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Ai Weiwei bei einer Pressekonferenz im Mai.

© dpa

Künstler will Berlin verlassen: Ai Weiwei schimpft auf Deutschland – und die Berlinale

Der chinesische Künstler nennt Deutschland "selbstzentriert". Der Berlinale wirft er Hörigkeit gegenüber China vor. Was ist dran an den Vorwürfen?

Noch im September 2018 fühlte sich Ai Weiwei ganz wohl in Berlin. Dass er wegziehen wolle, liege nicht am politischen Klima, es habe persönliche Gründe, sagte der im Exil lebende chinesische Künstler dem Tagesspiegel. Fremdenfeindlichkeit bekomme er eigentlich nicht zu spüren, mit Ausnahme eines Taxifahrers, der ihn für einen Koreaner hielt – an dem Tag, als Korea die Deutschen aus der WM kickte. Seine Familie fände nur die Berliner Winter schwer erträglich, auch sei bald eine Umgebung mit englischer Landessprache für seinen Sohn angebracht. Man denke über New York nach. Und das Atelier am Pfefferberg wolle er behalten.

Inzwischen klingt das deutlich anders. „Deutschland ist keine offene Gesellschaft“, sagte der 61-Jährige am Donnerstag in der Tageszeitung „Die Welt“ und nennt gleich drei Erlebnisse mit Taxifahrern. Was schwerer wiegt: Er erhebt auch grundsätzliche Vorwürfe gegen die hiesige Wirtschaftspolitik. Deutschlands Industrie hänge von China ab, deshalb werde die Menschenrechtsfrage nicht angesprochen. „Alle westlichen Geschäftsleute wissen genau, was vorgeht. Aber sie sagen nichts.“

Ai Weiwei führt dieses devote Verhalten dann am Beispiel der Berlinale aus und erhebt schwere Vorwürfe auch gegen das Festival. In jüngster Zeit habe es mehrere Dokumentarfilme von und mit ihm abgelehnt. „The Rest“ über Menschen in Flüchtlingslagern genauso wie Cheryl Hones’ Film über seine Ausstellung auf der Gefängnisinsel Alcatraz, „Ai Weiwei: Your’s truly“, die Dokumentation „Beijing Spring“ über eine Künstlergruppe nach der Kulturrevolution in China, der er angehörte, und obendrein eine Kulturrevolutions-Doku des ebenfalls in Berlin lebenden Regisseurs Zhou Qing. Ai Weiweis Fazit: „Das Festival akzeptiert nur, was von den chinesischen Behörden das Goldene Siegel bekommen hat“.

Der Satz insinuiert, dass die Berlinale nur regimetreue Filmkunst aus China zeigt. Auch bei der diesjährigen kurzfristigen Wettbewerbsabsage von Zhang Yimous „One Second“, ebenfalls ein Kulturrevolutions-Stoff, habe die Berlinale die offizielle chinesische Lesart übernommen: „technische Probleme“.

Sein Film lief zwar in Toronto, aber auf einem kleinen Festival

Ai Weiwei betont dann, „The Rest“ sei auf anderen Festivals gelaufen. Ein großes Filmfestival ist nicht dabei, lediglich kleinere wie das HotDocs in Toronto. Er erwähnt auch nicht, dass lautstarke Proteste gegen Zensur und Drangsalierung von Künstlern nur dann sinnvoll sind, wenn ein Festival seine Gäste damit nicht zusätzlich gefährdet. Bei Filmemachern wie dem Iraner Jafar Panahi startete die Berlinale zahlreiche Kunstfreiheitsaktionen – weil solche Aktionen in diesem Fall begrüßt wurden. 2012, als Ai Weiwei nach seiner dreimonatigen Haft im Vorjahr von Pekings Behörden zunehmend schikaniert wurde, zeigte die Berlinale Alison Kleymans Doku „Ai Weiwei: Never Sorry“. Chinas Behörden wird das nicht gefallen haben.

Thema des Gesprächs ist auch der bereits im Frühjahr erhobene Vorwurf, Ai Weiweis Beitrag zum Episodenfilm „Berlin, I Love You“, der seit Donnerstag in den Kinos läuft, sei auf Druck der Berlinale herausgeschnitten worden. Ein befremdlicher Vorwurf: Der Film lief nicht auf dem Festival.

Die Berlinale zeigte 2017 drei nicht-genehmigte chinesische Filme

Was sagt die Berlinale zu der harschen Kritik? Die neue Doppelspitze Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek möchte die Filmauswahl früherer Festivaljahrgänge zwar nicht kommentieren, weist aber daraufhin, dass 2017 – als das Festival noch von Dieter Kosslick geleitet wurde – alleine drei chinesische Film gezeigt wurden, die keine regierungsoffizielle Genehmigung hatten: Liu Jians „Have a Nice Day“ im Wettbewerb, „Ghost in the Mountains“ von Yang Heng im Panorama und „Foolish Bird“ von Huang Ju in der Reihe Generation. Chatrian und Rissenbeek verweisen auch auf die seit März 2017 verschärften Zensurgesetze, die die strafrechtliche Verfolgung von Produzenten erlauben, wenn sie einen Film ohne das offizielle Siegel und die zusätzliche Vorführgenehmigung des Ministeriums für Propaganda zeigen.

„Die Produzenten entscheiden darüber, ob sie das tun wollen oder nicht, es ist keine Entscheidung der Berlinale.“ Die Berlinale konnte 2007 auch nicht verhindern, dass der Produzent des ebenfalls ohne Genehmigung präsentierten Films „Lost in Beijing“ mit einem zweijährigen Berufsverbot belegt wurde. Anders als Ai Weiwei nahelegt, ist das Festival nicht regimetreu, sondern versucht, seine Gäste soweit wie möglich zu unterstützen und zu schützen.

Seit Ai Weiwei im Exil lebt, widmen seine Werke sich Flüchtlingen

„Wenn Ai Weiwei seinen nächsten Film bei der Berlinale einreicht, werden wir ihn uns gern anschauen und über eine Einladung entscheiden“, heißt es weiter in der Berlinale-Erklärung. Ai Weiwei sagte im „Welt“-Interview, er werde seine Dokumentation über die nach Bangladesch vertriebenen Rohingyas der Berlinale anbieten. Geschehen ist das offenbar noch nicht.

Nun ist Ai Weiwei in erster Linie bildender Künstler. Seit er 2015 ins Exil genötigt wurde, widmet er sich in seinen Werken weniger dem eigenen Land als dem Schicksal von Flüchtlingen in aller Welt. Seitdem realisiert er auch mehr Dokumentarfilme, mit Smartphone, mit großen internationalen Teams, mit Drohnen für Luftaufnahmen von Grenzen und Lagern. Werke, die wie „Human Flow“ (Venedig 2017) weniger eine künstlerische als eine journalistische Anmutung haben. Ai Weiweis Art und Weise, für Selfies gemeinsam mit Flüchtlingen zu posieren, sich vor der Kamera nur wenig für seine Protagonisten zu interessieren oder das berühmte Foto mit dem toten Flüchtlingsjungen Alan Kurdi am Strand nachzustellen, löste dabei auch Unbehagen und Kritik aus.

Seine aktuelle Ausstellung in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mit dem Titel „Alles ist Kunst, alles ist Politik“ (bis 1. September) bringt das Dilemma seines aktuellen künstlerischen Schaffens auf den Punkt. Als dissidentischer Künstler noch in seinem Land wurde er gerade vom deutschen Publikum hoch verehrt. Mit dem Umzug nach Berlin fiel das Umfeld weg, an dem sich seine Kritik entzündete. Die eigene, unmittelbare Betroffenheit endete. Im Werk drückte sich dies durch Verlust an Spannung, an Schärfe aus.

Als kritischer Geist und politischer Chronist suchte sich Ai Weiwei deshalb einen anderen Gegenstand. Da lag es nahe, sich die ungleich widrigeren Lebensumstände jener Menschen vorzunehmen, mit denen er das Exil-Schicksal teilt. Ai Weiwei beherrscht die Rhetorik des Vorwurfs, doch ist sie in der Anhäufung einer Retrospektive wenig überzeugend. Jene Fotowand, an der en masse seine Selfies mit Geflüchteten hängen, wirkt nicht empathisch, sondern eitel.

Die schiere Menge gehört zu seinen stärksten Mitteln

Ai Weiwei ist ein Mann der Masse. Die schiere Menge gehört zu seinen stärksten Mitteln. Die Methode ging auf in der Turbinenhalle der Tate Modern, deren Boden er mit Millionen Sonnenblumenkernen aus Porzellan bedeckte. Im K20 der Düsseldorfer Kunstsammlung sind die "Sunflower Seeds" nach neun Jahren wieder zu sehen – und beeindrucken erneut. Ebenso jene verbogenen Stahlstreben, die sich in den Ruinen der beim Erdbeben von Sichuan zusammengestürzten Schulen befanden. Tausende Kinder wurden darunter begraben. Ai Weiwei ließ sie gerade biegen und packte sie in 142 offene Transportkisten, aufgereiht wie Särge. Ein Requiem.

Hier gewinnt seine Aussage Klarheit, seine Kunstsprache Kraft. Sie verliert sich, sobald er Effekthascherei betreibt wie bei der Installation „Laundromat“, für die er von Flüchtlingen im „Auffanglager“ Idomeni zurückgelassene Kleidungsstücke reinigen und auf Recks aufhängen ließ. Viele Rezensenten äußerten ihre Enttäuschung; einen kämpferischen Mann wie Ai Weiwei wird das nicht unberührt lassen. So spricht auch Kränkung aus seiner Ankündigung, Deutschland verlassen zu wollen. Wozu der Ausstellungsbetrieb ihm bisher allerdings keinen Anlass gab. Noch nie wurden einem Künstler in der Düsseldorfer Kunstsammlung beide Standorte – K20 und K21 – zur Verfügung gestellt. Das Publikum hält Ai Weiwei ohnehin die Treue. Nach zehn Wochen meldete das Haus Ende Juli den 100.000 Besucher.

Das erste Mal hatte Ai Weiwei seinen Weggang aus Berlin im Frühjahr 2018 angekündigt. Jetzt hat er diese Ankündigung politisch aufgeladen. Das internationale Echo ist groß, trotz mancher Unwahrheit im Detail. Es wird ein lauter Abschied.

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