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Kriegstrophäen. Benin-Bronzen im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

© Michaela Hille

Kunst aus kolonialem Kontext: Afrika, Europa und die Kunst

Wie umgehen mit Kunst aus kolonialem Kontext? Es geht nicht nur um Rückgaben, sondern vor allem um das Verhältnis Europas zu Afrika.

Wer das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe besucht, stößt gleich im Foyer auf eine riesige Ausstellungsvitrine. Darin präsentiert das Museum die neuesten Ergebnisse seiner Provenienzforschung. Seit einiger Zeit stehen gleich vorne die Benin-Bronzen der Sammlung: zwei Reliefplatten mit der Darstellung von Kriegern und Würdenträgern sowie der Gedenkkopf eines Königs aus dem 16./17. Jahrhundert. Die Figuren sind feinst ziseliert, die Gesichter von enormer Lebendigkeit. Für die Prachtexemplare vollendeter Guss- und Schmiedekunst, die heute auf dem Markt Millionen bringen würden, ist es im Ausstellungshaus neben dem Hamburger Hauptbahnhof zugleich die Abschiedsvorstellung.

Sie wechseln ans Völkerkundemuseum der Hansestadt, wo sie besser gewürdigt werden können, wie es heißt. Denn hier finden sie sich im Kontext zahlreicher weiterer Stücke. Justus von Brinkmann, der Gründungsdirektor des Kunstgewerbemuseums, hatte die drei Bronzen vor über 100 Jahren erworben. Sie stammen aus der Plünderung des Königspalastes von Benin 1897 durch britische Truppen, bei der Hunderte anderer Objekte geraubt wurden. Der Hamburger Hafen war eine erste Anlaufstelle für die Trophäen aus den Kolonien, mit deren Verkauf die Briten die Kosten ihres brutalen Eroberungsfeldzugs wieder einzuspielen hofften. Brinkmann erkannte ihre Bedeutung, erwarb über 50 Stück und verkaufte die Mehrzahl von ihnen an andere Sammlungen weiter, um wiederum die eigene Museumskasse aufzubessern.

Die Benin-Bronzen bleiben also zunächst in Hamburg, obwohl sie auf dem Sprung sind und eigentlich noch viel weiterziehen müssten – zurück an ihren Ursprungsort, wo der Ruf nach Rückgabe schon länger ertönt. Über den unrechtmäßigen Besitz des deutschen Museums bestehen keine Zweifel, es handelt sich klar um Raubkunst. Die Bedeutung der Bronzen ist auch in dieser Hinsicht nicht hoch genug einzuschätzen. Sie sind nicht nur künstlerische Kostbarkeiten, sondern Identität stiftende Artefakte und für Nigeria, auf dessen Gebiet sich das einstige Königreich befand, ein Symbol kolonialer Erniedrigung.

Die Diskussion um NS-Raubkunst hat sich ausgeweitet

Auch das Berliner Ethnologische Museum besitzt zahlreiche Benin-Objekte, mit 550 Stück hat es eine der größten Sammlungen. Trotzdem gibt es bislang keine offiziellen Restitutionsanfragen. Das mag an der komplizierten Gemengelage vor Ort liegen, denn wem wären sie zurückzugeben? Nigerias Regierung, dem Bundesstaat Edo, wo sich das Königtum befindet, der Republik Benin, die nur den Namen des Königreichs trägt, oder den Nachfahren des damals beraubten Königs? Die in einer Dialoggruppe vereinigten Sammlungen mit Benin-Stücken denken über die Idee einer permanenten Ausstellung nach, aus der sich Rückgaben ergeben könnten, so auch Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Doch das schöne Haupt der Königinmutter aus dem 16. Jahrhundert, das gerade im Bode-Museum zu sehen ist, wird gewiss ab Herbst 2019 im Humboldt-Forum ausgestellt.

Die Frage, wie und was im größten Kulturprojekt der Bundesregierung ausgestellt wird, hat ein Beben nicht nur in der Museumswelt ausgelöst. Seit die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy letztes Jahr aus dem internationalen Beratergremium ausgetreten ist, weil ihr die Provenienzforschung zu schleppend verlief, hat sich das Thema als öffentlicher Aufreger vom bisherigen Terrain der NS-Raubkunst zur Diskussion über Kunst aus kolonialem Kontext ausgeweitet. Höchste Zeit. Die Proteste der Initiativgruppe „No Humboldt 21“ wurden zuvor nicht ernst genommen, zumal ihre Maximalforderung lautete, das Museum gar nicht erst zu eröffnen.

Die überraschende Ankündigung von Emmanuel Macron Ende 2017 in Ouagadougou, die Kunst Afrikas aus den französischen Museen zurückgeben zu wollen, brachte nochmals eine Wende. Der französische Präsident zeigte den Deutschen, wie es auch noch gehen könnte, allerdings unter den völlig anderen rechtlichen Voraussetzungen der Grand Nation. Für ihn reiste Bénédicte Savoy zusammen mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr in den letzten Monaten durch Benin und Dakar, um die Möglichkeiten einer Rückgabe zu sondieren. Im November wird sie ihren Bericht vorlegen. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass es weniger ein fundamentales Räumen der Sammlungen geben wird, sondern vielmehr eine verstärkte Zusammenarbeit, gemeinsame Ausstellungen, Tourneen, Forschungsaustausch.

In den Museen gibt es eine große Unsicherheit

Das zeichnet sich parallel auch in der Bundesrepublik ab. Anders als bei der NS-Raubkunst, wo es immer wieder zu Restitutionen kommt oder Werke gegen Zahlung eines Ausgleichs in der Sammlung bleiben dürfen (wie gerade erst im Bode-Museum geschehen, mit den drei Lindenholz-Engeln aus dem 15. Jahrhundert der Sammlung Saulmann), sind Rückgaben von Raubkunst aus kolonialem Kontext noch eine Seltenheit. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergab Ende letzten Jahres Vertretern der Chugach Alaska Corporation neun Objekte aus einer Grabplünderung, eine Premiere. Das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum restituierte im Frühjahr einen tätowierten Maori-Schädel. Anfang Mai fand im Bremer Übersee-Museum bei einem offiziellen Akt die Übergabe der sterblichen Überreste von 44 Maori an eine Delegation aus Neuseeland statt.

Tatsächlich gibt es in den Museen eine große Unsicherheit: Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe? Wobei das Wort schon wieder einen falschen Zungenschlag hat, legt es doch Besitzansprüche nahe, die gerade infrage stehen. Wie also herausfinden, woher die Objekte stammen? Wie restituieren? Welche Rechtslage gilt, wer sind die Ansprechpartner? Nach der NS-Raubkunst hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters auch dieses Thema zur Chefsache erklärt, könnte es doch wie im Fall Gurlitt, der das Thema verschleppte Provenienzforschung in deutschen Museen vor bald fünf Jahren auf die Agenda brachte, wieder schlechte Publicity geben. So gelangte das Bekenntnis zur Aufarbeitung der Museumsbestände sogar in die Koalitionsvereinbarung. Mitte Mai stellte Grütters zusammen mit dem Deutschen Museumsbund einen Leitfaden vor, der den Ausstellungshäusern praktische Hilfe an die Hand geben soll. Und sie versprach mehr Gelder für Forschungsvorhaben. Neben der NS-Raubkunst sowie Kulturgutentziehungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR wird das von Grütters initiierte Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg hier fortan einen dritten Schwerpunkt bei der Vergabe von Fördermitteln haben.

Gegenschlaf aus konservativer Ecke

Anders als bei der NS-Kunst, bei der die Museen autonom agieren können, verläuft die Rückgabe in kolonialem Kontext über staatliche Kanäle. Bei einer Tagung im Deutschen Historischen Museum zur Wappensäule von Cape Cross saß Ruprecht Polenz mit auf dem Podium, der Sondergesandte der Bundesregierung für deutsch-namibische Beziehungen, der über den Umgang mit dem Völkermord an den Herero und Nama verhandelt. Es geht also um mehr als die Rückgabe eines Artefakts und die symbolische Geste einer Entschuldigung für das an einem ganzen Volk begangene Unrecht. Die Beziehungen zum Kontinent insgesamt, die bis heute durch die kolonialistische Vergangenheit geprägt sind, stehen vor einer Neuausrichtung. Bei einem Kolloquium des Auswärtigen Amtes im Hamburger Völkerkundemuseum ebenfalls im Mai stellte der kamerunische Politikwissenschaftler Achille Mbembe einen Zusammenhang zwischen der Restitution von Kunstobjekten und Rückschickung von Geflüchteten her. „Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der jeder und alles wieder nach Hause zurückmuss?“, fragte er provokativ als Eröffnungsredner. Er warb für eine Kultur des Teilens und forderte das Ende des Eigentumsdenkens.

Doch es ist nicht nur die Stunde neuer Konzepte, einer stärkeren Vernetzung mit den Herkunftsländern, von mehr Forschung vor Ort, Ausstellungskooperationen und einem verstärkten Nachdenken über das Verhältnis zu den Nachfolgestaaten der einst unterdrückten Länder. Es ist auch die Stunde für einen Gegenschlag aus konservativer Ecke. Die AfD hat in diesem Monat eine Große Anfrage zu Restitution und Provenienzforschung an die Bundesregierung gerichtet. Im Vorwort fordert die rechtspopulistische Partei von den Museen ideologische Neutralität.

Natürlich will die AfD die Diskussion über deutsche Kolonialverbrechen damit unterbinden und den Versuch einer Wiedergutmachung diskreditieren, sie spricht von einem marxistischen Diskurs. Zugleich legt sie den Finger in eine Wunde. Bis heute sind Rückgaben gesetzlich nicht geregelt. Höchste Zeit, auch das zu ändern.

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