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Kultur in Italien: Von Venezuela lernen heißt singen lernen

Wie Claudio Abbado in Italien für Klassik kämpft: Im Fernsehen attackiert der Dirigent die Banausen in Rom. Wie gemeinsames Musizieren soziales Elend lindern kann, erlebt der Maestro seit Jahren während seiner Winteraufenthalte in Venezuela.

Pompeji zerfällt, über traditionsreichen Opernhäusern kreist der Pleitegeier, Studenten gehen landesweit auf die Barrikaden. In Italien steht es schlimm um Kultur und Bildung, der staatlich verordnete Sparkurs treibt die Institutionen immer wieder in die Krise. Doch jetzt versuchen engagierte Künstler wie der Dirigent Claudio Abbado, der Schauspieler Roberto Benigni und der Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano das Berlusconi-Imperium mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: Sie attackieren die Regierung im Fernsehen.

Die vom rebellischen Staatskanal Rai Tre ausgestrahlte Talkshow „Vieni via con me“ erzielt Rekordeinschaltquoten, nachdem Abbado gleich in der ersten Sendung über die Kulturbanausen in Rom gesagt hatte: „Kultur ist ein Allgemeingut genau wie Wasser – Theater, Bibliotheken und Museen sind kleine Aquädukte.“ Wie gemeinsames Musizieren soziales Elend lindern kann, erlebt der Maestro seit Jahren während seiner Winteraufenthalte in Venezuela, wo 400.000 Jugendliche vom größten Education-Programm der Welt profitieren.

Dieses „Sistema“ will Abbado nun nach Italien verpflanzen. Auf einer Tagung in Fiesole wurde der Grundstein dafür gelegt. Wie in Venezuela geht es nicht in erster Linie um die Förderung von Spitzennachwuchs, sondern um soziale Integration. Das erste Musikzentrum soll in Le Piagge entstehen, einer Satellitenvorstadt von Florenz mit hohem Migrantenanteil. Die zentrale Koordination des Orchestersystems und ein einheitlicher Lehrplan sollen die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um Fördermittel und Sponsorengelder einzuwerben. An passionierten Musikpädagogen und -managern mangelt es in Italien nicht. In dem Problemviertel Rione Sanità in Neapel bringt beispielsweise das Projekt Sanitansemble seit vier Jahren Kinder und Jugendliche in Kammerensembles zusammen. Auch hier orientiert man sich am Vorbild Venezuelas.

Abreus Orchesterpädagogik prägt auch die Initiative Pequeñas Huellas (Kleine Fußspuren), die 2004 von der Musikerin Sabina Colonna Preti in Kuba gegründet wurde. Abbado, der sich der Karibikinsel eng verbunden fühlt, erklärte sich spontan zum „Großvater“ des Projekts. Davon profitieren inzwischen auch Kinder in seiner Heimat, in sozialen Brennpunkten wie den Turiner Stadtteilen San Salvario und Barriera di Milano. Darüber hinaus organisiert Pequeñas Huellas internationale Musikerbegegnungen und setzt sich explizit für Kinderrechte ein. Die jungen Instrumentalisten und Sänger traten bereits in großen Konzertsälen wie dem RAI-Auditorium in Turin auf.

Parallel bemüht sich Abbado darum, mit seinem „Orchestra Mozart“ in Bologna die Musik stärker in der Gesellschaft zu verankern. Um ein Zeichen für besseren Unterricht an Schulen zu setzen, führte er vor zwei Jahren in einer Sportarena der Stadt mit mehr als 600 Kindern Berlioz’ Te Deum auf. Im Rahmen des Musiktherapieprojekts „Tamino“ besuchen seit 2006 Orchestermitglieder regelmäßig ein Kinderkrankenhaus, wo Konzerte und interaktive Workshops für kleine Patienten stattfinden, und spielen außerdem vor Strafgefangenen. In Abbados Wohnung in Bologna steht ein Segelschiff aus Streichhölzern, das ihm die Häftlinge gebastelt haben.

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