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Ai Weiwei 2015 in seinem Atelier in Prenzlauer Berg.

© Michael Kappeler/dpa

Kritik an Deutschland: Ai Weiwei geht es vor allem um Ai Weiwei

Ai Weiwei hat gute Gründe, um Deutschland zu kritisieren. Doch einige seiner Ausführungen sind befremdlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Er schimpft nicht zum ersten Mal, hat es jetzt wieder getan, deutlich verschärft: Der chinesische Exilkünstler Ai Weiwei bezichtigt die Deutschen im Interview mit dem britischen „Guardian“ der Autoritätshörigkeit und einer Nazi-Gesinnung.

„Faschismus bedeutet, dass man eine Ideologie über andere stellt und diese Ideologie für rein erklärt, indem man andere Denkungsarten abwertet“, sagte der Regimekritiker, der von Chinas Behörden ins Exil gezwungen wurde und seit 2015 in Berlin lebte. „Das ist Nazismus. Und dieser Nazismus existiert im deutschen Alltag von heute.“

Mit seiner Familie lebt der 63-Jährige offenbar seit einigen Monaten in Cambridge. Er wolle eine englischsprachige Umgebung für seinen jetzt zehnjährigen Sohn Lao, so hatte er seinen schon länger geplanten Weggang aus Berlin 2018 erläutert. Im September 2019 hatte er dann jedoch nicht mehr persönliche, sondern politische Gründe angeführt und war mit Deutschland erstmals scharf ins Gericht gegangen.

Ai Weiwei: "Deutschland ist intolerant, bigott und autoritär"

Dies spitzt er nun weiter zu: Deutschland sei intolerant, bigott und autoritär; wie in China würden die Leute hier gerne unterdrückt. In seiner Heimat war Ai Weiwei 2011 verhaftet worden, saß 81 Tage im Gefängnis und wurde dann unter Hausarrest gestellt.

Ai Weiwei, der letztes Jahr in Düsseldorf mit einer großen Retrospektive gefeiert wurde und in Berlin weiter ein Atelier am Pfefferberg unterhält, sagte, er wolle nicht, dass Lao unter feindseligen Bedingungen aufwächst. Deutschland sei kein guter Ort für Ausländer.

Es stimmt ja, die Xenophobie hat zugenommen seit 2015. Pegida, AfD, Rassismus, Antisemitismus, die Verkürzung von vieltausendfachen Flüchtlingsschicksalen auf die Vokabel „Krise“, rechtsradikale Attentate wie der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder der Anschlag auf die Synagoge in Halle, all das stand und steht auf der politischen Agenda.

Immer wieder müssen drei Taxifahrer als Paten herhalten

Befremdlich an Ai Weiweis Ausführungen ist allerdings, dass er all das nicht erwähnt und stattdessen wie bereits im „Welt“-Interview im September von drei Begegnungen mit aggressiven Taxifahrern erzählt. Und sein Sohn sei von einem Ladenbesitzer bedroht worden. Solche Erlebnisse sind nicht hinnehmbar, aber sie sind nicht das eigentliche Problem, höchstens dessen Symptom.

Auch dass er als konkretes Beispiel für die Ablehnung seiner Position und Person 2019 ausgerechnet die Berlinale anführte und sein Zensurvorwurf gegen das Festival einem Faktencheck nicht standhielt, schwächt seine Argumentation. Seine unbedingt bedenkenswerte Kritik am widersprüchlichen Verhältnis Deutschlands zu China - Empörung über Menschenrechtsverletzungen, enge Handelsbeziehungen - erwähnt er diesmal nur im Nebensatz: Die Deutschen interessierten sich nicht für die Proteste in Hongkong, weil sie sich vorranging mit Chinas Markt gutstellen wollten.

Auch wenn er das Flüchtlingsthema bearbeitet, ist er omnipräsent

Nichts gegen Künstler mit starken Egos, die sich selber ins Spiel bringen. Oft ist es unabdingbar für ihre Arbeit. Aber schon bei Ai Weiweis Konzeptkunst zum Flüchtlingsthema sorgte das mit ihm selbst nachgestellte Foto des ertrunkenen Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum auch für Kritik.

Auch in seinem Dokumentarfilm „Human Flow“ über Flüchtlingslager in aller Welt ist seine Person omnipräsent. Um wen geht es, um Ai Weiwei oder die Todesopfer der Festung Europa? Man vermisst die Differenzierung zwischen Kunst und politischem Statement, zwischen dem eigenen Exilschicksal und dem der Mittelmeerflüchtlinge.

Auch wenn er sich keine Illusionen über Großbritannien mache, sei das Land besser für seine Familie, sagte Ai Weiwei dem „Guardian“ auf eine Brexit-Frage. Die Menschen seien „wenigstens höflich. "In Deutschland gibt es diese Höflichkeit nicht.“ Die Deutschen seien sehr rüde im Alltag. Stimmt schon, gerade die Berliner sind nicht gerade für ihren Charme berühmt. Aber Pauschalurteile helfen der Toleranz nicht auf die Sprünge.

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