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Klaus Theweleit in seinem Arbeitszimmer.

© Patrick Junker/laif

Kulturtheoretiker Klaus Theweleit wird 80: Raus aus dem Körperpanzer

Ein Denker mit „ungezügelter Intelligenz“: Klaus Theweleit sieht in jedem Mann einen potenziellen Massenmörder. Dem großen Denker zum 80. Geburtstag.

Immer dieselben Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Klaus Theweleit hat sich ihnen ebenfalls mit großer Ausdauer gewidmet, wobei für ihn, den Autor der „Männerphantasien“, nicht ganz unwichtig ist, wie wir gehen. Ob in Marschformation oder im Laufschritt. Er selbst mag beides nicht, sondern bevorzugt den lässigen Gang, der zu Jazz und Rockmusik passt. Schlendernd irgendwie. Oder auch tänzelnd, wenn der Soundtrack stimmt.

Jedenfalls ist ihm nie nach Geradeaus. Wer ihn einmal einen Vortrag hat halten sehen, weiß das. Karteikarten legt er statt eines Manuskripts vor sich aufs Pult, verteilt wie Puzzlestücke, die sich in Gedankenschleifen erst allmählich zu einem Gesamtbild fügen. Antiautoritär ist das und konsequent für einen, dessen Lebensaufgabe darin besteht, das Woher und Wohin aus den Gewaltverhältnissen zusammenzusetzen, denen Menschen selbst da noch ausgesetzt sind, wo sie sich von ihnen befreit glauben – in Kunst, Comic, Literatur, Film.

Zuletzt hat er diese „Diskursmischung“ im dritten Band des „Pocahontas-Komplexes“ praktiziert, jener um das Rätsel kreisenden Zivilisationsstudie, dass sich ausgerechnet die Europäer zu Herren der Erde aufschwingen und über Jahrhunderte Kolonialgebiete beanspruchen konnten. Theweleits nicht unumstrittene These: Der technologische Vorsprung des Abendlandes leitete sich aus der Fähigkeit ab, Stoffe zu trennen, Metalle von Gestein, Samen von Pflanzen, und Nutztiere zu züchten. Selektion und Sequenzierung wurden zum Prinzip der Ertragssteigerung, dann von Wahrnehmungsmustern. Die Collage ist seine Methode, das Getrennte wieder zusammenzuführen.

Der Typus Soldatischer Mann

Das hatte immer schon sehr viel mit ihm selbst zu tun. Geboren 1942 in Ostpreußen, kam Theweleit als Flüchtlingskind nach Flensburg. Mit den Gräuel des „Dritten Reichs“ konfrontiert und der mitleidlosen Art der Eltern, wie sie daheim darüber redeten und befanden, dass wohl doch „ein bisschen zu viele Juden“ umgebracht worden seien, begann für Theweleit der - nie endende - Prozess nach den Quellen dieses Ordnungsprinzips zu suchen. Er fand es in Gedichten seines Idols Gottfried Benn ebenso vor wie in den Briefen von Freikorpssoldaten, über die er seine Dissertation schrieb und später den Klassiker „Männerphantasien“.

Darin arbeitet er die Begriffsbilder des Typus Soldatischer Mann heraus, der sich von Schleim und Dreck, Blut und Innereien bedroht sieht und dagegen zu panzern versucht mit Fantasien der Ausmerzung, der totalen Kontrolle über Leben und Tod. Später sollte er diese Spur mit „Das Lachen der Täter“ bis zu den Attentätern weiterverfolgen, Breivik & Co, die den „Lustmord“ in die Gegenwart tragen. Gefragt, ob Männer schuld am Bösen in der Welt seien, lautet seine Antwort: „Ja.“ In jedem normalen Mann stecke der Massenmörder, „wenn die Schleusen geöffnet sind“. Das heißt: Wenn die moralische Legitimation da ist.

Den Generalschlüssel für diese Deutung fand er in Margaret Mahlers psychoanalytischer Studio „Symbiose und Individuation“. Während der glückliche Körper seine Außenhaut zur Entwicklung von Beziehungen nutzen kann, Liebesbeziehungen, mangelt es dem autoritären Charakter an der libidinösen Besetzung seiner Außengrenzen. Er will zerstören, was ihn in seiner eingebildeten Einheit bedroht. Indem er Menschen in blutige Masse, zerstörte Leiber verwandelt - oder darüber nachdenkt, es zu tun -, richtet er mit ihnen an, was er in sich selber trägt: „Blut und Scheiße“, wie Theweleit sagt.

Man fürchtete den SDS-Aktivisten in ihm

Sein zweibändiger Bestseller hätte ihm eigentlich die Tore zu einer Germanistik-Professur in Freiburg öffnen müssen. Doch wie schon der Wunsch, Lehrer zu werden, scheiterte auch diese Ambition daran, dass er die formellen Ansprüche nicht erfüllte. Man attestierte ihm eine „ungezügelte Intelligenz“. Das bedeutete: Man fürchtete den SDS-Aktivisten in ihm, den radikalen Umstürzler.

Er wurde dann Hausmann, zog zwei Kinder groß, und schrieb vormittags am ausufernden „Buch der Könige“, dessen erster Band 1989 erschien. Es ging darin um das problematische Verhältnis von Künstlern zur Macht, um ästhetische Grenzüberschreitungen wie sie im Orpheus-Mythos geschildert werden. Warum, so Theweleits Frage, haben es Genies bloß nötig, jemanden zu opfern, den sie lieben? Und warum werden sie Genies genannt?

Das Buch war auf mehrere Bände angelegt, fertig wurde es nie. Einerseits, weil es immer auch Anderes gab, das sich aufdrängte. Andererseits, weil fertig zu werden gar kein lohnender Antrieb ist. Und doch rundet sich alles. Vom 11. September und seinen Realitätsfiktionen („Der Knall“) über den hiesigen Nationalismus („Deutschlandfilme“) bis zu einer Medien- und Technologie-Geschichte des Homo Rex kann man Theweleits ausfransendes Werk nicht nur als fortgesetzte Kulturstudie betrachten, sondern als praktische Lebenshilfe. Bonmots von ihm wie „Wer in den Krieg ziehen will, hat sein Leben nicht im Griff“, sind geeignet, es besser machen zu wollen. An diesem Montag wird Klaus Theweleit 80 Jahre alt.

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