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Individualität für alle. Influencerinnen empfehlen auch gerne Lippenstifte.

© dpa/Arne Dedert

Kulturkritik: Ich verkaufe mich, also kauf du mich

Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen schütteln den Kopf über das Geschäftsmodell Influencer.

Viktoria und Sarina lieben Süßes. Ihre Welt ist voller bunter Gummitierchen und Cornflakes-Schachteln. Und sie erzählen aus ihrer rosaroten Kinderwelt. Toll, wenn ihr bei eurer Party auch so eine leckere Torte hättet, sagen sie ihren Follower*innen auf Instagram. Nicht zufällig handelt es sich um eine Torte von Coppenrath & Wiese, die für diese Empfehlung bezahlt hat. Kürzlich forderte Foodwatch, diese Art des Unterhaltungsmarketings zu verbieten, weil Kinder zwischen einem privaten Post und bezahlter Werbung nicht unterscheiden können.

Viktoria und Sarina sind das, was man als Influencer*innen bezeichnet. Sie nutzen Plattformen wie Facebook, Youtube, Tiktok oder eben Instagram, um Produkte zu platzieren, die ihren Alltag scheinbar begleiten. Je mehr Follower:innen, desto größer die Reichweite und desto lukrativer das Geschäft, das auf der Währung Vertrauen beruht.

Wolfgang M. Schmitt, der den Youtube-Kanal „Die Filmanalyse“ und mehrere zeitkritische Podcasts betreibt, ist mit dem angehenden Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler Ole Nymoen diesem Phänomen nachgegangen. Dabei braucht es nicht erst den Blick ins Literaturverzeichnis, in dem die Vor- und Nachhut der Ideologiekritik aufgefahren wird, um festzustellen, auf welchen Pfaden sich ihr Buch „Influencer“ bewegt.

[Ole Nymoen, Wolfgang M. Schmitt: Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Suhrkamp, Berlin 2021. 191 Seiten, 15 €.]

Der Untertitel „Die Ideologie der Werbekörper“ weist bereits die Richtung. Folgerichtig setzen die Autoren ein mit einer etwas grobmaschigen politökonomischen Kritik, die sich von der Akkumulationskrise des Kapitals bis zur neuen Plattformökonomie spannt. Diese ist davon geprägt, nicht mehr Waren, sondern Dienste bereitzustellen, an denen sich ausschließlich durch Werbung verdienen lässt.

Fehlende Kontrolle über die Produktionsmittel

Die digitalen Großunternehmer vermitteln Unternehmenswerbung an potentielle Kunden, transportiert durch besagte Produkt- oder Reise-Influencer*innen, deren Lage – unabhängig vom Verdienst – aus marxistischer Sicht prekär ist. Weder kontrollieren sie die Produktionsmittel – sprich: die Plattformen –, noch haben sie Einfluss auf ihre Platzierung im Erfolgsranking, über die der Algorithmus entscheidet. Sind sie allerdings erfolgreich, treten sie selbst als „Ausbeuter“ subalterner Dienstleister auf, ein Grund, so die Autoren, dass auf diesem Feld wenig progressive Kräfte entstehen.

Aber auch im Hinblick auf die digitale Kreativität kommen Influencer*innen schlecht weg. Ihre Geschichten sind seriell und austauschbar und behaupten lediglich Authentizität. Kreativ sind sie höchstens dort, wo sie einen Trend verbreiten. Allerdings, so die Autoren, geben die neuen Tools etwa bei Instagram Mittel an die Hand, sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens an einem Ästhetisierungsprozess zu beteiligen, der wiederum „den motivationalen Treibstoff der Ökonomisierung“ (Andreas Reckwitz) liefere.

Den letzten Widerspruch ersticken die Autoren selbst: „Wo das Mixen eines Smoothies oder das Auftragen eines Lippenstifts gewinnbringend sein kann und zugleich der Verwirklichung dessen dient, wovon angenommen wird, dass es sich um das autonome Ich handelt“, dekretieren sie in bestem adornitischem Jargon, „ist selbstredend kein Raum mehr für die Frage, ob die omnipräsente Ästhetisierung lediglich der Kitt von beschädigtem Leben ist, die im Quadrat gefangen bleiben.“

Ein Kapitel widmet das Buch den neuen Körperbildern, denn die Arbeit am Selbst bedarf aufwändiger modellierender Arbeit. Dabei gehen die Influencer*innen so weit, einen Blick hinter die Kulisse zu werfen: Gerda, Cathy Hummels oder Jessica Paszka, war kürzlich zu lesen, präsentieren sich ihren Follower*innen mittlerweile ungeschminkt und ohne Filter, samt Fältchen und Pickeln, selbst das noch ein Unterhaltungseffekt, der Likes und Herzchen generiert. Kommentaraufforderungen suggerieren demokratischen Dialog, und selbst soziales Engagement oder Marketing durch Diversity zahlt sich aus.

Laustarker Kulturpessimismus

Es ist nicht die überaus informierte Darstellung und bissige Analyse, die einen dieses Buch ratlos zur Seite legen lässt, sondern der laut vor sich hergetragene Kulturpessimismus. Wer wollte bestreiten, dass gerade die behauptete Konsumentensouveränität konformes Marktverhalten hervorbringt oder – dies die Hauptthese des Buches – eine erfolgreiche Influencer*innenkarriere immer die vielen Anderen voraussetzt, die in den Niederungen des Konsums verharren (müssen) und ihren Traum vom Aufstieg in die Verkaufsplattform niemals realisieren werden?

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Störend wirkt vielmehr die leise Herablassung gegenüber den vielen Namenlosen, die an das Glücksversprechen des Konsums glauben und daraus ein Geschäftsmodell machen wollen. „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“, zitieren die Autoren einen berühmten Aufsatz von Siegfried Kracauer, in dem sich dieser kulturkritische Dünkel gegenüber der „Oberfläche“ ausspricht.

Die Selbstermächtigung, die der Aufstieg „der kleinen Ladenmädchen“ in die Digitalökonomie bedeutet, lässt sich zwar mit Hinweis auf ihre Markkonformität trivialisieren, entwertet aber auch jede persönliche Anstrengung dieser „fleischgewordenen Schaufensterpuppen“. Jedes Erfolgserlebnis ist per se „falsches Leben“.

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