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Die Abbilder von Louisa Clement bestehen aus biegsamem Aluminium. Insgesamt zehn Avatare wurden in China produziert, mit Clements biografischen Daten gefüttert und mit künstlicher Intelligenz ausgestattet.

© Louisa Clement

Künstlerin Louisa Clement präsentiert ihr Double: Wie fühlt es sich an, wenn andere mit dem eigenen Avatar Sex haben?

Louisa Clement zeigt die Instagramversion ihrer selbst, die absolute Künstlichkeit: leicht zu verführen, angepasst und trotzdem hypermodern. Ein Porträt.

Louisa Clement hat aussortiert. 40-Den-Strumpfhose, schwarzes Kleid, Chelsea- Boots. Das zog sie sonst immer gerne selber an, doch jetzt tragen zwei Sexpuppen die Sachen, sie sitzen darin etwas steif in der Kunsthalle Gießen. Von hinten könnte man die beiden glatt mit Clement verwechseln: dichtes dunkelblondes Haar, ähnliche Statur. Von vorne blickt man in ziemlich künstliche, barbiemäßige Gesichter, die dem der Künstlerin nur bedingt ähneln.

Sie erinnern an Gesichter, wie es sie in sozialen Netzwerken oft gibt: die Augen sehr groß, die Nase sehr klein, die Wangen sehr rosig. Facefilter produzieren solche Proportionen, sie sollen die Nutzer schöner machen. Louisa Clement hat die Facefilter in den analogen Ausstellungsraum geholt und präsentiert die perfekte Instagramversion ihrer selbst, die absolute Künstlichkeit: leicht zu verführen, angepasst und trotzdem hypermodern.

Clements Doubles können auch sprechen, den Kopf bewegen und das Gesicht verziehen. 20 kleine Motoren steuern die Mimik. Dennoch wirkt Clements Avatar langsam, irgendwie dusselig. Als die Künstlerin ihr Smartphone während des Videogesprächs so vor das Gesicht der Puppe hält, dass es aussieht, als würde die gerade selber facetimen, sagt ihr Double mit elektronischer Stimme immer wieder: Das macht Sinn für mich. Das macht Sinn für mich. Das macht Sinn für mich.

Die Puppe soll mit der Zeit immer intelligenter werden. Mehr als 2000 Fragen hat Clement dafür beantwortet. Rechner im Inneren ihrer Doppelgängerinnen wissen, in welchen Kindergarten sie gegangen ist, in wen sie verliebt war, sie kennen die Genese ihrer Arbeiten und überhaupt ihre ganze Lebensgeschichte. Darunter Dinge, über die Clement normalerweise lieber gelogen hätte, die sie dann aber doch preisgab.

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Für die Herstellung ihrer Abbilder hatte sich Clement mehrfach 3-D-Scans unterzogen, verschiedene Partien ihres Körpers gefilmt und fotografiert. Eigentlich sei sie gegen Schönheitsideale aus sozialen Netzwerken ziemlich immun, sagt sie, aber dieses Ausgemessen-Werden sei ihr doch unangenehm gewesen. Sie hatte davor extra trainiert.

Die 33-jährige Künstlerin Louisa Clement
Die 33-jährige Künstlerin Louisa Clement

© Neven Allgeier

Clements Avatare wurden in China angefertigt. Sie bestehen aus biegsamem Aluminium, umhüllt von TPE, einem Material, das sich wie makellose Haut anfühlt: weich, glatt, perfekt. Clement sagt, dass ihre Abbilder „sexuell funktionsfähig“ seien.

Man kann sich schon vorstellen, wie so eine Puppe funktioniert

Mehr sagt sie dazu nicht, aber man kann sich schon vorstellen, wie so eine Puppe funktioniert und wie sie sich dabei verhält, also eigentlich nicht verhält, wie sie einfach daliegt: unterwürfig, willenlos und stets verfügbar. Insgesamt hat Clement zehn Doubles von sich in Auftrag gegeben. Drei sollen in Gießen präsentiert werden, die anderen werden verkauft oder gehen an ihre Galerie in Mailand.

Ob das nicht ein komisches Gefühl sei, annehmen zu müssen, dass da irgendwo auf der Welt irgendwer mit ihrem Abbild Sex hat? Clement sagt, dass sie darüber viel nachgedacht habe. Aber das sei eben Teil des Konzepts und irgendwie sei es eben das, wie Kunst behandelt werde, nur auf die Spitze getrieben: „Wenn man Kunst kauft, besitzt man sie halt auch.“

Das erinnert an Andrea Frasers Videoarbeit „Untitled“, in der die Künstlerin mit einem Kunstsammler Sex hat. Er erhielt danach das Vorkaufsrecht für die erste DVD-Edition. Auf diese Weise stellte Fraser eine Kunstwerk her, das ihr gehörte, das aber gleichzeitig ohne die Beteiligung des Sammlers nicht zustande gekommen wäre. Damit kritisiert sie ein System, in dem Kunst zur Ware wird und die Künstlerin zur Dienstleisterin. Louisa Clement tut es Fraser indirekt gleich. Nur dass sie nicht selber mit dem Sammler in Kontakt tritt, sondern ihr Abbild.

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Clement sagt, das Brutale dabei sei für sie das Preisgeben ihrer persönlichen Daten. Es könnte sein, dass die Puppe Informationen verrät, die sie selber nicht erzählt hätte. Eigentlich sei es zwar im Internet genauso, sagt Clement, da klicke man auch ständig irgendwas an und füttere das Netz mit seinen Angaben. Aber so fühle es sich exponierter an.

Zudem werden sich die Puppen unterschiedlich entwickeln, je nachdem, wie mit ihnen umgegangen wird. Ein Experiment: Die Avatare sind dann Versionen ihrer selbst, die sie unter anderen Umständen auch hätte werden können. Irgendwann möchte sie zehn Puppen wieder zusammenzuführen.

Puppen sind schon lange Thema in Clements Arbeiten. Die gebürtige Bonnerin studierte an der Kunstakademie Düsseldorf, war Meisterschülerin des Fotokünstlers Andreas Gursky. Für ihre Abschlussarbeit fotografierte sie 55 Köpfe von Schaufensterpuppen.

Alle im gleichen Ausschnitt. Sie dachte dabei an die Aufnahme von biometrischen Passbildern, den Moment im Fotoautomaten, wenn man versucht, seinen Kopf in diesem ovalen Feld zu platzieren, ständig Fehlermeldungen erhält, man nicht lächeln darf und die Haare zurückgestreift werden müssen.

Für eine andere Arbeit fokussierte sie sich auf Kanten und fotografierte Ausschnitte von Schaufensterpuppen, bei denen man sieht, dass sie zusammengesteckt sind. Einige ihrer Fotoarbeiten wirken konzipiert, so weichgezeichnet, als seien sie gemalt. Andere erinnern eher an billige Handyfotografien aus einer Zeit, als die Kameras noch nicht so gut waren, überbelichtet und mit einem staubigen Filter versehen.

Clement gehört zu einer Generation die noch lange ein Tastentelefon hatte

Louisa Clement reibt sich an der virtuellen Welt. Sie nutzt soziale Medien nur für ihre Arbeit als Künstlerin, hat keine privaten Accounts und verzichtet auf Selfies im Netz. Sie gehört zu einer Generation, die noch lange ein Tastentelefon hatte, ehe sie sich mit Whatsapp und einer Rund-um- die-Uhr-Erreichbarkeit konfrontiert sah.

Sie erforscht das soziale Netz, versucht es zu begreifen und Bildspuren zu erkennen, Sinnhaftigkeit zu finden in einem System, das ihr oberflächlich vorkommt. Es ist, als sei sie fasziniert und abgestoßen zugleich. Als akzeptiere sie trotzdem, dass es keine Gegenwart ohne Digitalität mehr gibt.

Post-Internet-Art war mal ein hipper Sammelbegriff für Kunst, die sich mit der veränderten Wirklichkeit beschäftigt, der neuen virtuellen Normalität. In Louisa Clements Avataren nimmt sie Gestalt.

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