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Verlagsstand auf der Leipziger Buchmesse

© Jens Kalaene/dpa-bildfunk

Krise auf dem Buchmarkt: Lesen in Fitness-Clubs

Der Buchmarkt steckt in der Krise, und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels will das Lesen zu einem Event machen nach dem Motto: Wellness first.

Es ist in diesen frühsommerlichen Tagen wieder die hohe Zeit des Bücherherbstes. Die Verlage haben ihre Programmvorschauen lange geschickt, nun folgen die fertigen Bücher, die oft erst im August oder September erscheinen, in Buchpäckchen steckende Kärtchen von Verlegern die vorsichtig fragen, ob man die Welt nicht informieren könne, „dass es dieses Buch“ gibt, und die ersten Mails von Verlagen mit dem Betreff „Unsere Autoren auf der Frankfurter Buchmesse 2018“. Und hier in der Literaturredaktion stellt sich wieder einmal die Frage: Wie sollen wir das alles unterbekommen? Aber auch: Wer soll das alles bloß lesen?

Der Buchmarkt ist in der Krise, das hat vor ein paar Tagen erst der Börsenverein des Deutschen Buchhandels konstatiert. Weniger was die Umsätze angeht, die 2017 nur leicht zurückgegangen sind, als vielmehr bezüglich der Leser und Leserinnen, gerade in der Altersgruppe der 20- bis 50-Jährigen. Über sechs Millionen haben dem Buch in den letzten Jahren den Rücken gekehrt und keines mehr gekauft, geschweige denn gelesen. Das klingt dramatisch (und wird auf dem Markt nur dadurch aufgefangen, dass diejenigen, die Bücher kaufen, mehr und werthaltiger kaufen), sieht aber, siehe oben, gar nicht so aus – ob die Verlage nicht anders können, als immer weiter im großen Umfang zu veröffentlichen? Sie sich nicht bescheiden können, weil die Verlagsapparate am Laufen gehalten werden müssen? Ob sie in einer Art Torschlusspanik auf den einen, großen Bestseller hoffen, sie es mit Quantität wie Qualität gleichermaßen versuchen?

Oder vertrauen sie womöglich auf den Börsenverein, der mit dem Marktforschungsinstitut GfK nicht nur die Entwicklung „der Buchkäufer und die Motive der Buchabwanderer“ untersucht hat, wie es im schönsten Umstandsdeutsch in einem Dossier heißt, sondern auch mit dem Buchhandel, Verlagen und eben jenen Abwanderern in einem „Co-Creation-Workshop erste Ideen und Wünsche für ein verbessertes Buch- und Kauferlebnis“ kreiert hat.

Das Gros der Ideen läuft auf die Inszenierung von Büchern hinaus

Und da wird einem Leser der alten, frugalen Schule, der man ist, doch irgendwie mulmig, da will man sofort in seiner Nische verschwinden. Vom „Beachclub in der Buchhandlung“ über „Speed-Dating zu Bücherthemen“ bis zu Büchern an ungewöhnlichen Orten, „z.B. in Fitness-Clubs“ gehen die Vorschläge, von „Erlebnisbuchhandlungen mit Yoga-Stunden oder Rooftop-Party“ über „Inhaltsrating im Sternesystem auf Büchern“, bis hin zu einer App, „die mir hilft, das passende Buch zu finden (nach persönlichen Vorlieben, Lesedauer, Stimmung) und einem „Tool, das an Lesezeiten erinnert“. Messerscharf wird analysiert, dass „Bücher wieder mehr ins Bewusstsein gerückt“ werden müssen, dass das „Buch zum Konsumenten kommen“ müsse – und – dass „Erlebnisse rund ums Buch und sozialer Austausch“ wichtig seien.

Das Gros der Ideen läuft auf die Inszenierung von Büchern hinaus, auf die Events rund um Bücher, auf eventisiertes Lesen, wenn man so will – oder auf ein Lesen, das mehr Richtung Wellness geht. Das zwar einer gewissen Anstrengung bedarf, einer geistigen zumal, aber immer zweckoptimiert ist, in ein sofortiges Belohnungssystem eingespeist wird. Nur ist Lesen oft einfach harte Arbeit, gibt es einen Nutzen erst später, manchmal erst lange, nachdem ein Buch wieder zur Seite gelegt wurde. Oder auch nie. Lesen lässt sich zwar auch sozialisieren, in Lesegruppen, in denen die Lektüre gemeinsam erörtert wird – aber auf Dachterassenparties, beim Yoga oder in Fitness-Clubs?

Die Regel ist die einsame Lektüre. Freilich auch Lesungen von Autoren und Autorinnen vor Publikum. Doch auch bei diesen muss sich jeder mit sich selbst beim Zuhören beschäftigen, muss das Vorgelesene allein in sich aufnehmen. Es ist ja das Unverwüstliche des gedruckten Buches, dass es technisch so leicht zu bedienen ist, es keinen multimedialen Schnickschnack braucht, um zu einem „Erlebnis“ zu werden. Wenn ein solches tatsächlich jenseits des Buchinhalts verstärkt künstlich generiert, ja: kreiert werden muss, kann man nur konstatieren: Das Buch, das Lesen überhaupt, ist wirklich in einer schweren Krise. Nicht nur der Buchmarkt.

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