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Das Martin-Luther-Standbild auf dem Neumarkt in Dresden (Sachsen) neben der Frauenkirche

© dpa/Arno Burgi

Kulturmetropole Dresden: Das Image als Pegida-Metropole ist langsam vergessen

Die Kulturtouristen strömen wieder nach Dresden. Trotzdem steht nicht alles zum Besten in Sachsens Landeshauptstadt. Über Traditionsliebe, Aleppo-Busse und fehlenden Mut in Elbflorenz.

Was für ein Anblick: Dresden floriert! Die Besucherzahlen sind nach der Pegida-bedingten Flaute vor anderthalb Jahren wieder höher geworden, die Touristen strömen wie lange nicht mehr, die gut sortierten Kultureinrichtungen sind halbwegs voll, die Ausstrahlung des Kulturhauptstadtbewerbers für 2025 könnte kaum heller sein. Oder doch?

In Wahrheit hat sich die hohe Anziehungskraft der sächsischen Landeshauptstadt zwar vom Image der Pöbler- und Pegida-Metropole emanzipiert – oder vielleicht besser: es wurde langsam vergessen. Aber sie speist sich im Kern wohl eher aus der von unbestritten schöner Natur umgebenen Puppenstubengemütlichkeit der Legobarockidylle rund um die Frauenkirche. Ein Konzept von dem , was Dresden mit seinem schlaraffenländlichen Kulturreichtum eigentlich will, ist nicht erkennbar. Das liegt vor allem daran, dass die imposanten Großtanker wie Semperoper und die Staatlichen Kunstsammlungen vom Freistaat Sachsen getragen werden, andere Einrichtungen wie die Musikfestspiele oder die Staatsoperette hingegen von der Kommune.

Während die ländereigenen Institutionen in einem Kokon unangefochtener Wertschätzung in größtmöglicher Autarkie vor sich hin reüssieren – wobei das nicht für alle Vorstellungen der Semperoper und schon gar nicht für die Kunstsammlungen mit ihren sinkenden Besucherzahlen gilt –, kämpfen die städtischen Kulturprojekte mit freundlichen Worten und güldenem Degen unter der Decke um Anerkennung und Pfründe.

Die Kulturstadt Dresden hat keine Idee, was genau sie sein will

Die Entwicklung einer gemeinsamen Idee von der Kulturstadt Dresden liegt so fern wie eh und je, bei den einen aus mangelndem Interesse, bei den anderen wegen des permanenten Profilierungsdrucks. „Hier kocht jeder sein eigenes Süppchen“, sagt ein namhafter Kulturmacher, der wie einige andere nicht öffentlich mit seiner Generalkritik zitiert werden will. Sei es die zweifelhafte Besetzung neuer wichtiger Intendantenposten, die umstrittene Neuprofilierung des Europäischen Zentrums der Künste in Hellerau oder das allmähliche Vergraulen der Kunstbiennale „Ostrale“: die Liste der kulturpolitischen Merkwürdigkeiten werde länger, heißt es seitens dieser Kritiker. Und zwar ohne dass eine ernsthafte Diskussion möglich sei, weil aus dem Chor der Meinungsvielfalt eben auch Partikularinteressen hervortreten.

Das Kraftwerk Mitte ist seit gut einem Jahr u.a. Spielstätte der Staatsoperette. Der Umbau kostete rund 100 Millionen Euro. Wegen einer falsch gehandhabten Sprinkleranlage konnte das Haus über Wochen nicht genutzt werden.
Das Kraftwerk Mitte ist seit gut einem Jahr u.a. Spielstätte der Staatsoperette. Der Umbau kostete rund 100 Millionen Euro. Wegen einer falsch gehandhabten Sprinkleranlage konnte das Haus über Wochen nicht genutzt werden.

© picture alliance / Sebastian Kahnert/dpa

Immerhin wurde das bisher als Verein geführte Heinrich-Schütz-Konservatorium als städtische Musikschule nun in kommunale Trägerschaft überführt, allerdings nicht ohne dass dies Streit um die Honorare für freischaffende Musiklehrer nach sich gezogen hätte. Und sonst? Die Wiedereröffnung des Kulturpalasts am Altmarkt Ende April als Veranstaltungsort wie als Heimstatt der Dresdner Philharmonie wurde als kulturpolitische Großtat gefeiert. Aber der Umbau für zuletzt 100 Millionen Euro erscheint vor dem Hintergrund, dass eine Asbestsanierung ohnehin notwendig gewesen wäre, in einem eher fahlen Licht.

Ebenso gefeiert wurde es, dass die Staatsoperette – neben der Leipziger Musikalischen Komödie immerhin das einzige solitär für die heitere Muse reservierte Musiktheater Deutschlands – im hochgelobten Kulturkraftwerk Mitte ein neues Domizil erhielt. Aber damit wurde lediglich ein seit 1946 bestehendes Provisorium beseitigt: Über Jahrzehnte musste das Ensemble weit außerhalb des Stadtzentrums in einem umgebauten Dorfgasthof spielen, zudem wurde der Neubau unter anderem mit dem mehrjährigen Verzicht der Musiker und Mitarbeiter auf acht Prozent Gehalt finanziert.

Die geflutete Staatsoperette: ein enormer Imageschaden

Es war denn auch ein herber Rückschlag, als das neu eröffnete Haus Mitte Oktober einen Sachschaden von mehr als fünf Millionen Euro melden musste. Bei einem obligatorischen Brandschutztest hatte ein externer Servicetechniker versehentlich die Sprinkleranlage auf der Operettenbühne ausgelöst. Sie versprühte innerhalb einer halben Minute 16 000 Liter Wasser. Bühnentechnik und Instrumente wurden auf Nimmerwiederfunktionieren geflutet.

In der Folge mussten Premieren und Repertoirespielbetrieb abgesagt werden. Ausgerechnet in der besucherstarken Adventszeit blieb dem Publikum nichts anderes übrig, als mit provisorischen Bühnensituationen vorlieb zu nehmen. Zum finanziellen Schaden kommt der gewaltige Imageschaden für ein Haus, das viel Stammpublikum von außerhalb vorweisen kann, Besucher, die in lange im Voraus gebuchten großen Bussen nach Dresden gekarrt werden. Der schöne Glanz, er erhielt schnell Kratzer. Außer dem Techniker konnte niemand etwas für das Desaster. Und doch haftet der Staatsoperette nun der Ruf an, da seien wohl nicht unbedingt Experten am Werk gewesen.

Zur Dresdner Tradition gehört der Beginn der Stollensaison, mit Hofbäckermeister (Andreas Höffken, v.l.), Stollenmädchen (Hanna Haubold) und August dem Starken (Klaus-Dietmar Matthes).
Zur Dresdner Tradition gehört der Beginn der Stollensaison, mit Hofbäckermeister (Andreas Höffken, v.l.), Stollenmädchen (Hanna Haubold) und August dem Starken (Klaus-Dietmar Matthes).

© Monika Skolimowska/dpa

Zwar brüsten sich die Stadtfürsten in Sonntagsreden gern mit ihrem kulturellen Reichtum, aber es herrscht nicht einmal Einigkeit darüber, ob es Brokat, Eisenhemd oder Strumpfwolle sein soll. Während die Verwaltung jetzt im Vorfeld der Kulturhauptstadtbewerbung die Dezentralisierung der Kultur propagiert, um ganz basisdemokratisch die komplette Bürgerschaft einbeziehen zu können, sehen andere das Potenzial der gewichtigen und über die Stadtgrenzen hinausstrahlenden Kulturträger unterschätzt und verschenkt.

„Es gibt in dieser Stadt keine Vision und keinen Mut; der Dresdner Bürger macht auch selbst wenig, sondern wartet noch immer, was von oben kommt“, konstatiert Bernd Klempnow, Kulturredakteur der „Sächsischen Zeitung“. Selbst die Spenden zum Wiederaufbau der Frauenkirche seien damals vor allem von außen gekommen. Dieses für Dresden typische obrigkeitshörige Denken der Residenzstädter, deren Vertrauen in die Politik umso schneller schwindet, je mehr Mitbestimmung und gedankliche Freiheit ihnen zugemutet wird, macht es jedem schwer, der eine offene Gesellschaft anstrebt und zum Mittun einlädt. Die lokale Identität erschöpft sich nur allzu oft im Festhalten an Bewährtem und Traditionellem.

Debatten und Kleinprojektmeierei, das genügt nicht

Insofern kann man den Vordenkern der Kulturhauptstadtbewerbung nur zu ihrem Mut gratulieren, dass sie Kultur zum gesamtgesellschaftlichen Thema machen wollen. Gelungen ist ihnen das durchaus: zum Beispiel mit Manaf Halbounis Skulptur „Monument“ aus drei hochkant gestellten Bussen als Symbol syrischer Kriegsbarrikaden – und das ausgerechnet auf dem Neumarkt, der den Dresdnern so heilig ist. Was bei der zweiten Station der Aleppo-Busse vor dem Brandenburger Tor in Berlin kaum jemanden aufregte, stellte die erhitzte Dresdner Stadtgesellschaft vor eine Zerreißprobe – und ließ sie, wenn auch zähneknirschend, miteinander ins Gespräch kommen. Es ging um Fragen wie: Was vermag Kunst, was kann sie anders ausrichten als Politik? Ein spannungsvolles Terrain, das sich Dresdens Kultur zurückerobern könnte.

Doch die Stadt ist verzagt. Aus den „Wir-müssen-reden“-Erfahrungen vor allem den mit vielen schwurbeligen Worten umschäumten Schluss zu ziehen, für eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt brauche es vor allem Debatten, Diskussionskultur und Breitenwirkung, das erscheint doch etwas dürftig. Nachdem im letzten Jahr suburbane Kleinprojektmeierei betrieben wurde, sucht man nun „Orte des Miteinanders“. 61 Vorschläge wurden dafür eingereicht, von der Vereinskneipe bis zum Studentenklub.

Was soll in einer europäischen Kulturstadt die Kür des schönsten Schrebervereins?

Wie 2019 dann wohl die eigentliche Bewerbung aussehen wird? Im Moment reibt mach sich noch verwundert die Augen und fragt sich, was denn die Kür des schönsten Schrebervereins unter der Überschrift „Kleingärtner auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas - zwischen Tradition und Moderne“ mit der Strahlkraft einer europäisch strahlenden Metropole zu tun haben könnte. Aber ein bisschen Zeit hat Dresden ja noch bis zum Jahr 2025.

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