zum Hauptinhalt
Krystian Zimerman

© picture alliance / Grzegorz_Mich

Krystian Zimerman in Berlin: Weltgebäude aus sanften Akkorden

Krystian Zimerman tritt selten auf. In der Berliner Philharmonie überzeugt der polnische Pianist mit Brahms und Chopin.

Wenige nur können so Klavier spielen, dass dafür Tausende heranpilgern. An diesem Abend ist es wieder einmal so weit, Krystian Zimerman gibt in der Philharmonie eines seiner raren Konzerte. Nur Brahms und Chopin, eine Sonate, vier Scherzi. Es ist ein schlankes Programm, das rasch vorüberfliegt und allergrößte Begeisterung im nahezu ausverkauften Saal auslöst, danach aber setzt sich Zimerman noch einmal an den Flügel und spielt eine Zugabe nach der anderen, und erst jetzt, so scheint es, kommt dieser Abend wirklich zur Ruhe.

In Zeiten des „Zerfalls der Öffentlichkeit“, von der jüngst die Schriftstellerin Eva Menasse sprach, sind solche Konzerte Solitäre. Sie führen im Wortsinne eine Kunstwelt vor Augen, anders als da draußen hört nun nämlich alles gut zu, hält die Aufmerksamkeit für Stunden auf dasselbe fixiert, und das vermöge der Kunst, vielmehr der Musik, fast möchte man sagen: mit ihr und in ihr. Unterdessen sind die Kompositionen, die Zimerman interpretiert, gar nicht zum Weihevollen angetan. Sicher, Brahms’ dritte Sonate f-Moll ist ein Trumm, ein Weltgebäude aus Akkorden und sanft tändelnden Melodien, romantischen Traumgebilden und klassizistischen Ambitionen.

Fragmente der Nationalhymne

Nicht zu überhören sind aber auch die geradezu banalen Höhepunkte, die der Komponist mitunter setzt, die Kirchentagsharmonik im zweiten Satz oder die grobkörnigen Fragmente aus dem „Deutschlandlied“ im letzten. Auch Chopins Scherzi, einander formverwandt bis zum Überdruss, sind keine Überwältigungsmusik im eigentlichen Sinne, trotz aller anderen Raffinessen: der überbordenden Virtuosität, des häufigen Gegensatzes zwischen schwerer, suggestiver Akkordik und Läufen im Hyper-Leggiero. Zimerman, dessen Karriere 1975 mit dem Sieg des Chopin-Wettbewerbs in Warschau begann, spielt auch hier aus den Noten, zwischen den Sätzen oder Stücken in aller Ruhe die Seiten wendend. Und er führt dieses Repertoire auf seine Weise auf: Seine Akkorde klingen nicht nach Stahl. Sie erschlagen das Publikum nicht, sie lassen nur das Maximum dessen hören, was möglich ist, wenn man laut und gepflegt zugleich spielen will.

Die Läufe bei Chopin (der die Breite der Klaviatur bedient, als ginge es um ein Verkaufsgespräch beim Klavierhändler) tönen auch nicht gelackt oder aufpoliert, Zimerman hüllt sie stattdessen ein in ein Tuch aus Poesie und Soigniertheit, und nur manchmal spannt er dieses Tuch so fest, dass darunter die Töne miteinander verkleben. So ist das Auffällige an diesem Abend paradoxerweise das Nicht-Outrierte, die Innerlichkeit; man dankt, reibt sich die Augen und tritt zurück in die Welt.

Zur Startseite