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Benjamin Lillie und Maja Beckmann in der preisgekrönten Inszenierung "Einfach das Ende der Welt".

© Theatertreffen

Kritiker-Umfrage zum Theater-Jahr: Maja Beckmann ist "Schauspielerin", Benjamin Lillie "Schauspieler des Jahres"

Wegen der Pandemie blieben die Theater in der letzten Saison meist leer. Aber es gab trotzdem aufregende Inszenierungen - so das Urteil der Kritiker.

Neulich lag Stefan Kaegi – Theaterregisseur und Mitglied der Gruppe Rimini Protokoll – im Bett mit zwei Chilenen, einer Brasilianerin, einer älteren Indonesierin, einem Pärchen aus Los Angeles sowie ein paar Russen. Keine Sorge, das ist nicht der Auftakt eines schlüpfrigen Witzes. Sondern seine eigene Beschreibung eines digitalen Gemeinschaftserlebnisses zu später Stunde. Das weltweit verstreute Online-Publikum lauschte quer durch die Zeitzonen einer Frau in Kalkutta, die ein altes bengalisches Lied sang und vom Tod ihrer Schwiegermutter erzählte. 20 Zuschauer:innen lagen im „Gallery-Modus“ neben-, über- und untereinander, die Köpfe auf Kissen gebettet, und sinnierten über das Sterben. Und Kaegi dachte plötzlich: „Dieser Zuschauerraum ist ja das Globe Theatre – alle sehen alle.“

Der Bildschirm wurde zur Bühne

Diese schriftlich festgehaltene Szene stammt aus dem Jahrbuch 2021 der Zeitschrift „Theater heute“, das den Titel „Wetterwechsel“ trägt (168 Seiten, Der Theaterverlag – Friedrich Berlin, 35 €) und Rückschau auf eine Spielzeit hält, in der wenig Theater stattfand – jedenfalls kaum vor leibhaftigem Publikum. Weswegen auch lange darum gerungen wurde, ob die alljährliche Kritiker:innen-Umfrage zu den Höhepunkten der Saison überhaupt stattfinden sollte. Weil sich aber immerhin 38 professionell Theater schauende Menschen bereitfanden, Bildschirm-Bühnen-Erlebnisse oder zwischen den Lockdowns live Gesehenes zu preisen, musste das Voting nicht entfallen. Lediglich auf die Königskategorie „Theater des Jahres“ wurde verzichtet.

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Dafür gibt es eine „Inszenierung des Jahres“, Christopher Rüpings Züricher Jean-Luc-Lagarce-Bearbeitung „Einfach das Ende der Welt“, die sich mit acht Stimmen vor der zweitplatzierten durchsetzen konnte (Gob Squads zwölfstündige Performance „Show Me a Good Time“). Rüping erzählt von einem todkranken Videokünstler, der in den vermeintlichen Provinzmuff seiner Herkunftsfamilie zurückkehrt, um der versammelten Spießerschar noch mal so richtig den Spiegel vorzuhalten. Sein Hauptdarsteller Benjamin Lillie ist zum „Schauspieler des Jahres“ gekürt worden. Maja Beckmann – die in „Einfach das Ende Welt“ eine wehrhafte Schwägerin und in Leonie Böhms ebenfalls in Zürich entstandener „Medea“ die Kindsmörderin spielt – darf sich über den Titel „Schauspielerin des Jahres“ freuen.

An Ärger herrschte kein Mangel

Wie hältst du’s mit dem Streaming? Regisseur Rüping nimmt in einem Interview des Buches die maximal pragmatische Haltung ein: „Gibt es ein Publikum für Theaterformate im digitalen Raum? Wenn nicht, brauchen wir die Kunstform nicht. Wenn ja, wird es das Theater im digitalen Raum weiterhin geben.“ Johan Simons, der Bochumer Intendant, macht keinen Hehl daraus, dass ihm das Saalpublikum fehlt: „Wo ist das genervte Aufstöhnen? Das Flüstern. Das Lachen. Das Wegnicken oder Rauslaufen.“ In der Kategorie „Ärgernis des Jahres“ kommt ein bunter Strauß an Verachtenswertem zusammen: von hustenden „Maskenschummlern“ über #allesdichtmachen bis zu Corona-Mutanten. Fast ein eigenes Programm für ein Globe Theater.

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