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Da kam Hoffnung auf. Michail Gorbatschow und Ronald Reagan beim Gipfeltreffen 1986 im isländischen Reykjavik.

© AFP/Mike Sargent

Trump, Russland und die Achtziger: Wie weit weg ist der Kalte Krieg wirklich?

US-Präsident Trump will den Atom-Abrüstungsvertrag mit den Russen kündigen. Das weckt Erinnerungen an dunkle Zeiten – und an Ronald Reagan.

Wenn die Gegenwart verwirrt, muss die Geschichte helfen. Dann springen Vergleiche, die sonst hinken, locker über historische Fakten und Entwicklunglinien hinweg und überwinden mit einem Wimpernschlag die Jahrzehnte, die zwischen dem Jetzt und der lockenden Parallelwelt liegen. Dort findet man sich in angenehmen Gruselfilmen wieder – wie zum Beispiel in „Babylon Berlin“.

Die Fernsehserie bedient eine nicht nur deutsche Angstlust – verbunden mit wackelnder Demokratie, Weltwirtschaftskrise, rechter Herrschaft, heraufziehender Kriegsgefahr. Und auch weil sich das Ende des Ersten Weltkriegs jetzt jährt – 100 Jahre haben einige Symbolkraft –, ist viel die Rede von Weimar und den Zwanzigern. Schon damals waren, wenn man Tom Tykwer & Co. glauben will, die Russen die Bösen. Und die deutschen Herrenreiter sägten am Staatsgerüst.

Doch plötzlich verzieht sich der Roaring-Twenties-Spuk auf seinen Sendeplatz. Da kommt aus den Nachrichten ein neues Gespenst, und es kommt einem verdammt bekannt vor. US-Präsident Donald Trump kündigt an, das Abrüstungabkommen über nukleare Mittelstreckensystem (INF) in die Tonne zu treten. Es stammt aus dem Jahr 1987 und wurde noch mit der Sowjetunion geschlossen. Kommt da wieder ein Kalter Krieg, wenn er nicht schon längst im Gang ist? Kehrt das Bedrohungsgefühl zurück, das die Achtzigerjahre so stark bestimmte?

Bis vor Kurzem hätte man noch gesagt, dass die Achtziger mindestens so weit weg sind wie die Zwanziger. Doch die Berliner „Unteilbar“-Demonstration unter dem Motto „Solidarität statt Ausgrenzung – für eine offene und freie Gesellschaft“ vom 13. Oktober mit fast einer Viertelmillion Menschen erinnerte an die großen Friedenskundgebungen 1981 und 1983 in Bonn. Am 22. Oktober 1983 wurden in der damaligen Bundeshauptstadt 500.000 Friedensbewegte auf den Straßen gezählt. In der gesamten Bundesrepublik waren an jenem Tag über eine Million Menschen auf den Beinen.

Wie wurde Reagan seinerzeit gehasst und gefürchtet

Der Nato-Doppelbeschluss trieb sie heraus. Pershing 2 und SS 20 – so hießen die amerikanischen und russischen Raketen, die Angst und Schrecken verbreiteten. Vor 35 Jahren sprachen Heinrich Böll, Petra Kelly und auch Willy Brandt in Bonn. Eine Band namens Geier Sturzflug aus Bochum spielte „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht.“ Es trat dort auch Hannes Wader auf, man hörte die Bots mit ihren schunkelnden Animierliedern, aber Ironie war in jenen Jahren schnell zur Stelle. Aus „Gefühl und Härte“ wurde im Handumdrehen „Gewühl und Hertie“.

Es ist nicht ganz falsch: Wir erleben ein neu aufgelegtes Achtziger-Syndrom. Wie wurde Ronald Reagan seinerzeit gehasst und gefürchtet! In dem Fehlfarben-Song „Ein Jahr (Es geht voran)“ hieß es, und es dröhnt nach in der Erinnerung: „Graue B-Film Helden/Regieren bald die Welt/Es geht voran.“ Und nun Donald Trump, kein Ex-Hollywood-Schauspieler wie Reagan, vielmehr ein früherer Fernsehstar. Der Titel der Fehlfarben-LP war „Monarchie und Alltag“, was – prophetisch – recht gut auf Trumps autokratischen Regierungsstil und seinen Clan passt. „Berge explodieren/Schuld hat der Präsident/Es geht voran“. Klingt schon nach Klimawandel.

Bei der Anti-Reagan-Demonstration im Juni 1982 in West-Berlin marschierten 100.000 Menschen – trotz eines Versammlungsverbots. Es kam zu wilden Auseinandersetzungen mit der Polizei, die am Nollendorfplatz Demonstranten einkesselte. Reagan galt, mehr noch als Trump heute, als der Teufel persönlich, der Weltverderber. Mit Ronald R. begann eine Politik, die vor allem auch nach innen wirkte. Reagan hat die USA verändert wie kaum ein Präsident vor ihm. Er hat auf lange Sicht den Weg für Donald T. geebnet.

Ronald Reagan, der „graue B-Film-Held“, wurde 1984 wiedergewählt, mit erdrückender Mehrheit. Die Reaganomics brachten, wie der rücksichtslose Thatcherismus in Großbritannien, Einschnitte im Sozialsystem, großzügige Steuersenkungen für Unternehmen, die Militärausgaben wurden erhöht. Reagan unterhielt, wie Trump, enge Beziehungen zur Waffenlobby. Man kann Trump als Reagan 4.0 betrachten – so wie sich der Thatcher-Horror auf der Insel jetzt mit dem Brexit multipliziert.

Lässt sich aus dem Vergleich irgendetwas lernen?

Die neuen Achtziger anno 2018 nehmen Gestalt an. Lässt sich aus dem hinkenden, blinkenden Vergleich irgendetwas lernen?

In West-Berlin war damals der fehlende Wohnraum das beherrschende Thema. Und die Hausbesetzerbewegung: Die Demonstrationen gegen Reagan und seinen Außenminister Haig fielen auch deshalb so mächtig und militant aus, weil eine bestimmte Szene schon gut mobilisiert war. Bald vierzig Jahre später lastet die Wohnungsfrage wieder und immer noch auf einer vom Wachstum überraschten Stadt.

Heute werden, bei wenig gestiegenen Einkommen, Immobilienpreise und Mieten aufgerufen, die man sich nie vorstellen konnte. Überhaupt: Was waren die Achtziger für ein Kokon? Wer hatte es damals auf dem noch gar nicht vorhandenen Schirm, dass am Ende des Jahrzehnts der Eiserne Vorhang fallen, dass Ronald Reagan als Freiheitsheld gefeiert und Helmut Kohl als Kanzler der Einheit noch lange regieren und Berlin wieder Hauptstadt würde? Der Begriff Islamismus existierte nur in Wissenschaftskreisen.

Als es im April 1986 in Tschernobyl zur Kernschmelze kam, schien das Weltende nah. Der GAU in der Ukraine verstärkte eine ohnehin vorhandene Tendenz, sich zurückzuziehen. Auf der Berliner Insel, West wie Ost, blühte das Theater, war stark und und nicht unbedingt politisch. Ästhetische Fragen wurden mit großem Ernst behandelt, oder man traf sich beim „Tunix-Kongress“. Wenn Francis Ford Coppolas Vietnam-Epos „Apocalypse now“, 1979 gedreht, der weit in die 1980er hineinragende Film war, gab es dafür zwei Gründe: Er verband Kriegsterror mit musikalischer Dämonie (Richard Wagner, The Doors), Menschheitsverbrechen mit überwältigenden Kinomitteln, und er ließ keinen Zweifel daran, dass im Weißen Haus und im Pentagon böse Mächte sitzen.

Die Achtziger waren ein kurzes Jahrzehnt. Danach war die Welt angeblich eine andere und der Russe Gorbatschow plötzlich eine Figur der Hoffnung. Müssen wir uns aber deshalb nicht mehr vor Raketen fürchten? Ist Cyber-Krieg nicht gefährlicher, weil wahrscheinlicher?

Donald Trump schürt neue Ängste, und ein paar alte dazu. Er mag finanziell stark verbandelt sein mit Putins Russland. Aber das hat – historisch betrachtet – kaum je eine militärische Auseinandersetzung verhindert. Im Ersten Weltkrieg waren das Deutsche Reich und Großbritannien Erzfeinde und dynastisch verwandt. Und was ist mit Chinas Wirtschafts- und Militärmacht?

Die Lehre, die sich aus den Achtzigern ziehen lässt, könnte lauten: Man hat sich zu Recht vor den Falschen gefürchtet. Und es kam alles ganz anders.

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