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Feindin filmt mit. Die Fotoarbeit "Stalag - The Photographer" (2015) der israelischen Künstlerin Yael Bartana.

© Capitain Petzel, Berlin

Künstlerinnen im Kunstraum Kreuzberg: Unabhängig, stark, weiblich

„Pissing in a River. Again!“: Der Kunstraum Kreuzberg im Bethanien zeigt das riesige Potenzial an erfolgreichen Künstlerinnen in Berlin.

Normalerweise pinkeln eher Männer in Flüsse und schauen zu wie der Pegel steigt. Sie drehen das große Rad, definieren die Welt. Auch in der Kunst ist das so – bis heute. Es braucht also durchaus Ausstellungen, in denen sich Künstlerinnen ihrer Stärke und Unabhängigkeit vergewissern, so wie es derzeit im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien geschieht. „Pissing in a River. Again!“ lautet der Titel der Schau, der sich auf einen gleichnamigen Song von Patti Smith bezieht, in dem der Wandel einer hilflosen Kreatur zur starken Frau besungen wird.

Für die große Gruppenausstellung haben die Berliner Fotografin Stephanie Kloss und Installationskünstlerin Andrea Pichl Kunstwerke von 31 Frauen zusammengetragen. Zu den Beteiligten gehören so unterschiedliche Künstlerinnen wie die Turner-Preisträgerin Laure Prouvost, die Fotokunst-Ikone Katharina Sieverding, die israelische Videokünstlerin Yael Bartana, die Malerin Katrin Plavcak und die peruanische Konzeptkünstlerin Teresa Burga. Schon das Line-up zeigt, dass es in Berlin ein riesiges Potenzial an erfolgreichen Künstlerinnen gibt, und offenbar bestehen auch tragfähige Netzwerke zwischen den Frauen. Nur müsste das alles in Zukunft noch größer und stärker werden.

Hurra, wir leben noch

Angst vor weiblichen Stereotypen hat man in dieser Ausstellung nicht. Die Wände sind im Farbton „Cool Down Pink“, gestrichen, einem süßen Babyrosa, das laut psychologischen Untersuchungen hilft, Aggressionen abzubauen. Schon der erste Raum präsentiert sich sehr farbig, sehr körperlich – und laut. Ein Gemälde von Tatjana Doll zeigt eine überlebensgroße, kraftstrotzende Frauenfigur in bunten Farben. Die in Berlin ausgebildete und in New York lebende Videokünstlerin Keren Cytter hat für ihr trashiges Video „Terrorist of Love“ Gif-Dateien und zuckende Frames aus dem Internet gefischt und bindet sie nun alle gleichzeitig in eine eigentlich kaum vorhandene Handlung ein.

Ein Acrylglasobjekt der Berliner Künstlerin und Galeristin Berta Fischer dient als stimmungsvoller Raumteiler, dahinter wird es körperlich. Etwa mit den Gemälden der französisch-indischen Malerin Nadira Husain oder mit Raphaela Vogels Audiostück „In festen Händen IV“, in dem die Künstlerin mit dünner Stimme Milvas Hit „Hurra wir leben noch“ singt. Schon auf den ersten Metern wird also mit allem gespielt, wofür frau gerne belächelt und kleingemacht wird: weibliche Aggression, ihr Sinn fürs Schöne, ihre Liebe zum Kitsch, ihr Körper. Natürlich ist die Message: Weiblichkeit ist stark.

Härtere Töne werden in den angrenzenden Räumen angeschlagen, einem recht unüberschaubaren Labyrinth aus kleineren Zimmern. Darin ist Laure Prouvosts sommerliches Video „We will go far“ von 2015 zu sehen. In dem achtminütigen Clip geht es um eine Gruppe von Teenagern, die irgendwo auf dem Land ihre ersten erotischen Erfahrungen machen. Geschnitten ist es wie ein Musikvideo – der Sound röhrt und stammt von knatternden Motorrädern, die Künstlerin lässt Milch aus einem Busen spritzen (ein häufiges Motiv in ihren Arbeiten), man sieht Tiere grasen und Baumrinden trocknen, über allem liegt die erotische Energie eines warmen Sommertags – und doch wirkt alles irgendwie unschuldig.

Das Fehlen der männlichen Stimmen tut gut

Interessant ist auch Natalie Czechs Offsetdruck eines Blumenbouquets. Der Druck wird von einer Rezension der Journalistin Hili Perlson über ein Kunstwerk der Bildhauerin Berlinde de Bruyckere begleitet. Hier wird ein Netzwerk im Kleinen vorgeführt, man bezieht sich aufeinander, bildet ein eigenes Referenzsystem. In den Skulpturen der Belgierin de Bruyckere geht es oft um die Dualität von Zerstörung und Begehren. Ihre Arbeiten hätten also gut hierher gepasst – auf diesem Umweg sind sie präsent.

Die meisten Künstlerinnen der Ausstellung haben in Berlin studiert oder leben hier, andere kommen aus internationalen Metropolen. Viele sind tatsächlich häufig in Berliner Gruppenausstellungen zu sehen, manche kuratieren und organisieren eigene Schauen, tragen so zum Grundrauschen der Kunststadt bei. Gut möglich, dass man eine so illustre Auswahl an Kunstwerken von ausschließlich weiblichen Künstlerinnen noch nie in Berlin gesehen hat. Und das Fehlen der männlichen Stimmen tut gut. Der Ort freilich ist nicht einfach zu bespielen. Der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, eine Einrichtung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, ist im ehemaligen Diakonissen-Krankenhaus am Mariannenplatz untergebracht. Die vielen einzelnen Räume und die darin gezeigten Kunstwerke miteinander zu verbinden ist nicht ganz einfach. Glamour ist in dieser Atmosphäre genauso unmöglich wie Coolness. Bleibt die Kunst. Und der Eindruck, dass man Ausstellungen mit solcher Zusammensetzung gerne noch öfter sehen würde.

Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, bis 13.1. (geschlossen am 31.12. und 1.1.)

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