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Bei der Eröffnung der Neuen Nationalgalerie 1968 stand eine der Skulpturen des Bildhauers Alexander Calder auf dem hinteren Terrassenteil. Zur Wiedereröffnung des Hauses im August ist eine Retrospektive des Künstlers geplant.

© Konrad Giehr/dpa

Kulturforum in Berlin: Seele dringend gesucht

Besuch auf der Dauerbaustelle: Durch das Museum des 20. Jahrhunderts wird sich das Kulturforum stark verändern.

Fast ein Jahr dauert nun schon der Shutdown mit dem lähmenden Gefühl des Stillstands. Wohin sich wegen der Schließung der Institutionen niemand verirrt, fallen allerdings auch die jüngsten Aktivitäten nicht auf – wie am Kulturforum. Wer hat überhaupt noch den Nerv, sich mit dieser Dauerbaustelle der Berliner Stadtplanung zu beschäftigen?

Nun, die westliche Fahrbahn ist auf den breiten Mittelstreifen verlegt, ein Bauzaun grenzt das Areal ab, auf dem das geplante Museum des 20. Jahrhunderts entstehen soll. Riesige Erdmassen sind aufgehäuft, mehrere Bagger recken sich.

Der Siegerentwurf von Herzog & de Meuron weckte gemischte Gefühle

Er kommt also, der Museumsneubau, auch wenn man über die lange Zwischenzeit seit dem Wettbewerbsverfahren im Herbst 2016 schon in Zweifel geraten konnte, ob das mit 364 Millionen Euro in die Bundesfinanzplanung aufgenommene Vorhaben tatsächlich realisiert würde.

Der Siegerentwurf von Herzog & de Meuron weckte gemischte Gefühle. „Ein Museum in Form einer riesigen Scheune, das gleichzeitig Bierzelt und Tempel evoziert“, fasste die renommierte Fachzeitschrift „Bauwelt“ die Bandbreite der Kritik zusammen. Und nun: Museum ja – aber ohne am Zustand des Kulturforums viel zu ändern?

Da widerspricht Hermann Parzinger ganz entschieden. Von Anfang an hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Möglichkeiten gerühmt, die sich mit dem Entwurf des Basler Büros auftun. Im Videogespräch, aus der heimischen Wohnung geführt, urteilt er, das Museumsgebäude habe „das Potenzial, dem Ort eine Seele zu geben“. Zugleich aber wird der Neubau „allein nicht genug sein“. Ihm schwebt eine Person vor, die das Kulturforum mit seinen Freiräumen „kuratiert“.

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Joachim Jäger, seit längerem schon De-facto-Direktor für die Bestände des 20. Jahrhunderts der – noch ungeteilten – Nationalgalerie und ebenfalls zum Videogespräch zugeschaltet, hat bereits Pläne für einen temporären Pavillon. Er verteidigt den verschiedentlich kritisierten Bauplatz entlang der Potsdamer Straße: „Der Neubau ist genau richtig an dieser Stelle.“

Vor einiger Zeit hatten sich zwei Dauerkritiker des Kulturforums zu Wort gemeldet, der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann und der Architekt der Münchner Pinakothek der Moderne, Stephan Braunfels.

Der Entwurf von Herzog & de Meuron für das Museum des 20. Jahrhunderts.
Der Entwurf von Herzog & de Meuron für das Museum des 20. Jahrhunderts.

© Vogt Landschaftsarchitekten

Schon zuvor hatte die Stiftung Zukunft Berlin um den früheren Kultur- wie auch Stadtentwicklungs-Senator Volker Hassemer ihre nüchtern formulierten „Anforderungen an das Kulturforum“ vorgelegt, die freilich ohne Echo verhallten.

Dabei trifft insbesondere die Forderung auf „Enttabuisierung der Potsdamer Straße“ den wunden Punkt des Forums. „Als überörtlicher Verkehrskanal ist dieser Raum überdimensioniert und zugleich untergenutzt“, heißt es in dem Paper.

Doch die Autoverkehrsschneise steht nicht zur Debatte. „Den Zahn haben uns die Verkehrsplaner gleich gezogen“, winken Parzinger und Jäger am Bildschirm auf die Frage ab, ob es nicht doch noch einen Versuch wert sei, das Problem der Straßenführung anzugehen.

Nun soll man gerade beim Kulturforum niemals nie sagen; zu oft schon sind scheinbar endgültige Festlegungen wieder kassiert worden. Jedenfalls trifft sich die Kritik des Hassemer-Teams mit den Einwürfen von Braunfels, dargelegt in einem eigenen Buch „Kulturforum Berlin“.

Dort schreibt Braunfels, der sich immer wieder mit städtebaulichen Vorschlägen zu Wort meldet: „Mit dem Bau des Wettbewerbsentwurfs, der ,Scheune’ von Herzog & de Meuron, die alles öffentliche Leben in das enge Innere einer Museums-Mall locken will und allen öffentlichen Raum überbaut, würde das Kulturforum für immer zerstört.“ Was Braunfels damit meint, sagt seine Definition von „Stadtbaukunst“: „Sie ist die Kunst, zwischen öffentlichen und privaten Gebäuden urbane Räume – Straßen und Plätze – zu schaffen.“

Der "Masterplan" sah eine Grünfläche zwischen den Solitären vor

Wie oft das am Stadtforum versucht worden ist, weiß niemand besser als Hans Stimmann. Er trat vor dreißig Jahren auf den Plan, 1991 zum Senatsbaudirektor ernannt. An Selbstbewusstsein hat es Stimmann nie gemangelt. Doch der „mächtige Mann“, als der er sich im Vollgefühl der frühen neunziger Jahre sah, scheiterte am Kulturforum wie noch alle je damit befassten Politiker. 2006 schied Stimmann aus dem Amt und verlegte sich darauf, sein Erbe – insbesondere das „Planwerk Innenstadt“ von 1999 – publizistisch zu verteidigen.

Anfang März feiert Stimmann seinen 80. Geburtstag – und noch heute schüttelt er den Kopf über die Kehrtwendung der Politik nach dem Ende seiner aktiven Zeit, als der von Kulturstaatsministerin Monika Grütters forcierte Museumsneubau den 2005 mühsam festgeklopften „Masterplan“ des Berliner Senats über den Haufen warf.

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So jedenfalls beschreibt es Hans Stimmann in der Neuauflage seines Buches „Zukunft des Kulturforums“ von 2020. Der „Masterplan“ des Senats sah eine gestaltete Grünfläche zwischen den Solitären des Kulturforums vor und gestattete lediglich kleinere Neubauten, etwa im Osten des Areals aus Richtung Potsdamer Platz.

Dort immerhin hat sich in den vergangenen Jahren etwas getan, ist eine neue Zuwegung zum Philharmonie-Komplex anstelle des früheren Parkplatzes geschaffen worden und damit endlich ein stadtseitiger Eingang der Philharmonie. Eine Bebauung der Fläche zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie sah der Masterplan nicht vor; Eingeständnis des Scheiterns sowohl der ursprünglichen Scharoun’schen Idee eines flachen Atelierhauses wie aller nachfolgenden Vorschläge, etwa einer Kolonnade samt „Haus der Stille“.

Immerhin: Der Zugang zur Philharmonie wurde verbessert.
Immerhin: Der Zugang zur Philharmonie wurde verbessert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Stimmann geht es darum, die Erinnerung an die einstige Bebauung des Areals wachzuhalten, als Villengegend des jüdisch geprägten Großbürgertums vor den Toren des alten Berlin. Der daraus genährte Vorschlag von kleinteiliger Bebauung von „Townhouses“ auf früherem Straßengrundriss fand keine politische Unterstützung.

Der erhoffte große Wurf freilich wollte sich ebenso wenig einstellen. Bis dann Kulturstaatsministerin Grütters mit ihren Mitstreitern im Bundestag die Finanzierung für ein Museum des 20. Jahrhunderts aus dem Hut zauberte und den Bauplatz, zu dem es vorher noch eine „Variantenuntersuchung“ der Bundesbaubehörde mit immerhin drei möglichen Standorten gegeben hatte, kurzerhand an die Potsdamer Straße verfügte.

Da liegt als Nachbarin die Neue Nationalgalerie, dieser Geniestreich von Ludwig Mies van der Rohe. Sie wird, von David Chipperfield generalsaniert, Ende April an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurückgegeben werden.

Eine Fülle neuer Blickbeziehungen werden entstehen

Schon jetzt kann man durch ihre riesigen Fenster und die ganze Halle hindurchsehen. So transparent war der Bau zuvor noch nie. Die schwebende Leichtigkeit, die Mies dem stählernen Riesendach auf seinen wenigen Stützen gegeben hat, kommt erst- und vielleicht einmalig zur Geltung, jetzt, wo noch nichts in dem über fünfzig Meter Seitenlänge messenden, glasgesäumten Quadrat zu sehen ist.

Zu ahnen ist aber die Massivität des geplanten Museumsneubaus. Die „Scheune“ wird die Blickbeziehung zwischen Nationalgalerie und Philharmonie verändern – nichts jedoch, was Joachim Jaeger schreckt. Er sieht eine Fülle neuer Blickbeziehungen voraus, betont auch auf ungetrübte Aussicht auf die Matthäikirche, die für Mies ein Fixpunkt seines Entwurfs war.

Im August soll die Neue Nationalgalerie mit einer Retrospektive des amerikanischen Bildhauers Alexander Calder wiedereröffnen. Hier stand auf dem hinteren Teil der Terrasse eine seiner Stahlskulpturen, zur Ikone erhöht in den Schwarz- Weiß-Fotos des Eröffnungsjahres 1968. Weitere Namen sind im Gespräch; Genaues will Joachim Jäger noch nicht preisgeben, zu groß die Unsicherheit, die aufgrund von Corona auf allen Plänen lastet.

Was allerdings im Rahmen der in Angriff genommenen Strukturreform der Staatlichen Museen feststeht, ist die Teilung der übergroß gewordenen Nationalgalerie in drei selbständige, aber verbundene Teile entsprechend den Sammlungen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Drei „Direktionen“, so Parzinger, werden demnächst ausgeschrieben. Ja doch, es herrscht Aufbruch am Kulturforum.

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