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Elastisch: Die Künstlerin Malin Bülow hat Performer in die ehemalige Werkhalle des Fagor-Werks geschickt.

© AFP/Jeff Pachoud

Kunst-Biennale in Lyon: Dystopien in der Waschmaschinenfabrik

„Wo die Wasser sich mischen“: Die 15. Lyon-Biennale findet an einem neuen Ort, mit einem neuen Team statt - und sieht eine düstere Zukunft voraus.

Als Thierry Raspail, Direktor des Musée d’art contemporain, vor 30 Jahren die Lyon-Biennale erfand, war das eine fast neue Idee. Er wollte seine Stadt beim Wettlauf um die Aufmerksamkeit des internationalen Kunstpublikums voranbringen und vor allem einen Vorteil gegenüber Paris gewinnen. Kurz zuvor hatte Istanbul eine Biennale gegründet, bald kam Berlin hinterher, um ebenfalls das Erfolgsrezept aus Venedig zu kopieren, das auch als Mittel des Stadtmarketings dient.

Seitdem hat sich die Welt weitergedreht, Lyon seinen Ruf als Kunstmetropole und Stadt des modern dance – alternierend findet die Tanz-Biennale statt – weiter ausgebaut. Doch das große Event spielt diesmal ohne seinen Erfinder und an einem neuen Ort. Raspail ist seit letztem Jahr pensioniert und La Sucrière, das noch vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammende Zuckerlager am Ufer der Saône, wurde von der Regionalregierung zum ersten Mal nicht mehr an die experimentelle Kunst, sondern eine sichere Nummer vermietet: Picasso als projiziertes Lichtspektakel.

Das industrielle Viertel rund um den historischen Speicher hat sich in den letzten Jahren durch Neubauten für Start-ups, TV-Sender, Restaurants komplett verändert. Art-wash nennt sich dieser Transformationsprozess, den man auch aus Berlin kennt.

Die Lyon-Biennale musste sich eine neue Spielstätte suchen, die sie in einem gewaltigen Fabrikareal in dem noch weiter vom Zentrum entfernten Industriequartier Gerland fand: vier schlichte, schnell hochgezogene Kisten ohne den Charme handwerklicher Vorzeit, 29 000 Quadratmeter groß und erst vor vier Jahren aufgegeben. Hier wurden bis zur Auslagerung der Produktion nach China jahrzehntelang Waschmaschinen hergestellt, worauf auch der Biennale-Titel „Wo die Wasser sich mischen“ anspielt. Damit ist aber vor allem Lyon gemeint, die Stadt, in der Saône und Rhone zusammenfließen.

Neuer Ort, eine jüngere Generation

Die allergrößte Neuerung besteht allerdings darin, dass ein junges Kuratorenteam die Biennale als Kollektiv verantwortet. Entsandt hat es Jean de Loity, der Direktor des Palais de Tokyo in Paris, der zum neuen Chef der École Nationale Supérieure des Beaux Arts berufen wurde und deshalb als Kurator nicht mehr zur Verfügung stand. Neuer Ort, eine jüngere Generation, gleicher Künstlerinnenanteil, eine stärkere Vernetzung mit der Stadt – der Lyon-Biennale haben diese Veränderungen gutgetan.

Mit der betonten Zusammenarbeit mit Betrieben vor Ort zur Erstellung der Kunst folgt die 15. Ausgabe einem Trend, der vielerorts in der Kunst zu beobachten ist – erst jüngst, wenn auch nicht unbedingt beabsichtigt, bei der Berliner Kunstmesse und deren immer weniger internationaler Teilnehmerliste. Wobei die in Lyon ausgestellten Werke der insgesamt 50 Künstler hypermodern sind, in andere Welten driften, eine oft genug beängstigende Zukunft heraufbeschwören.

Der "Knotenwurm" von Sam Keogh bei der Biennale von Lyon in den Fabrikhallen Fagor-Brandt.
Der "Knotenwurm" von Sam Keogh bei der Biennale von Lyon in den Fabrikhallen Fagor-Brandt.

© Sabine Glaubitz/dpa

Diese Zukunft ist längst nicht mehr vom Menschen bestimmt, das machen die ersten Werke klar, wenn man die große Halle betritt. Dort hängen Performer mit ihren Köpfen in meterlangen, von der Decke herabgelassenen textilen Schläuchen und winden sich wie Larven am Boden. Das unheimliche Schauspiel „Elastic Bonding“ der Norwegerin Malin Bülow wird noch durch die benachbarte Installation von Fernando Palma Rodríguez übertroffen. Der Mexikaner lässt 43 Kinderkleider elektronisch in die Höhe herauf- und wieder herunterfahren, sich tänzerisch schütteln, als wäre es ein Ritual seiner Heimat. Tatsächlich beschwört Rodríguez die Geister von Menschen, die auf der Suche nach Arbeit und Sicherheit ihr Land verlassen mussten.

Der Ort hat seine eigene Arbeiterhistorie

Auch die Britin Rebecca Ackroyd ruft mit ihren aus rot-gelbem Kunststoff abgegossenen Bruchstücken eines Flugzeugs, von dem nur Wandelemente, einzelne Sitze und menschliche Körperteile übrig geblieben sind, das Bild eines devastierten Settings auf. Es ist der Moment nach der Katastrophe. Wer von hier aus den Blick durch die Halle schweifen lässt, sieht einen Pulk irrer Puppen aus der Ferne scheinbar auf sich zumarschieren, es könnten Wiedergänger der Verunglückten aus Ackroyds Flugzeug sein. Doch die südafrikanische Bildhauerin Simphiwe Ndzube, deren hybride Skulpturen ansonsten von postkolonialen Geschichten erzählen, spielt auf den Aufstand der Lyoner Seidenweber von 1831 an, die erste soziale Erhebung zu Beginn des Industriezeitalters in Frankreich.

Zuschauerinnen und Zuschauer betrachten die Wandmalereien von Renée Levi im Museum für moderne Kunst in Lyon.
Zuschauerinnen und Zuschauer betrachten die Wandmalereien von Renée Levi im Museum für moderne Kunst in Lyon.

© Sabine Glaubitz/dpa

Dieser Verweis kommt eigentümlich unvermutet, ja aus der Zeit gefallen an einem Ort, der seine ganz eigene Arbeiterhistorie hat. In den frühen 1980er Jahren arbeiteten bei Fagor noch 1000 Menschen, in den 2000ern waren es 400. Was ist aus ihnen geworden? Wer setzt ihnen ein Denkmal? Die Biennale macht einen Bogen um diese Problematik, obwohl sich durch Markierungen am Boden, Reste einer Produktionsstraße, noch überall Spuren finden lassen.

Eigentlich müsste sie ihr eigenes Gastspiel kritisch hinterfragen, auch nach der Erfahrungen in La Sucrière. Die mit rosa Seide bespannte Waschmaschine, verziert mit Swarovski-Glitzersteinen – ein limitiertes Modell der Dessous-Designerin Chantal Thomass für den damaligen Hersteller –, wirkt da obszön. Zu billig für eine Biennale, die sich Gedanken über das große Ganze machen will.

[biennaledelyon.com. Bis 5. 1. Die Recherche wurde unterstützt von der Biennale.]

Erneuerung über Zerstörung?

So konkret die ersten Eindrücke sind, die man von dieser Mammutausstellung gewinnt, so realistisch die einzelnen Szenarien wirken, die Aussagen wandern ab ins Ungefähre. Mensch, Tier, Umwelt, Bakterien – das alles wird sich nivellieren, am Ende nur eine dystopische Landschaft bleiben, so das Resümee. Das auch seine komischen Seiten hat. So gewährt der Österreicher Thomas Feuerstein Einblick in ein gewaltiges Laboratorium, das er zur Probe auch schon im Berliner Haus am Lützowplatz aufgebaut hatte. In gewaltigen Kolben sprudeln Flüssigkeiten, einen Marmor-Prometheus zersetzen Bakterien, die destilliert wiederum zur Grundlage ein alkoholischen Getränks werden.

Sein Sci-Fi-Szenario trifft sich überraschend mit dem Werk Gustav Metzgers, dem Erfinder der auto-destruktiven Kunst. Der vor zwei Jahren in London verstorbene Künstler, der 1939 als Kind vor den Nazis nach London entkam, glaubte an die kreativen Erneuerungskräfte über den Umweg der Zerstörung. Die Farben seiner flüssigen Kristalle, die immer wieder anders per Diaprojektor an die Wand geworfen werden, haben sich inzwischen fast verflüchtigt, wie ein verklingender Gesang an die Schönheit und ihre fatale Nähe zum Grauen.

Auf die Beklommenheit antwortet auf der anderen Seite der Halle der Performer Abraham Poincheval, der als Wanderer den Wolkenhimmel erkundet – mit Bergstiefeln, Feldstecher und Mundharmonika. Auch hier gibt es das sich verflüchtigende Nichts. Nur besteht es aus Wasser.

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