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Mütter. Holzschnitt von Constantin von Mitschke-Collande, 1920.

©  A. Diesend, SKD

Kunst der deutschen Revolution: Dresden erinnert an "Gruppe 1919"

Denkmal für eine Künstlervereinigung: Die Städtische Galerie Dresden widmet der „Dresdner Sezession Gruppe 1919“ eine wunderschöne Ausstellung.

1929 feierte die „Dresdner Sezession Gruppe 1919“ ihr 10-jähriges Bestehen. Das war dann auch schon ihre nahezu letzte Aktivität. Jetzt feiert das Dresdner Stadtmuseum den 100. Jahrestag der Gründung dieser Künstlergruppe, eine von vielen, die im Gefolge der deutschen Revolution aus dem Boden schossen. Wohl nie dürfte die Sezession zu Lebzeiten eine so schöne Ausstellung gehabt haben wie diese unter dem Titel „Signal zum Aufbruch!“, vom opulenten Katalog nach heutiger Drucktechnik ganz zu schweigen (Wilsdruffer Straße 2, bis 15. September). Und doch oder gerade darum wirkt die Ausstellung ganz frisch, die Kunst wie aus einem Guss. Alles ist vom Pathos des Aufbruchs beseelt, der Befreiung, nicht politisch, sondern hin zu einem Menschsein, das zuvor verschüttet war. Ohne das Kriegserlebnis ist dieses Pathos nicht zu verstehen, aber noch, so scheint es, war der Zeitpunkt nicht gekommen, auf die gesellschaftlichen Missstände hinzuweisen, wie es alsbald der 1926 zum Akademie- Professor berufene Otto Dix tat.

Man wollte „dem Kommenden den Weg bereiten“, das ist der gängige Topos aller Neuerer. Dix schuf das Plakat für die Ausstellung der „Gruppe 1919“ bei Emil Richter, wo ein Jahrzwölft zuvor die „Brücke“ ihre erste „offizielle“ Ausstellung hatte; und so verschieden ist Dixens Stil nicht. Überhaupt zeigt die Grafik die direkteste Verbindung zur „Brücke“, was naturgemäß auch am Material liegt, am Holzschnitt mit seiner klaren Trennung von farbigen und nichtfarbigen Flächen. Großartige Blätter sind zu sehen, von den heute nur mehr wenig bekannten Peter August Böckstiegel, Eugen Hoffmann oder Constantin von Mitschke-Collande. Conrad Felixmüller, Mitbegründer der „Gruppe 1919“ und nach einem Jahr schon wieder ausgetreten, war in allen künstlerischen Medien stark, und besonders treffend ist sein Gemälde „Otto Dix malt“ von 1920, das die forcierte Gewaltmenschattitüde des herausragenden Dresdner Künstlers der Weimarer Zeit zur Ansicht bringt. Die 1919 entstandenen Gemälde von Dix sind noch dem italienischen Futurismus nahe, ehe er im Folgejahr „seine“ Themen und Figuren findet, die Versehrten, Vergessenen, Randständigen.

Gruppe hinterließ ein deutliches Ausrufezeichen

Eine Sonderposition nimmt Lasar Segall ein, den es bald nach Brasilien zog, wo Geschwister von ihm Fuß gefasst hatten. Hier ist er mit einer bemerkenswerten Leihgabe vertreten, aus dem Segall-Museum im brasilianischen Sao Paulo, wohin der jüdische Künstler 1932 endgültig übersiedelte. Einst war das großformatige Werk „Die ewigen Wanderer“ von 1919 die erste Erwerbung von Paul Ferdinand Schmidt für das Dresdner Stadtmuseum. Als „entartet“ beschlagnahmt, gelangte das rätselvolle Gemälde schließlich nach Sao Paulo, von wo es erstmals an seinen Entstehungsort zurückkehrt.

Es gibt auch einige wenige Skulpturen, so „Nonne mit Kind“ von Christoph Voll, dessen Arbeiten bereits 1933 bei der ersten „Entartete Kunst“-Ausstellung in Dresden dabei waren. Von Gela Försters Arbeiten in Steinguss, die 1919 in Dresden Furore machten und den Kritiker Will Grohmann zu einer hymnischen Besprechung anregten, sind nur Fotografien überliefert. Förster, Autodidaktin, war im Berliner „Sturm“-Kreis erstmals hervorgetreten; sie heiratete 1921 den Bildhauerkollegen und russischen Emigranten Alexander Archipenko, mit dem sie bereits 1923 in die USA ging, so dass sich ihre Dresdner Spur alsbald verlor.

Die Energie der ersten ein, zwei Jahre konnte die „Gruppe 1919“ so wenig aufrechterhalten wie alle die Sezessionen und Künstlergruppen von 1918/19. Aber die Dresdner Gruppe hinterließ ein deutliches Ausrufezeichen, und dass es jetzt in solcher Vollständigkeit erneut sichtbar wird, ist ein vorzüglicher Kontrapunkt zur gegenwärtigen Bauhaus-Begeisterung. Denn es gab 1919 nicht nur eine Richtung des Aufbruchs. Dem der „Gruppe 1919“ ist jetzt in Dresden ein Denkmal gesetzt.

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