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Wladimir Medinski

© dpa

Kreml-Berater Wladimir Medinski: Neue Mission für den Chefhistoriker

Vordenker des Neo-Imperialismus: Ex-Kulturminister Wladimir Medinski prägte Putins Geschichtsbild. Nun leitet er die Friedensverhandlungen mit der Ukraine.

Grundlos habe der russische Präsident Wladimir Putin das Nachbarland Ukraine überfallen, hieß es dieser Tage öfter. Es erklärt die Überraschung und das Unverständnis, mit dem jetzt manche auf Putins Krieg reagieren. Aber dieses „grundlos“ – es stimmt nicht. Der Grund für den Krieg ist der Neo-Imperialismus des Kremlchefs und die zentrale Begründung ist die historische Lüge vom antifaschistischen Befreiungskrieg, den Russland jetzt führen müsse.

Unter diesem Blickwinkel ist es nicht mehr ganz so verwunderlich, dass die russische Verhandlungsdelegation bei den Gesprächen mit der Ukraine am Montag trotz des Kriegszustandes nicht von einem Militär geführt wurde. An der Spitze steht der ehemalige Kulturminister Wladimir Medinski, der seit zwei Jahren als Staatsrat 1. Klasse und Berater Putins im Kreml angestellt ist. Der 51-jährige Medinski, der auch der russischen Militärhistorischen Gesellschaft vorsteht, hat das Geschichtsbild seines Chefs wesentlich geformt. Davon kann man ausgehen.

Heroische Erinnerungen

Putins Kriegserklärung knüpft an ein zweifellos heroisches Kapitel der jüngeren Geschichte an, das für jeden Russen mit tiefem Schmerz, aber auch mit dem Gefühl des Triumphes verbunden ist: an den Sieg der Sowjetunion über den deutschen Faschismus. Putin proklamiert als die Ziele seines Feldzuges gegen die Ukraine den Sturz der Neonazis in Kiew und die Verhinderung eines Holocaust an russischen Menschen.

Beides ist nicht nur haarsträubender Unsinn. Es ist letztlich ein Verrat an den Opfern, die die Völker der Sowjetunion bei der Verteidigung ihrer Heimat gebracht haben. Putin benutzt diese Opfer zur Rechtfertigung eines Angriffskrieges. Seine Sichtweise führt die Veränderungen an ihr konsequentes Ende, die an der offiziellen russischen Geschichtserzählung unter zentraler Beteiligung Medinskis in den letzten Jahren vorgenommen worden sind.

Stalins Rehabilitierung

Die dunklen Kapitel, wie der Hitler-Stalin-Pakt, sind zurückgeführt auf die stalinistische Interpretation. Der Pakt ist jetzt wieder eine Meisterleistung der sowjetischen Diplomatie, um Zeit für die Kriegsvorbereitung zu gewinnen – nicht die Verabredung zur Teilung Osteuropas. Als rechtsextremistische Duma-Abgeordnete vor einiger Zeit den Massenmord des NKWD an polnischen Kriegsgefangenen in Katyn wieder in Frage stellten, ließ Medinski sie gewähren. Er sorgte persönlich dafür, dass tatsächliche Heldentaten sowjetischer Soldaten erneut weniger im Blickpunkt stehen und dafür legendenhafte Überhöhungen dominieren.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

So beispielsweise die Erzählung von den 28 Gardisten, die im Winter 1941 Moskau nur mit Gewehren, Handgranaten und Molotow-Cocktails verteidigt und mindestens 50 Panzer der Wehrmacht zerstört haben sollen. Bis vor wenigen Jahren noch galt diese Geschichte auch unter russischen Historikern mindestens als strittig, wenn nicht als erfunden. Wer die die Erzählung von den „28 Panfilowzy“ heute anzuzweifeln wagt, läuft Gefahr, wegen „Rehabilitierung des Nazismus“ strafrechtlich belangt zu werden.

Das Scheitern in Afghanistan verdrängen

Man muss dagegen bezweifeln, dass der Historiker Medinski vor der Intervention in der Ukraine Putin an die jüngste Geschichte erinnerte. Als sich vor drei Jahren der Afghanistan–Krieg zum 40. Mal jährte, ergingen sich die Veteranen der Speznas-Einsatzkräfte in Erinnerungen, wie sie gemeinsam mit afghanischen Kräften den Präsidenten Nur Muhammad Taraki in seinem Palast liquidierten. Es war ein schneller Sieg, dem Jahre später das schmähliche Scheitern der Besatzungsmacht folgte.

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