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Hirsch im Harz

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Kriminalroman "Blizzard": Der Schnee war blutig

Robert Brack erzählt in seinem furiosen Krimi „Blizzard“ von Juwelendieben, die im Eissturm steckenbleiben.

Vielleicht ist es Liebe, vielleicht auch Erleuchtung. „Freiheit und Gesellschaft vertragen sich nicht.“ Dieser Gedanke kommt Gisela, als sie in einer Sparkassen-Filiale in Norderstedt, einer Vorstadt von Hamburg, in einen Bankraub gerät. Die beiden Bankräuber sind überrumpelt, als die Polizei das Gebäude umstellt. Damit hatten sie nicht gerechnet. Nur der Anführer bleibt ruhig, schaut Gisela an und sagt: „Du kommst mit.“

Mit der Pistole am Kopf tritt sie mit ihm vor die Tür. Dann fällt ein Schuss, der den anderen Bankräuber tötet. Nun muss Gisela das Fluchtauto fahren. Sie hängt drei Streifenwagen ab, und als sie in einem Waldstück anhält, zieht sie dem Bankräuber seine Maske vom Kopf. In diesem Moment versteht sie: „Freiheit und Gesellschaft vertragen sich nicht. Es geht nur um dich und mich, alles andere zählt nicht.“ Die Geisel ist zur Komplizin geworden.

Die Geisel wird zur Komplizin

„Edle Räuber, das sind wir“, wird Gisela später nach einem anderen Banküberfall zu Frieder sagen, ihrem Kompagnon und Geliebten. Die beiden Helden von Robert Bracks furiosem Kriminalroman „Blizzard“ erinnern an Bonnie und Clyde, das legendäre amerikanische Gangsterpaar. Allerdings werden sie irgendwann von der Polizei geschnappt und zu mehrjähriger Haft verurteilt. Der Roman setzt ein, als Frieder die letzten Tage seiner Strafe absitzt. Gisela und Frieder wollen ein allerletztes Ding drehen, ein Juweliergeschäft am luxuriösen Hamburger Ballindamm ausrauben und sich anschließend nach Schweden absetzen.

Solche finalen Straftaten gehen meist schief, das gehört zu den Gesetzen des Genres. Was den Roman herausragen lässt, ist die Präzision, mit der Brack in einer Zeit verortet, in der die Revolutionsphrasen der RAF bis in die Umgangssprache von Berufskriminellen eingegangen waren. „Blizzard“ spielt zur Jahreswende 1978/79, die allerdings aus einem anderen Grund Geschichte machte. Damals legte eine Schneekatastrophe Norddeutschland lahm. Dutzende Ortschaften waren von der Außenwelt abgeschnitten, in der Bundesrepublik starben 17 Menschen.

Raubkunst taucht wieder auf

„Blizzard“ lautet die Bezeichnung für einen heftigen Schneesturm, aber genauso heißt auch das Collier, auf das die Gangster aus sind. Das Art-Deco-Stück von unschätzbarem Wert hatte einem jüdischen Juwelier in Antwerpen gehört, der mit seiner Familie nach dem Einmarsch der Wehrmacht ermordet wurde. Seither war der „Blizzard“ verschollen, Altnazis schafften ihn wohl nach Südamerika. Nun liegt er in einem Hamburger Safe. Da es sich um Raubkunst handelt, ist auch der Mossad an der Preziose interessiert. Er hat eine Agentin darauf angesetzt.

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Robert Brack veröffentlicht seit mehr als 30 Jahren Kriminalromane, er orientiert sich offenkundig an der Hardboiled-Schule von US-Autoren wie Robert B. Parker oder Matthew F. Jones, die er übersetzt hat. In diesem makellosen Historien-Thriller aber beginnen seine Sätze zu funkeln. „Meterhoch türmen sich Eiswände und Schneeschichten, bizarre Formen aus gefrorenem Wasser“, so beschreibt er die in Kälte erstarrte Ostsee, die eigentlich als Fluchtroute vorgesehen war. „Dünen aus feinsten Kristallen, Gebirge aus Blöcken von gefrorenem Wasser.“ Bei der Lektüre beginnt es einem zu frösteln.

[Robert Brack: Blizzard. Thriller. Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2022. 288 S., 12 €.]

Gisela, Frieder und ihre Mitgangster hatten auf die Mithilfe des Wetters gehofft. Im aufziehenden Schneesturm werde die Polizei ihnen nicht nachsetzen können. Sie stoßen im Fluchtwagen mit Champagner an: „Wir sind frei, wir sind unsichtbar!“. Denn der pausenlos fallende Schnee deckt alle Reifenspuren sofort zu. Kleiner Schönheitsfehler: Beim Einbruch haben sie einen Wachmann erschossen. Als sie die gesperrte Autobahn verlassen müssen und trotz Schneeketten auf einer Landstraße in Nordholstein liegen bleiben, realisieren sie, dass sie in einer weißen Hölle gefangen sind.

Zu Fuß durch Naturgewalten

Die letzten Meter zum Wochenendhaus des Hehlers kämpfen sie sich zu Fuß durch die Naturgewalten. Dort sitzen sie endgültig in der Falle, der Strom fällt aus, aus Komplizen werden Konkurrenten, bis an die Zähne bewaffnet und bereit, einander die Beute abzujagen.

Die Gewalt explodiert dann in Zeitlupe, wie in einem Actionfilm von Sam Peckinpah aus den 70er Jahren. „Rote Streifen ziehen sich durch den Schnee, als farbige Nuance eingeträufelt in das alles beherrschende Weiß“. Mörder malen mit Blut.

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