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Ritual im Risikobereich. Die Skulptur „Quantum Jelly“ der Künstlerin Sadie Weis hängt in der Gemeinschaftsdusche mit Blick auf die Spree.

© Birgit Rieger

Kunst im Hotelschiff: Bullauge, sei wachsam

Allein mit einer Kabine Kunst: Ausstellung in einem Hostelschiff auf der Spree, das noch nicht wieder belegt werden darf.

Berlin war einmal ein Ort für höchst ungewöhnliche Räume, man stolperte hier quasi von einer Entdeckung in die nächste. Das ist nicht mehr so, und die Pandemie hat dem Herumstromern sowieso ein Ende gesetzt. Auf der anderen Seite birgt Corona auch neue Chancen. Manche Orte können seit Monaten nicht mehr in ihrer eigentlichen Funktion genutzt werden. Dieser Umstand kam dem Künstler und Filmemacher Arthur Patching zugute. Patching kam 2010 nach Berlin und betrieb eine Non-Profit-Galerie in der Neuköllner Emser Straße, aufgrund steigender Mieten gab er den Standort nach zwei Jahren wieder auf. Seine Ausstellungskonzepte waren damals schon unkonventionell, so verkaufte er etwa Editionen mit Maximalpreis 35 Euro, um neue Sammler zu generieren. Oder zeigte Videokunst in einer Bäckerei.

Nun hat der Brite, der am Goldsmiths’ College in London studierte, seine ehemalige „129 Gallery“ auf einem Hostelschiff an der Spree wiederaufleben lassen. Normalerweise ist die Ecke an der Warschauer Brücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg ein Bermudadreieck für Partysucher und Touristen. Das Western Comfort Hostelboat, das nahe der bemalten Mauerreste der East Side Gallery vertäut ist, darf trotz Aufhebung des Beherbergungsverbots noch keine Gäste empfangen. „Die Gemeinschaftsduschen sind ein Problem“, erzählt Patching.

Die Idee, die schwimmende Touristenunterkunft mit ihren Kabinen für ein, zwei oder drei Gäste, jeweils mit Blick aufs Wasser, als Ausstellungsraum zu nutzen, kam ihm während der Coronazeit. In einer Zeit der künstlerischen und sozialen Stagnation habe er „ein Bedürfnis nach Wellenbewegungen“ gehabt, sagt er. Die Gäste sind in den Kabinen alleine mit der Kunst. Pro Kajüte ist nur eine Besucherin erlaubt, so können die Hygieneregeln eingehalten und gleichzeitig ungewöhnliche Kunsterfahrungen bereitet werden.

Gemeinschaftsduschen sind bei Corona tabu, aber nicht für die Kunst

Die 15 beteiligten Künstler:innen stammen teilweise aus Patchings früherem Galerieprogramm, andere lud er persönlich ein beim Schiffsprojekt mitzumachen, so wurde zum Beispiel der international bekannte Konzeptkünstler und Kunstprofessor Christian Jankowski aufmerksam. Jankowski, der jüngst mit einer Kunstaktion das „heute journal“ kaperte, war begeistert von dem Hostelschiff und zeigt nun in einer der Kabinen eine Arbeit, die das Ökosystem Wasser aus einer sehr kumpelhaften Perspektive betrachtet.

Jankowski nahm 2018 Sounds aus der Spree auf, spielte sie der Moldau vor. Dann wiederum zeichnete er Geräusche des Prager Flusses auf und kredenzte sie per DJ-Set der Spree. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man diesen abgedrehten Klangaustausch in einem strengen White Cube nacherlebt oder in einem Schlafraum mit Stockbett, Mischpult und Blick auf den Fluss. Noch dazu kann man hinter sich die Türe schließen und ist allein mit der Installation, die sich auf dem Dach des Schiffes gurgelnd fortsetzt.

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Ob sich etwas Schmusiges, Angenehmes hinter den Kabinentüren verbirgt oder etwas Groteskes, Gruseliges ist nie abzusehen. Das macht die Ausstellung zum Abenteuer. Bei Nina E. Schönefeld geht es um die Verklappung radioaktiven Mülls im Meer. Auch Chan Sook Choi verhandelt ein schweres historisches Thema. In dem 35-Minuten-Video „Myitkyina“ erzählt sie von „Trostfrauen“, die während des Asien-Pazifik-Krieges in japanische Kriegsbordelle verschleppt wurden. Chan Sook Choi lässt zwei junge Frauen Original-Aussagen von Zeitzeuginnen vortragen. Einige von ihnen wurden auf einer Fähre zwischen China und Indien festgehalten, ihre Worte in einem schwankenden Schiffsbauch zu hören, macht sie umso eindringlicher.

Das Wasser spielt auch in dem Raum eine Rolle, den Arthur Patching selbst bespielt. Dort zeigt er unterm Bett das Video „Bury the Dead“, während auf dem Gestell eine nasskalte Überraschung wartet. Für den Film „Bury the Dead“ forderte Patching Menschen dazu auf, sich ihrer elektronischen Geräte zu entledigen, sie abzugeben und anschließend rituell zu begraben. In der neuen Installation „Unveil“ auf dem Schiff, wird der Gedanke des Loslassens weitergeführt.

[129 Gallery, Western Comfort Hostelboat, Mühlenstraße 73, 15 – 20 Uhr, Anmeldung via E-Mail an info@129gallery.com.]

Eine Art Reset für die Augen und die Empfindungen ist der Raum des Berliner Klangkünstlers Georg Klein. Seine Kajüte hat Klein in rosa Kunstlicht getaucht, ein schriller Ton erklingt, die Einrichtung drinnen und das Panorama durchs Fenster versinken in krispem Orange-Rot. Auch einer der Duschräume wird genutzt, dort hat die Künstlerin Sadie Weis eine Skulptur aus Edelsteinen und Stoff aufgehängt. Es wirkt wie das Relikt eines alchemistischen Rituals, der Duschraum, braucht ja auch eine Wandlung, schließlich ist er mit daran schuld, dass es im Hostelbetrieb ruht. Die Ausstellung ist noch bis Sonntag zu sehen.

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