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Astrein. Im spätsommerlichen Licht sieht alles gut aus – auch eine Fotoausstellung im Wald.

© Thilo Rückeis

Kunst im Düppeler Forst: Das ist der Wipfel

Künstler, die auf Bäumen hocken: Eine experimentelle Schau im Düppeler Forst erkundet den Wald als Atelier und Galerie. Festes Schuhwerk wird empfohlen.

Auf dem Waldweg liegt ein Lineal. Minimaler künstlerischer Eingriff in den Naturraum oder nur ein vergessenes Relikt vom Ausstellungsaufbau? Wer dieser Tage durch den herbstlichen Düppeler Forst streift, darf sich auf ungewöhnliche Entdeckungen gefasst machen. „Through a Forest Wilderness“ nennt sich die ausgedehnte Frischluftschau, die ihren Besuchern zu festem Schuhwerk rät.

Wie Künstler seit den Pioniertagen von Fluxus und Happening den Wald als künstlerisches Terrain eroberten, will sie erkunden. Der Parcours beginnt gegenüber der Kirche Sankt Peter und Paul auf Nikolskoe, die seit 1837 einen kulturellen Außenposten im Forstgrün markiert. Die Busanbindung ist sporadisch. Schon nach wenigen Schritten scheint die urbane Gegenwart weit weg. Äste knacken, Laub raschelt, die Pfade werden schmaler. Es sind mehrere Kilometer durch den lichten Eichenmischbestand zurückzulegen, wenn man tatsächlich alles sehen will, was sich hier in acht Themengruppen im Unterholz versteckt.

Dass ein abgestorbener Ast, als Folge des heißen Sommers, auf Besucher herabstürzen könnte, gehört zu den Albtraumvisionen der Kuratorin Petra Stegmann. Sie hat ihr Projekt mit einer Indoor-Ausstellung in Potsdam vorbereitet. Nun half die Bundeskulturstiftung, das Thema dorthin zu verpflanzen, wo es hingehört: ins Freie. Kein Zaun reglementiert den Zutritt, kein Ticket will am Eingang gelöst sein. Dafür darf man gleich zu Beginn der mäandernden Kunstwanderung selbst aktiv werden und am „Wish Tree“ von Yoko Ono einen persönlichen Wunschzettel in den Wind hängen.

Konzepte, Ideen und Gedankenspiele fluktuieren durch den Wald

Als freien, unkontrollierten Aktionsraum begannen Künstler verschiedenster Couleur seit den 1960er und 70er Jahren den Wald zu entdecken. Er diente als Schauplatz, Arbeitsmaterial, kollektives Atelier, war Rückzugsort oder ganz einfach Ausstellungsraum. Bei ihrer Beschäftigung mit Fluxus stieß Stegmann auf dieses internationale Phänomen. Von abstrakten Interventionen mit Naturmaterial bis hin zu anarchischer Body-Art und künstlerischem Öko-Engagement reicht das Spektrum, das sie jetzt aufzeigt.

Im Osten überwog oft der Impuls, staatlicher Kontrolle zu entweichen, im Westen eher die Lust an antikommerziellen Ausdruckformen. Die japanische Gutai-Gruppe hängte in den 1950er Jahren erstmals Gemälde an Bäume. Die russische Gruppe „Kollektive Aktionen“ schwärmte seit 1976 bei ihren subversiven Performances ins Moskauer Umland aus. Einige der Mitglieder haben jetzt angekündigt, drei riesige „Slogans“ im Düppeler Forst zu postieren. Konzepte, Ideen und Gedankenspiele fluktuieren durch den Wald. „Vorsicht! Baum!“ warnte der Tscheche Jirí Valoch die naturentfremdeten Städter bereits 1971 auf Schildern.

Das Gros der Exponate besteht aus historischen Fotos

Sensible Antennen für die fragile Natur entwickelte angesichts von Umweltzerstörung und Baumsterben, auch Künstler im Westen wie Joseph Beuys mit seiner legendären Pflanzaktion „7000 Eichen“ in Kassel. Mit ihm versuchten Eugen Blume und Erhard Monden vom Dresdner Elbstrand imaginär mit Baumes Hilfe Kontakt aufzunehmen. Sie verkabelten Bäume, legten Schiefertafeln als Empfänger aus und beklagten die „Sendestörung“.

Radikaler nahm Petr Štembera Kontakt mit der Natur auf. Er pfropfte sich 1975 einen jungen Ast in die geöffnete Blutbahn und riskierte prompt eine Blutvergiftung. Weniger gefährlich scheint die Mitmachaktion „Implant“, die der 1967 geborene Duisburger Reiner Maria Matysik jetzt Freiwilligen offeriert. Was können wir dem Baum geben, fragte er sich. Seine Antwort: Nimm einen Buchenschössling samt gesäubertem Wurzelwerk in den Mund und nähre ihn mit deinem körpereigenen Speichel. „Good Luck!“ wünscht Konzeptkünstler Carlos Ginzburg aus Buenos Aires. Er hat überall entlang des Wegs trockenes Astwerk zum glücksbringenden Daraufklopfen arrangiert.

Leider allerdings machen sich solche Kunstwerke und Interventionen in der Ausstellung rar. Das Gros der Exponate besteht aus historischen Fotos, die sich an Drähten zwischen Baumstämmen spannen und, ergänzt durch Texttafeln, von vergangenen Aktionen erzählen. Aber so ist es eben mit der ephemeren Aktions- und Performancekunst. Was davon bleibt, sind oft nur ein paar Fotos. Fluxus-Veteran Milan Knížák aber lässt eine Aktion von 1980 wieder aufleben. Er bat junge Berliner Modedesigner, Outfits für Bäume entwerfen.

Können Pflanzen akustische Reize empfangen?

Der aus Schweden angereiste Altmeister Bengt af Klintberg will den Berlinern auf Forstspaziergängen von seiner Walduniversität berichten. Vergnügt erinnert er sich an seine Eisausstellung 1965, für die er bizarre Eisschollen aus einem See fischte und an die Uferbäume hängte. Die Antikommerz-Ausstellung schmolz binnen Stunden dahin. Humorvoll ließ es auch der britische Kollege Robert Watts angehen. Für seine Aktion „Tree working, Artist resting“ band er Farbstifte an windbewegte Äste und ließ den Baum als natürliche Malmaschine die künstlerische Arbeit erledigen.

Je näher man der letzten Themensektion „Bedrohter Wald“ kommt, wo etwa die junge polnische Umweltaktivistin Cecylia Malik vertreten ist, umso vernehmlicher dringt das Motorengeräusch der nahen Straße herüber. Ob auch die unverrückbar hier wurzelnden Bäume davon Notiz nehmen? Die in Südafrika geborene Künstlerin Cobi van Tonder ist davon überzeugt, dass Pflanzen akustische Reize empfangen können. Sie wird zur Finissage am 28. Oktober ihre „Music for Trees“ interaktiv aufführen. Dann kehrt wieder Stille in den Wald ein.

„Through a Forest Wilderness. Aktionen im Wald“ , bis 28. Oktober. Übersichtsplan sowie Termine für Performances, Führungen, Filmscreenings: https://throughaforestwilderness.org/

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