zum Hauptinhalt
Beton pur: Werner Düttmanns St. Agnes-Kirche gilt als Architekturjuwel der sechziger Jahre.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kunst: Gottes Haus, Königs Turm

Tate Modern für Kreuzberg: Ein junger Berliner Galerist hat die St. Agnes-Kirche erworben – und wird einem ganzen Quartier damit zu neuem Leben verhelfen.

An diesem Februarmorgen ist in Kreuzberg alles grau: der Himmel, die Bäume, die Fassaden der Sechzigerjahre-Siedlung. Immerhin sind da die beiden Landvermesser mit ihren magentafarbenen Anoraks, die immer wieder durch ihre Peilkamera schauen und Daten in einen Laptop übertragen. Farbe und Bewegung kommt ins Spiel, nachdem es lange Zeit so schien, als ob hier in der südlichen Friedrichstadt, einem der großen Wiederaufbaugebiete Berlins, alles so bliebe, wie es vor einem halben Jahrhundert als klassisches Wohnviertel auf dem Reißbrett angelegt worden war: Mietshäuser, Schulen, Kindergärten, eine Kirche. Alles aus Beton, alles im brutalistischen Stil der Nachkriegsmoderne.

An der Erscheinung der Nachbarschaft wird sich nicht viel ändern, die starren Kubaturen bleiben. Doch St. Agnes, jene Kirche in der Alexandrinenstraße, deren Glockenturm als Fanal des damals beliebtesten Baumaterials mit einem Betonklotz obenauf hoch in den Himmel ragt, wird binnen Jahresfrist eine andere sein. Ein Gotteshaus ist sie schon jetzt nicht mehr.

Der Berliner Galerist Johann König hat sie erworben und plant hier ein Kunstquartier, mit dem 800 Quadratmeter großen Kirchenraum als Ausstellungshalle. Das dazugehörige Gemeindehaus sowie die einstigen Wohnungen von Pfarrer, Küster und Kaplan sollen an Nutzer aus dem kreativen Bereich und an die Gastronomie vermietet werden. Ein spektakuläres Projekt. Weniger weil hier ein Gotteshaus profaniert wird; das geschieht seit geraumer Zeit immer wieder, meist im Stillen. Von insgesamt 45 000 Sakralbauten in Deutschland sind mittelfristig 15 000 überflüssig; mehrere Hundert wurden bereits veräußert, jeder zweite in ein Wohnhaus umgewandelt. Allein im Erzbistum Berlin wurden in den vergangenen zehn Jahren gut zwei Dutzend Kirchen und Kapellen umgewidmet, zum Teil sogar abgerissen. Kirchenaustritte und zurückgehende Besucherzahlen führen dazu, dass die Gemeinden fusionieren und sie die verlassenen Räume aufgeben.

St. Agnes wurde vor sieben Jahren den Cross Continental Believers zur Miete überlassen, einer freikirchlichen Gemeinde. Doch dann begannen die Sanierungskosten, die Einnahmen zu überschreiten. Neben Johann König bewarben sich als Käufer eine Supermarktkette und ein Wohnungsbauinvestor um den Komplex mit einer Bruttogeschossfläche von 3562 Quadratmetern. Der 30-jährige Galerist machte das Rennen, denn mit ihm sei „die würdige Nutzung des Kirchenraums und des dazu gehörenden Ensembles nachhaltig sichergestellt“, frohlockte der Sprecher des Erzbistums.

In der Tat ist die Neubestimmung ein Coup. Das zwischen ’64 und ’67 erbaute Ensemble stammt von Werner Düttmann, einem der Protagonisten des modernen Städtebaus in Nachkriegsdeutschland. Mit St. Agnes schuf der damalige Senatsbaudirektor, der Mies van der Rohe für die Neue Nationalgalerie nach Berlin holte, ein architektonisches Juwel, das neben seinen anderen Hauptwerken, der Akademie der Künste und dem Brückemuseum, kaum bekannt ist. Das dürfte sich ändern, wenn die Galerie König im Frühjahr 2013 in der Kirche neu eröffnet.

Schon macht das Wort von der Berliner Turbinenhalle die Runde, in Anlehnung an das gewaltige Entree der Londoner Tate Modern im ehemaligen Kraftwerk. Der ähnlich reduzierte, eindrucksvolle Kirchenraum erhält sein Licht allein über zwei seitliche Fensterschlitze und Lichtbänder im Dach. Die meterhohen, grob verputzten Wände lagern auf Mauersteinen der einst benachbarten Trümmergrundstücke. Ein hoch pathetischer Ort, der die Wucht des Nichts – und ihre spirituelle Aufladung – zelebriert.

Noch steht der schlichte Granitaltar, die Kirchenbänke sind bereits ausgeräumt, die Orgel wartet auf einen Käufer. Aber schon beginnt der Raum sich neu zu definieren, der plötzlich wie gemacht für die Kunst erscheint. Die dramatische Leere erfordert kraftvolle Akzente. Königs Künstler – Michael Sailstorfer, Tatiana Trouvé, Kris Martin, Jeppe Hein, Tue Greenfort, Alicja Kwade – sind ohnehin für ihre starken skulpturalen Arbeiten bekannt, die sich auch in großen Ausstellungen wie der Documenta und wichtigen Sammlungen wie dem MoMA finden.

Auch die Topographie rundum beginnt sich neu zu sortieren. Was vorher als künstlerisches Niemandsland galt, rückt auf die Karte des Ausstellungsbetriebs. Berlinische Galerie und Jüdisches Museum liegen in der Nachbarschaft, das Atelier- und Veranstaltungshaus Aqua Caree, die Prinzessinnengärten am Moritzplatz, das Betahaus, das Galerienhaus Lindenstraße, das Aufbau-Haus sind nur einen Katzensprung entfernt. Zwar gab es Stimmen, die davor warnten, ausgerechnet hier im Sanierungsgebiet eine Galerie zu eröffnen. König gesteht außerdem ein, dass er zurückgeschreckt wäre, wenn er gewusst hätte, welche Kosten auf ihn zukommen. Doch der Sohn des Ausstellungsmachers und langjährigen Direktors des Kölner Ludwig-Museums Kasper König will es angehen wie alle seine bisherigen Projekte – indem er einfach loslegt. So wie damals, vor zehn Jahren, als er mit seiner am Rosa-Luxemburg-Platz gegründeten ersten Galerie am Ende schien. Als letzte Aktion ließ er Jeppe Hein eine Stahlkugel per Fernbedienung gegen die Wände donnern. Der Zerstörungsakt brachte die Wende, es fanden sich Käufer für die destruktive Skulptur.

In St. Agnes soll es umgekehrt funktionieren; der Galerist will für rund 3 Millionen Euro sanieren. Zwar ist der Originalzustand des denkmalgeschützten Ensembles weitgehend erhalten, doch König muss Decken erneuern, Keller trockenlegen und will architektonische Details wieder hervorholen, wie sie auch in der Akademie der Künste am Hanseatenweg geschätzt werden. So möchte er in der Kirche das von späteren Nutzern größtenteils gegen Fliesen ausgetauschte Stirnholzparkett wieder einsetzen.

Mit St. Agnes entwickelt Johann König als einer der aufstrebenden Galeristen Berlins ein neues Geschäftsmodell, bei dem es neben der Kunst auch um die Immobilie geht. Erst jüngst hat Michael Fuchs in der wiedereröffneten Jüdischen Mädchenschule vorgemacht, wie sich Kunsthandel und Gastronomie verbinden lassen. König ist Käufer, nicht Pächter auf zwanzig, dreißig Jahre. Auf diese Weise sichert er sich gegen Mietsteigerungen ab, die er und seine Kollegen mit jedem weiteren Umzug in der Stadt womöglich auslösen. Das Spiel dürfte sich auch jetzt wiederholen, wenn er seine aktuellen Ausstellungsräume in einer ehemaligen Werkhalle unweit des GropiusBaus verlässt. Die Gentrifizierung fordert ihren Tribut.

König folgt dem Trend internationaler Galerien, sich nicht nur großzügige Räumlichkeiten für immer raumgreifendere Werke zu suchen, sondern auch signifikante Adressen. Der vom Kreuz befreite Betonklotz auf dem Glockenturm von St. Agnes kündet künftig von Kunst.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false