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Robert Menasse, hier bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2017, hat sich etwas in die Idee "Europa" verrannt.

© Arne Dedert/dpa

Kritik an Robert Menasse: Geständnis eines guten Europäers

Die Erfindungen Robert Menasses mögen gut gemeint sein, aber Fiktionen retten die Idee "Europa" leider auch nicht.

Von Andreas Busche

Am Samstag hat sich nun auch Robert Menasse in der "Welt“ zu Wort gemeldet, nachdem die Diskussionen um die erfundenen Zitate, die der österreichische Schriftsteller dem EU-Politiker Walter Hallstein über die Jahre in den Mund legte (darunter eine europäische Grundsatzrede 1958 in Auschwitz), absurde Züge angenommen hatten. Brisanz erhielt die Enthüllung dadurch, dass Menasse 2017 für seinen Roman „Die Hauptstadt“, in dem er ebenfalls Hallstein zitiert, mit dem Buchpreis ausgezeichnet worden war. Die Empörung wird befeuert durch den Fall des „Spiegel“-Redakteurs Claas Relotius, dessen gefälschte Reportagen die Medienbranche seit Wochen in eine Alarmstimmung zwischen Selbstbezichtigung und Rechtfertigung versetzen. Die Fälle haben nichts miteinander zu tun, erzeugen aber ein ähnliches Maß an Aufgeregtheit.

In seinem etwas verschwurbelten „Welt“-Beitrag bezieht Menasse unter anderem Stellung zum Vorwurf des Historikers Heinrich August Winkler, der bereits 2017 schrieb, Aussagen des Europapolitikers wie „Das Ziel des europäischen Einigungsprozesses ist die Überwindung der Nationalstaaten" seien nicht belegt, mithin der „Ausfluss einer postfaktischen Geschichtsbetrachtung“. Mit dem Unterschied, dass Winkler Historiker ist und Menasse eben „nur“ ein Literat – noch dazu mit einem erhöhten Sendungsbewusstsein. Ist das Privileg der künstlerischen Freiheit bei einer historischen Figur also ausgehebelt? Oder doch eher, weil der europäische Gedanke, den Menasse bei Hallstein gefunden zu haben glaubt, in Europa derzeit politisch nicht opportun ist?

Furor trifft auf Realitätsverzerrung

Die Heftigkeit der Reaktion hat nicht zuletzt auch damit zu tun (die einzige Parallele zu Relotius), dass sich einige dabei ertappt fühlen, Menasses „Fälschungen“ auf den Leim gegangen zu sein. Die rheinland-pfälzische Landesregierung prüft nun, ob Menasse überhaupt noch mit der Carl-Zuckmayer-Medaille geehrt werden dürfe. Der wiederum unterstellt seinen Kritikern in der "Welt“ einen selbstgerechten „Furor“. Man kann es – erinnert sei an den französischen Surrealisten Lautréamont – auch einen gelungenen Prank nennen, dass Menasse ausgerechnet einem konservativen CDU-Politiker der Adenauer-Ära postnationalistische Sprüche andichtet.

Dass Menasse seiner Fiktion irgendwann selbst aufsaß und erfundene Sätze Hallsteins in seinen Reden zitierte, verrät dabei vielleicht sogar mehr über den gegenwärtigen Zustand Europas als jede Gesellschaftsanalyse. Mit „Fake News“ hat das dennoch wenig zu tun. Einem Literaten, der sich dermaßen in die Idee „Europa“ verknallt hat, muss man wohl eher eine positive Realitätsverzerrung diagnostizieren.

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