ist gerade erst, nach zehn Jahren, von Los Angeles nach Berlin zurückgekehrt, das neue Atelier noch im Bau. Dann kam die Anfrage der Galerie Sprüth Magers, ob er nicht, kurzfristig, eine Schau in Berlin kuratieren könne, zu diesen Umständen gerade.

Er begriff den Auftrag als Gelegenheit, einmal wieder bei seinen alten Künstlerfreunden anzuklopfen. In die Abgesänge auf Berlin als Kunststadt will er nicht einstimmen – die Künstler würden bleiben. In institutioneller Hinsicht habe Berlin ohnehin nichts zu bieten, nie gehabt, den Gropius Bau ausgenommen. Nicht etablierte Künstler hätten es in Berlin auch schon schwer gehabt, bevor die Mieten gestiegen seien. Er selbst sei 1994 als Etablierter nach Berlin gekommen.

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Für die meisten seiner Künstlerfreunde gilt das sicher auch. Den Titel der gemeinsamen Ausstellung „local talent“ hat er dem Filmjargon entnommen und die falsche Spur, die er damit legt, nimmt er mit ironischer Gelassenheit in Kauf: Die Berliner „Talente“ Tacita Dean, Ólafur Elíasson, Omar Fast, Anri Sala, Thomas Struth oder Rosemarie Trockel sind wie Demand selbst, seit Jahrzehnten Stars der internationalen Kunstszene.

Wie aber sind nun diese Freunde damit umgegangen, dass ihre Ausstellungen geschlossen, verschoben, abgesagt wurden? Würden sie das im Rahmen der Gruppenschau reflektieren können und wollen? „Ich wollte kein direktes Abbild der Covid-Krise zeigen.“

Wolkenbilder und Leuchtturmlampen

Was also hat er stattdessen bekommen, von den 25 Kollegen? Von Ólafur Elíasson eine alte Leuchtturm-Lampe, die nun ein permanentes „SOS“ aussendet. Von Miriam Böhm Wolkenbilder, teilweise direkt auf die Wand aufgebracht – wie die Fototapeten von früher, unzureichender Ersatz für nicht realisierbare Reiseträume? Von Corinne Wasmuth das abstrakte Bild eines Flughafens, der heute nicht mehr ist, was er war, als sie vor eineinhalb Jahren begonnen hat, daran zu malen – eine Chimäre?

Von Tacita Dean gibt es akribisch gezeichnete, spiegelverkehrte Reproduktionen von Postkarten schief gewachsener Bäume, die, zusammen mit den Originalen, aussehen wie Klecksografien eines Rorschachtests – wähnte die Künstlerin sich in der erzwungenen Isolation etwa schon dem Wahnsinn nahe?

[Galerie Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18; bis 22. August, Besuch nach Anmeldung, www.spruethmagers.com]

Von Akinori Tao – (noch) kein Kunststar, aber Absolvent der HFBK Hamburg bei Thomas Demand – eine Kunststoffmotte in einer Schale mit Silikonmilch, daneben eine zweite Milchschale, die Demand im Vorbeigehen schnell noch zurechtrückt, damit die Wellenbewegungen in beiden Schalen auch wirklich synchron sind.

Der Schmetterlingseffekt, der in dem komplexen System, das die globalisierte (Kunst-)Welt ist, nicht vorhersehbare Dinge bewirkt, zum Beispiel eine Pandemie? Von Henrik Olesen Silikonabgüsse seiner Computertastatur – ein lakonischer Kommentar, der eigentlich keine Fragen mehr aufwirft.

Auffällig sind die überwiegend kleinen Formate. Auch die Künstler waren auf das Homeoffice beschränkt. Eine Entscheidung, die Demand als Kurator treffen musste, war, ob er selbst in seiner Ausstellung vertreten sein sollte. Ob das irgendwie unangebracht wäre oder, im Gegenteil, er sich durch Nichtteilnahme über die Künstlerfreunde erheben würde. Er hat sich für die Teilnahme entschieden. Durch Unterlassen wird einer, der die Dinge gern selbst in die Hand nimmt, nicht zum prominenten zeitgenössischen Künstler. Der jetzt auch das wieder ist: ein Berliner Künstler.

Jens Müller

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