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Kunst am Bau: Mehr als nur Dekor für Gebäude

Imagefaktor, Denkanstoß, Ärgernis: Kunst am Bau ist keine bloße Dekoration für die Architektur. Es ist mehr Reflexion eines Gebäudes und seiner Funktion. Der Bund versucht, Vorbild für private Bauherrn zu sein.

Am meisten hat es den Berliner Künstler Pfelder selber verblüfft, dass sein Vorschlag für den neuen Amtssitz der Bundespolizei in Aachen angenommen wurde. Zusammen mit einem professionellen Sprayer hatte er Graffitis rechts und links für die Empfangshalle des historischen Gebäudes entworfen, auf denen das Wort „Deutschland“ in den Sprachen der Anrainerländer der Bundesrepublik zu lesen ist. Darüber befinden sich in großen Lettern die Begriffe „Recht“ und „Ort“. Auf zwei davor platzierten Sitzbänken ist der Schriftzug „Aufenthaltsgenehmigung“ zu lesen. Die Jury votierte einstimmig mit Ja. Auch die künftigen Nutzer des am Aachener Bahnhof gelegenen einstigen Hauptzollamts, das für die Bundespolizei umgebaut wurde, zeigten sich angetan von dieser Kunst am Bau, die ihre künftige Adresse zieren sollte.

Die kleine Provokation, dass gesprayte „Tags“, deren Verursacher ansonsten vielfach von der Polizei verfolgt werden, gerade an diesem Ort als offizieller Wandschmuck dienen sollten, fand bei den Preisrichtern Gefallen. Ebenso die Volte, dass ausgerechnet hier, wo von Abschiebung bedrohte Kandidaten einer offiziellen Stelle zugeführt werden, zwei Bänke zum Bleiben einladen.

Seit dem Anruf Anfang des Jahres, dass sein Projekt „Recht & Ordnung“ von der Jury ausgewählt worden sei, hat Pfelder allerdings nicht mehr viel aus dem Rheinland gehört. Im Innenministerium sei der Entwurf auf wenig Gegenliebe gestoßen, erfuhr er auf Nachfrage. Auch der Vorschlag des Juryvorsitzenden Stephan Berg, Direktor des Bonner Kunstmuseums, Pfelders Arbeit dem Behördenchef persönlich zu erklären, brachte keine Bewegung in die Angelegenheit.

Eine verfeinerte Form der Selbstdarstellung für den Bauherrn

Im schlimmsten Fall kommt eine ausgewählte Arbeit nicht zur Ausführung. Kunst am Bau kann also ihre Tücken haben. Ansonsten aber stellt sie oft das Edelste dar, was ein Gebäude zu bieten hat. Einen Nutzwert besitzt sie erst auf den zweiten Blick: weniger als Dekor denn als Reflexion eines Gebäudes und seiner Funktion, als ästhetische Kontrastierung und intellektuelle Animierung. Auf diese Weise praktiziert der Bauherr eine verfeinerte Form der Selbstdarstellung, stellt seine Kultiviertheit aus. Nach außen trägt er zum Erscheinungsbild der Stadt bei, nach innen sorgt er für eine ansprechendere Gestaltung des Arbeitsplatzes.

So ist es seit Jahrhunderten: kein Palast, kein Kirchenbau, dessen architektonische Botschaft und dessen Besitzerstolz nicht mittels Kunst verstärkt worden wären. Auch die junge Bundesrepublik wusste darum und hat sich 1950 bei eigenen Bauten einen festen Prozentsatz der Kosten für Kunst verordnet. Wohl wissend, dass das zarte Pflänzlein Baukultur besonderer Pflege bedarf. Zwischen 0,5 und 1,5 Prozent der Baukosten beträgt der für Kunst bereitgestellte Anteil; 2012 gab der Bund insgesamt 2,1 Millionen Euro für Kunst am Bau aus.

Auf diese Weise ist eine spektakuläre Kollektion zusammengekommen – schon allein was ihren Umfang betrifft. Bis zu 10 000 Objekte dürften dies seit den fünfziger Jahren sein. Kasernen, Bundeseinrichtungen, Forschungsinstitute, sie alle erhielten Wandbilder, Skulpturen, Reliefs; die Qualität ist allerdings schwankend: darunter beliebige Farbfeldmalerei, Symbolhuberei und Ankäufe als verkappte Sozialmaßnahme für Künstler. Der zunehmende Verkauf von Bundesimmobilien, etwa Kasernen, hat aber auch vor Augen geführt, dass hier manch verborgener Schatz schlummert, mit dem die Neubesitzer oft wenig anzufangen wissen. Schon die früheren Nutzer fühlten sich vielfach überfordert: Überwucherte Wandgestaltungen, von Informationstafeln verstellte Bilder und korrodierende Außenskulpturen sind in Dienstgebäuden keine Seltenheit. Nach dem Verkauf verschärft sich das Problem: Was geschieht mit der implementierten Kunst? Welche Rechte hat der Künstler noch?

Kunst als Signatur für ein Gebäude

Kunst am Bau stellt hohe Ansprüche, was Pflege, Verständnis und Vermittlung betrifft. Der Bund versucht dabei, Vorbild für den privaten Bauherrn zu sein. In einer Großaktion werden gerade die aberhunderte Werke inventarisiert, ein Anfang nur, um über dieses Surplus überhaupt zu informieren. Banken und Versicherungen haben die Bedeutung solcher Kunst längst erkannt. Repräsentative Skulpturen vor dem Entree, Großgemälde im Foyer gehören zum Standard jeder größeren Firmenzentrale, ja prägen die Corporate Identity.

Man denke nur an Jonathan Borofskys in der Spree stehenden, 30 Meter hohen „Molecule Man“ vor den Treptowers. Die Kunst wird zur Signatur für ein Gebäude, das sich so aus dem urbanen Umfeld heraushebt. Auch die Immobilienwirtschaft hat dies verstanden: In einem Bewertungssystem zur Vermarktung bringt die Kunst Punkte ein, denn sie steigert die Distinktion. Nirgendwo wird dies klarer als bei den Botschaften der Bundesrepublik. Man gibt im Ausland seine Visitenkarte ab, die Kunst am Bau rundet das Bild ab.

Boomzeit im Berlin der Neunziger

Die Boomzeit der Kunst am Bau war das Berlin der Neunziger, als in der ganzen Stadt Bundesbauten eingerichtet werden mussten und Ministerien aus Bonn in die neue Kapitale zogen. Selten ist so viel in so kurzer Zeit auf so engem Raum und vor allem für so viel Geld realisiert worden. Seitdem gilt Berlin als Mekka dieses Genres. Hier lässt sich der Wandel von Ästhetik und Funktion der Kunst am Bau ablesen. Früher kamen die Werke häufig erst nach der Fertigstellung der Architektur hinzu und wurden nur noch appliziert: „drop sculpture“ hieß das dann, als wären die Werke vom Himmel gefallen. Schönstes Beispiel ist die Moore-Skulptur vor dem Bundeskanzleramt in Bonn, die als „Eyecatcher“ für die Kameras diente. Der von Gerhard Schröder vor Axel Schultes’ Berliner Kanzleramt geholte „Windkamm“ von Eduardo Chillida steht noch ganz in dieser Tradition.

Neuerdings zeichnet sich dagegen eine Tendenz zur stärkeren räumlichen und inhaltlichen Nähe ab. Ortsspezifizität ist erwünscht, repräsentativ darf es trotzdem gerne sein, wie Gerhard Richters schwarz-rot-goldene Malerei in der Westeingangshalle des Reichstagsgebäudes zeigt. Noch weiter geht die interaktive Kunst, wie sie Hans Haacke mit seiner Beetskulptur „Der Bevölkerung“ in einem der Lichthöfe des Reichstagsgebäudes anlegte, in dem jeder Bundestagsabgeordnete einen Sack Erde seines Wahlkreises abladen darf, auf dass die diversen regionalen Samen sprießen. Die nächste Entwicklungsstufe wäre eigentlich im Flughafen Berlin-Brandenburg zu bewundern, wo die Kunst als Einzige im Zeitplan blieb. Björn Melhus hatte für die Gates eine App entwickelt, auf der die Figuren aus den Sicherheitsfilmen ein Eigenleben führen.

Kunst am Bau als wichtige Einnahmequelle für Künstler

In der Zeit intensivster Akquise von Kunst für seine frisch zu beziehenden Gebäude holte sich der Bund gerne große Namen – Richter, Polke, Heisig, Lüpertz, Neo Rauch, internationale Prominenz wie Jenny Holzer, Christian Boltanski, Matt Mullican. Auch die Maler und Bildhauer profitieren von solchen Aufträgen. Kunst am Bau stellt eine wichtige Einkommensquelle dar, mancher Künstler hat sich darauf spezialisiert. Die dauerhafte Präsentation an einem zumindest halb öffentlichen Ort, einer Schule, einem Krankenhaus, bedeutet nicht nur Anerkennung, sondern auch die permanente Ausstellung des eigenen Werks. Eine Finissage gibt es nicht.

Allerdings gibt es eine scharf abfallende Kurve der Aufmerksamkeit. Dies gesteht selbst Andreas Kaernbach ein, der die Kunst am Bau in den Parlamentsgebäuden betreut. Die größte Zuwendung erfahren die Werke im Moment ihrer Übergabe, wenn die Jury ihre Entscheidung getroffen hat und das Objekt an seinem künftigen Ausstellungsort realisiert ist. Umso mehr braucht es immer wieder neue Aufmerksamkeit durch Tage der offenen Tür, Führungen, Publikationen. Zum dritten Mal gibt das Bundesbauministerium nun ein Buch heraus, es versammelt 45 Beispiele aus den letzten sieben Jahren. Ein Prachtband, der allerdings mehr der Selbstbestätigung dient als der breiten Vermittlung. Ministerin Barbara Hendricks präsentiert ihn am Montag in ihrem Haus in der Stresemannstraße. Bei der Gelegenheit dürfte Katharina Grosses Farbwirbel, der die Wand des großen Saals von außen umfängt, noch einmal größere Aufmerksamkeit gewinnen. Die Künstlerin sprayt übrigens.

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hg.): Kunst am Bau, Projekte des Bundes 2006–2013, Jovis Verlag, Berlin 2014. 272 S., 36 €.

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