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Buenos Aires

© Imago

Krimi aus Argentinien: Rette mich

Mordkomplott oder Psychose? In Guillermo Martínez' Thriller fühlt sich eine Studentin von einem Bestsellerautor verfolgt.

Ein Schriftsteller, heißt es ziemlich zu Beginn, sei „gleichzeitig Gott und ein Skarabäus“. Als Skarabäus wird die Darstellung des Heiligen Pillendrehers in der altägyptischen Kunst bezeichnet, eines Käfers, der aus Kot Kugeln formt, sie vor sich herrollt und vergräbt, damit das Weibchen darin Eier legen kann. Das klingt wenig schmeichelhaft, wie die Beschimpfung eines ganzen Berufsstands, der die eigenen Exkremente als Kunst verkauft. Aber die Metapher beschreibt ganz gut, dass Schreiben harte Arbeit ist, vergleichbar mit der ewigen Felsblockrollerei des Sisyphos.

Schüchterner Erzähler

Als sich der Held von Guillermo Martínez’ Kriminalroman „Der langsame Tod der Luciana B.“ ein Handgelenk bricht, kurz bevor er ein Romanmanuskript abgeben muss, engagiert er eine Studentin und diktiert ihr den Text. Für Lucianas Reize ist er durchaus empfänglich, vor allem, wenn sie am Ende ihrer Treffen Ermüdungserscheinungen zeigt. Dann lässt sie „ihren Kopf von einer Seite zur anderen kreisen, und ihr Hals, ihr hübscher Hals“, lässt „ein dumpfes Knacken“ vernehmen. Zu mehr als Abschiedsküssen auf die Wange kommt es nicht. Dazu ist der Erzähler – seinen Namen erfährt der Leser bis zum Schluss nicht – zu schüchtern.

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Zehn Jahre später ruft Luciana bei ihm an und bittet um Hilfe, in einer Sache, bei der es um Leben und Tod gehe. Sie glaubt, dass sie ermordet werden soll. Ihr Verlobter ist auf rätselhafte Weise im Meer ertrunken, ihre Eltern starben durch eine Pilzvergiftung und ihr Bruder wurde von einem Einbrecher ermordet. Luciana ist sich sicher, wer dahinter steckt: der Bestsellerautor Kloster, bei dem sie als Sekretärin gearbeitet hatte, bis sie ihn wegen seiner Annäherungsversuche anzeigte. Weil die Polizei ihr nicht glaubt, soll nun der Erzähler Luciana retten.

Fragen der Logik

Der Argentinier Martínez ist ein promovierter Mathematiker, sein bekanntester, mit John Hurt und Elijah Wood verfilmter Roman „Die Pythagoras-Morde“ handelt von einem Serienmörder an der Universität Oxford. Fragen der Logik spielen auch in „Der langsame Tod der Luciana B.“ eine Rolle. Wenn man ein Geldstück zehnmal in die Luft wirft, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich Kopf oder Zahl drei- oder viermal in Folge wiederholen. Demnach könnten die Todesfälle in Lucianas Familie auf Zufall beruhen. Dagegen spricht, dass Kloster sie zu verfolgen scheint, sogar bei der Beerdigung ihrer Eltern taucht er auf.

[Guillermo Martinez: Der langsame Tod der Luciana B. Aus dem argentinischen Spanisch von Angelica Amur. Eichborn Verlag, Köln 2021. 221 Seiten, 16 €]

Mancher Dialog des in Buenos Aires spielenden Romans wächst sich zum literarischen Kurzessay aus. Über Henry James heißt es da, dass er sein Werk auf den Intervallen zwischen den Handlungen errichtet habe, auf der „Hölle aus Zögern, Berechnungen und Strategien, die jeder Handlung vorausgehen“. Für diesen kunstvollen Thriller gilt: Motive sind spannender als Morde.

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