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Meterware. Vier Monate Schreibarbeit von Ulrike Damm.

© Holger Biermann

Künstlerin Ulrike Damm in der Zionskirche: 1200 Meter Seidenpapier: ein Roman als Textskulptur

Die Berliner Künstlerin Ulrike Damm visualisiert ihre Texte in Form von Skulpturen. Die jüngste Papierpoesie ist in Mitte zu sehen.

Er windet sich, raschelt, scheint unregierbar, zuletzt schlängelt sich der Lindwurm sogar bis ins Bad. Die Berliner Filmemacherin Sabine Herpich hat in einem Kurzfilm dokumentiert, wie irre das aussieht, wenn ein Roman eine ganze Wohnung füllt. Die der Künstlerin Ulrike Damm nämlich, die ihre Bücher stets auch in Form von Textskulpturen visualisiert.

Der jüngste „Kulp und warum er zum Fall wurde“ ist gerade auf der Empore der Zionskirche in Mitte zu sehen (nur noch bis 4.11., So 12-17, Mo-Do 13-18). Flankiert von Herpichs stark raschelndem Kurzfilm.

Gedruckt sind es nur 360 Seiten

Aus 360 gedruckten Seiten sind in der handschriftlichen, noch mal mit Änderungen versehenen Version 1200 Meter Seidenpapierbahnen geworden, die sich zu einem langgezogenen Berg türmen. Je nachdem wie die Sonne durch das farbige Kirchenfenster fällt, tanzen bunte Reflektionen darüber.

„Einem glücklichen Umstand zufolge war er jetzt blind“, lautet der irritierende Eingangssatz der Geschichte, der am Beginn der Papierbahn leicht auszumachen ist. Der Romanheld sei einer, der an seiner Physis scheitere, sagt Ulrike Damm.

Scheitern müssen auch die Betrachter, wenn sie versuchen, die nur fragmentarisch lesbaren Sätze des Papierbergs zu einer Geschichte zusammenzufügen. Funktioniert nicht.

Reinhüpfen verboten. Die Textskulptur von Ulrike Damm auf der Empore.
Reinhüpfen verboten. Die Textskulptur von Ulrike Damm auf der Empore.

© Holger Biermann

Nicht mal der Schluss lässt sich im zum Hineinspringen einladenden Gewuschel ausmachen. Selbst der rote Faden, der auf den Rückseiten der Bögen klebt, hilft kein bisschen weiter. Dafür setzt der Faden Erinnerungen an Chiharu Shiotas großartige Faden-Skulptur „Lost Words“ frei, die vor ein paar Jahren die Nikolaikirche wie eine Wolke auskleidete.

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Auch Ulrike Damms Papierpoesie profitiert von der Aura des sakralen Raums, zu dem das gesprochene und geschriebene Wort ganz existenziell gehört.

Sonst in Form von Predigten, Bibellesungen und Kirchenliedversen. Hier in Gestalt eines zerknitterten Riesenbaisers, dessen unleserliche Botschaft man beim Abschreiten trotzdem begreift. Sie liegt in der Schönheit und Vergeblichkeit allen künstlerischen Tuns.

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