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Das Deutsche Theater spielt ab 22.5. „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“ draußen vor dem Schauspielhaus.

© DAVIDS/Christina Kratsch

Kunst im Freien – Was jetzt wieder geht!: Open-Air-Bühne und Jazz am Ufer

Es liegt was in der Luft: Wir freuen uns auf Naturschauspiele, Open-Air-Konzerte, Kino in der Nacht und Lesungen am See.

SCHÖNWETTER-THEATER

Kein Wunder, dass die Griechen das Theater erfunden haben. Es hat mit dem Wetter zu tun. Im sibirischen Permafrostgebiet oder in der kalten Sandwüste Brandenburgs wäre die Saison viel zu kurz, hier frieren selbst die Götter. Wer einmal in Epidauros auf den Rängen saß, auf dem warmen Stein, versteht den Zusammenhang von Landschaft und Kultur instinktiv.

Der aus Kleinasien stammende Reiseschriftsteller Pausanias, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte, schwärmte von der „Harmonie und Schönheit“ von Epidauros auf dem Peloponnes.

Griechenlands Theater waren als Naturschauspiele angelegt, in der Antike fanden die Großstädter aus Athen dort auch Bäder und andere medizinische Einrichtungen, ein Geburtshaus und ein Hospiz für Todkranke, und Tempel. Heilung und Unterhaltung gingen Hand in Hand – und die griechischen Dramatiker erkannten sofort die Notwendigkeit nach der Geburt der Tragödie auch die Komödie in die Welt zu setzen.

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Und so ist es völlig richtig, dass das Deutsche Theater am Wochenende jetzt den Schritt hinaus macht auf den Theatervorplatz und mit Molière aufspielt, „Tartuffe“ in der mitreißend verquasselten Turboversion von Peter Licht. Wir brauchen die Komödie dringend, es laufen ja schon die ersten Pandemie-Stücke. Das gehört dann bald auch zur heiß ersehnten Normalität: Corona-Dramaturgie. Dann doch lieber bei den Komödianten draußen, wo alles begann, unter freiem Himmel, vom Winde verweht und vom Berliner Dauerregen durchnässt.

Gegen die Schönwetter-Theorie spricht natürlich Shakespeare. Sein Globe Theatre hatte kein Dach, und in seinen Dramen, in Schottland oder Dänemark oder auf Englands Äckern, stürmt es nicht wenig. Auch Shakespeare zog es in das Fantasiereich des Südens, nach Venedig, nach Bermuda und Griechenland. Menschen, Tiere, Sex und Sensationen, „Ein Sommernachtstraum“. Da wollen wir alle hin, zu Hyppolita und den Handwerkern, da schließt sich der Kreis. Rüdiger Schaper

MAGISCHE KLANGRÄUME

Kürzlich einer Band hinterhergereist: An zwei aufeinanderfolgenden Samstagen spielten ein Trompeter und ein Gitarrist mit wechselnden Begleitmusikern erst am Landwehrkanal, dann am Helmholtzplatz. Sie hatten Glück, die Sonne schien. Kleine Halbkreise von Zuhörenden versammelten sich. Mit wippendem Fuß, Lächeln im Gesicht und einem fast vergessenen Glücksgefühl lauschte ich ihren feinen Jazz-Exkursionen, beklatschte die Soli.

Auch wenn in der Pandemie kein Mangel an neuer, toller Musik herrscht, wirkt sie doch um so viel intensiver, berührender, näher, wenn sie live gespielt wird. Die Aussicht auf mehr als Straßenmusik ist euphorisierend für die ausgehungerten Hirne und Herzen. Zwar sind viele Konzerte – zumal von internationalen Bands – bereits wieder auf nächstes Jahr verschoben.

Doch in kleinerem, lokaleren Rahmen wird in Berlin sicher einiges möglich sein. Es scheint inzwischen schon fast egal, wer auf der Bühne stehen wird – Hauptsache wir können wieder in diesen magischen Klangraum eintreten, der entsteht, wenn Musiker*innen ihr Publikum mit einer leidenschaftlichen Performance mitreißen.

Am Helmholtzplatz ist aus der Kreuzberger Trio-Besetzung von der Vorwoche ein Quintett inklusive Mini-Schlagzeug, Bass und Saxofon geworden. Als sich die Bläser mit dem Gitarristen unisono in die Kurven legen, bin ich kurz davor loszujubeln. Habe es mir gerade noch verkniffen und stattdessen ein paar Euro für den Instrumentenkoffer herausgekramt. Bald werden gern auch wieder größere Summen für Tickets, Getränke und T-Shirts ausgegeben. Nadine Lange

IN BALBEC AM WANNSEE

Neulich erzählte die Berliner Schriftstellerin Katja Lange-Müller, dass sie zwei Lesungen draußen veranstaltet habe. Einmal auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zusammen mit Freunden, da stand sie an den Gräbern „unserer teuren Toten“, wie sie sagte, zum Beispiel Heiner Müller oder Wolfgang Hilbig, und las Texte von diesen.

Das andere Mal auf einer Bank am Leopoldplatz in Wedding, wo sie eigene Erzählungen über eben diesen Berliner Bezirk vortrug. Erfolg war ihr gerade im letzteren Fall nicht beschieden, nicht nur wegen der vorbeistromernden Klientel, sondern weil Literatur in der Regel vier Wände braucht, einen Raum, der der Konzentration förderlich ist, keine Paare, Passanten, kein Gesummse oder Autoverkehr drumherum. Auch für den Strand, wer weiß das nicht, lässt man seine Proust-Ausgabe lieber zuhause und packt sich einen Thriller ein, der bei hoch stehender Mittagssonne schon mal höhere Schwierigkeitsgrade bekommen kann.

Doch hat die Corona-Not ja nicht zuletzt die Literaturhäuser erfinderisch gemacht. In Häusern wie dem Literaturhaus in der Fasanenstraße und dem Brecht-Haus in der Chausseestraße gab es Lesungen im Garten oder Hof; und es soll sie demnächst wieder geben.

Literarisches Colloquium am Wannsee: Zum Sommerfest gibt es Lesungen auf der Wiese vor dem Haus.
Literarisches Colloquium am Wannsee: Zum Sommerfest gibt es Lesungen auf der Wiese vor dem Haus.

© Tobias Bohm

Geradezu traditionell dagegen werden Literatur-Veranstaltungen im LCB am Wannsee ausgerichtet. Jedes Jahr beim Sommerfest, aber auch zu anderer Gelegenheit, steht eine Bühne oben hinterm Haus oder unten am Wasser. Und es funktioniert wunderbar, bei dieser Kulisse! Die lenkt mit ihrer Schönheit bisweilen zwar ab, ist aber dennoch der Kontemplation dienlich, dem konzentrierten Versenken in das, was auf der Bühne vorgetragen wird.

Wenn man doch den Blick über den Wannsee schweifen lässt, hier ein Segelboot sieht, dort die sich kräuselnden Wellen, ist nicht nur Monet, sondern auch die Literatur wieder nahe. Zum Beispiel, klar, die von Proust. Sofort fühlt man sich wie der Erzähler im normannischen Seebad Balbec.

Dem kam es dort in seinem Hotel desöfteren vor, nachdem ihm Francoise die Vorhänge aufgezogen hatte, „in meinem Fenster, einer besonderen Sonneneinstrahlung zufolge, eine dunklere Meeresfläche für eine entfernte Küste zu nehmen oder entzückt in eine wallende Bläue zu schauen, ohne zu wissen, ob es die vom Meere sei oder vom Himmel“.  Gerrit Bartels

MIT AI WEIWEI UNTER BÄUMEN

Auf Schloss Schwante, 25 Kilometer nördlich von Berlin, haben sie eigentlich alles richtig gemacht und von Anfang an auf Outdoor-Kunst gesetzt. Als ob Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel geahnt hätten, dass noch mehr in der Luft liegt als nur die Lust, durch einen schönen Park mit Skulpturen zu flanieren.

Vor knapp einem Jahr hat das Unternehmerpaar, das mit der Finanzierung von Kunstverkäufen und der Betreuung von Künstlernachlässen sein Geld verdient, den 20 Hektar großen Garten für Publikum geöffnet. 2019 hatten die beiden das nördlich von Berlin gelegene Schloss vom Betreiber des Berliner Monbijou-Theaters erworben.

Damit erlebt das Barockschloss, dessen Entwurf vermutlich von Knobelsdorff stammt, seine nächste Bestimmung – zunächst Adelssitz, zu DDR-Zeiten Kindergarten, Krankenhaus, kommunale Küche, nach der Wende feudale Adresse eines zwielichtigen Generalkonsuls.

Maria Lobodas Bronze "Sculpture in its Private Realm" steht in einem Tümpel auf dem Schlosspark-Gelände in Schwante.
Maria Lobodas Bronze "Sculpture in its Private Realm" steht in einem Tümpel auf dem Schlosspark-Gelände in Schwante.

© Maria Loboda, courtesy Galerie Thomas Schulte, Berlin, image by Hanno Plate

Bei der Premiere als Skulpturengarten 2020 waren 24 Werke zwischen Obstbäumen, unter Weiden, auf einer Pferdekoppel platziert, Arbeiten von Ai Weiwei, Tony Cragg oder Dan Graham. Später ließen sie sich weiterhin aus der Ferne von einem Pappelpfad aus bewundern: Schloss Schwante liegt auf der Strecke eines überaus beliebten Wanderwegs, den die Berliner in Zeiten der Pandemie für sich entdeckten.

Ab 4. Juni ist der Skulpturengarten wieder geöffnet. Mit der neuen Saison kommen weitere Werke hinzu, von Bettina Allamoda, Angela Bulloch, Leiko Ikemura, Nadine Schemmann und Kiki Smith. Wer genau hinhört, kann neben Vogelzwitschern auch Susan Philipsz’ glockenhellen Sopran vernehmen – von der Schottin stammt eine Soundinstallation. Über dem Teich wird wieder Martin Creeds Neonschrift leuchten: „Everything is going to be alright“. Nicola Kuhn

DAS LOCARNO-GEFÜHL

Der Platz ist von alten Bürgerhäusern gesäumt. Vom Lago Maggiore wehen laue Winde herüber, hinter der Leinwand schimmert die Silhouette der Alpen. Plastikstühle, 8000 Plätze, auch Pizzeria-Tische gehören zum kopfsteingepflasterten Oval, selig, wer einen ergattert. Die Piazza Grande in Locarno verfügt nicht nur über die größte Leinwand Europas (26 mal 14 Meter), sie ist auch das schönste Freiluftkino der Welt.

Und weil die Berlinale als das weltgrößte Publikumsfestival quasi die Piazza Grande unter den internationalen Filmfesten ist, mit Carlo Chatrian als Künstlerischem Leiter, der 2019 aus Locarno zum Bären-Festival wechselte, liegt der Gedanke nahe:

Wie schön wäre es, wenn das Locarno-Gefühl beim „Summer Special“ der Berlinale von der Stadt Besitz ergreifen würde. Dieses erhaben wehmütige Gefühl, wenn am Himmelszeltdach über den laufenden Bildern die Sterne funkeln und manchmal ein Schnuppe verglüht. Dieses Gejucke nach der zweiten, dritten Stechmückenattacke. Und diese in die schnöde Realität gestülpte Hochspannung, wenn Blitze zucken und himmlische Action ankündigen.

Die einen ergreifen die Flucht, die anderen trotzen dem Wolkenbruch und das Nyloncape klebt an der Haut. Früher konnte es auch passieren, dass man in einen Shuttlebus gesteckt wurde und sich in der Mehrzweckhalle am Stadtrand wiederfand – ziemlich ernüchternd.

Aber heute nicht, die Nacht ist klar. Rotwein im Becher, die Bilder entgrenzt, die Stimmen verzerrt, verweht: Das Draußen-Kino hat seine Tücken. Locarno-Veteraninnen erinnern sich gerne an „la voce“, jenen italienischen Schauspieler Luigi Faloppa, der einst mit höllentiefer Stimme aus dem Off das Programm ansagte.

Sein sonores Dröhnen war Kult, es zog ganz Locarno in Bann. Für ihre zentrale Location auf der Museumsinsel sollte die Sommer- Berlinale unbedingt einen Staatsopern-Bass engagieren. Christiane Peitz

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